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A. BVerfG, Beschl. v. 01.02.2023, Az. 1 BvL 7/18: Gesetzgeber muss Folgen unwirksamer Eheschließungen regeln
I. Sachverhalt
Seit 2017 gelten im Ausland geschlossene Ehen in Deutschland automatisch als unwirksam, wenn einer der Partner bei der Heirat noch unter 16 Jahre alt war (Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 Einführungsgesetz BGB) Die Regelung war Teil des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“, das die schwarz-rote Bundesregierung 2017 vor dem Hintergrund gestiegener Flüchtlingszahlen auf den Weg gebracht hatte. Damals waren vermehrt sehr junge Verheiratete nach Deutschland gekommen. Die Behörden und Gerichte waren damit unterschiedlich umgegangen. Der BGH hatte Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem GG und legte dies dem BVerfG vor.
II. Entscheidung
Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist in seiner derzeitigen Form mit der Ehefreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar. Zwar ist die Vorschrift mit den die Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG prägenden Prinzipien vereinbar. Sie schränkt jedoch „wegen fehlender Folgeregelungen und unzureichender Möglichkeiten, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit inländisch wirksam fortzuführen, die Ehefreiheit unangemessen ein“; ist somit unverhältnismäßig. Personen, die bereits im Vorfeld im Ausland als Eheleute zusammengelebt haben und an ihrer Verbindung in Deutschland festhalten wollen, wird dies durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB pauschal verwehrt. Die Regelung lässt keine Möglichkeit zu, ausländische Ehen nach Erreichen der Volljährigkeit wirksam in Deutschland weiterzuführen. Das berührt die von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit, die Ehe mit einer selbst gewählten Person einzugehen.
Als übermäßig belastend sieht der Senat auch an, dass für die Paare sämtliche mit der Ehe verbundenen rechtliche Vorteile wegfallen: Wird eine Ehe nach der Regelung in Deutschland für unwirksam erklärt gibt. Ein Ausgleich über §§ 812 ff. BGB erscheint zwar nicht völlig ausgeschlossen, eine spezifische Regelung fehlt jedoch. Auch wenn derartige nacheheliche Ansprüche wegen der häufig ungünstigen wirtschaftlichen Situation nach einer Flucht beider Parteien nicht besonders hoch ausfallen dürften, darf auf eine entsprechende Regelung nicht verzichtet werden. Ein solcher Verzicht belastet nach Ansicht des vorlegenden BGH die schutzbedürftigen Minderjährigen. Damit befänden sich die bei Heirat unter 16-jährigen Partnerinnen und Partner der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfassten Ehe im Ergebnis in einer ungünstigeren rechtlichen Situation als solche mit 16- und 17-Jährigen Partnerinnen und Partnern. Der Gesetzgeber hat nun bis Mitte 2024 Zeit für eine neue Regelung.
B. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.03.2023, Az. L 32 AS 1888/17: Eine Sozialwohnung kann nicht unangemessen teuer sein
I. Sachverhalt
Eine alleinlebende Grundsicherungsempfängerin (Hartz IV, jetzt Bürgergeld) verlangte vom Jobcenter für die Zeiträume 2015/2016 die Übernahme der vollen Kosten für ihre Wohnung von damals rund 640 Euro warm im Monat. Das Jobcenter lehnte dies ab und hielt insgesamt nur rund 480 Euro für angemessen und verwies auf die Ausführungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, die die Grenze der Angemessenheit aus den durchschnittlichen Mietkosten für einfache Wohnlagen ableitet.
II. Begründung
Dies hielt das Landessozialgericht für nicht zulässig. Die so berücksichtigten Wohnungen erfassen lediglich den durchschnittlichen Fall der Angemessenheit, enthalten aber keine Obergrenzen. Zwar darf das Jobcenter auf einfache Wohnungen und Wohnlagen verweisen, diese müssten aber „auch tatsächlich für Leistungsberechtigte zur Verfügung stehen“. Die Umstände sind aber in Berlin anders: So zeigt die Wohnraumstatistik der Senatsverwaltung in 2019, dass es in Berlin 76.000 Haushalte (darunter 33.000 Einpersonenhaushalte) gab, die Leistungen der Grundsicherung bezogen, deren Mietkosten jedoch über den von den Jobcentern herangezogenen Grenzwerten lagen. Zugleich weist der genannte Bericht eine massive Angebotslücke von 345.000 Wohnungen allein im Bereich der Wohnungen für Einpersonenhaushalte aus. Kurzum: es gibt keine nutzbaren billigeren Wohnungen.
Die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Zweifel heranziehbare Wohngeldtabelle mit einem Zuschlag von zehn Prozent (Urt. v. 30.01.2019, Az. B 14 AS 24/18 R) ist nach dem Urteil des LSG „für Berliner Verhältnisse ungeeignet, weil danach selbst viele Sozialwohnungen als unangemessen teuer angesehen werden müssten.“ Das Jobcenter muss deshalb die volle Miete übernehmen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das LSG die Revision zum BSG zu.
C. VG Berlin, Urteil v. 05.05.2023, VG 2 K 238/22: Altkanzler Schröder bekommt sein Büro nicht zurück
I. Sachverhalt
Im Mai 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, hatte der zuständige Haushaltsausschuss im Bundestag beschlossen, Ex-Kanzler Schröder nicht länger sein Büro und Mitarbeiter zu gewähren. Beides wurde ihm nach Ausscheiden aus dem Amt 2005 gewährt. Der Ausschuss führte aus, Schröder nehme keine nachwirkenden Aufgaben aus einem Amt mehr wahr.
II. Begründung
Die Kammer wies die Klage als teils unzulässig, teils unbegründet ab. Unzulässig war die Klage insoweit, als sich Schröder gegen die Entscheidung des Haushaltausschusses richtete. Dabei handelt es sich um ein rechtliches Internum zwischen Bundestag und Kanzleramt. Mangels Außenwirkung fehlt die Klagebefugnis bzw. ein subjektives Recht.
Im Übrigen fehlt es an einem Anspruch auf ein Altkanzlerbüro samt Ausstattung. Für einen Anspruch aus Art. 3 GG fehlte es nach Auffassung der Kammer an einer Begünstigung, denn die Gewährung des Büros samt Ausstattung erfolgt im öffentlichen Interesse zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Ein eigenständiger persönlicher Vorteil sei insofern nicht gegeben, also auch keine Begünstigung – laut Kammer liegt ein bloßer Rechtsreflex vor.
Auch einen Anspruch aus Gewohnheitsrecht lehnte die Kammer ab: es liege zwar seit über 50 Jahren eine einheitliche und dauernde Praxis vor - es fehle aber an der subjektiven Überzeugung der Beteiligten, dass daraus ein Anspruch erwachsen sollte. Personenschutz steht dem Ex-Kanzler weiterhin zu. Die Kammer forderte auch das Schaffen einer klaren Regelung.