Ein Patient erscheint mit zwei kariösen Zähnen beim Zahnarzt. Ohne den Karies gründlich zu entfernen, setzt der Zahnarzt auf dem einen Zahn eine Krone, den anderen „füllt“ er. Einige Zeit später klagt der Patient über beträchtliche Schmerzen und begibt sich in die Notaufnahme. Dort angekommen fällt auf, dass sich der Karies unter den Inlays ausgebreitet hat. Der Patient sucht einen anderen Zahnarzt auf. Er lässt sich die Inlays entfernen, den Karies behandeln und neue Inlays legen. Der Patient beantragt den erstbehandelnden Zahnarzt zu verurteilen, an ihn (den Patienten), ein angemessenes Schmerzensgeld, sowie Ersatz der Kosten für die Zweitbehandlung zu zahlen.
Ein Anspruch wegen der zweiten Behandlungskosten könnte sich aus §§ 280 I, III, 281 BGB ergeben. Ein Schuldverhältnis in Gestalt eines Dienstvertrages liegt vor. Durch die unterlassene Befunderhebung (Zähne sind kariös) und die weitere Behandlung wurde die körperliche Integrität des Patienten verletzt und damit iRd des Behandlungsvertrages eine originäre Leistungspflicht verletzt, § 241 I BGB. Ein Schaden liegt auch unproblematisch vor, sodass an-sich ein Anspruch gegeben wäre. Allerdings stellt das Gesetz in § 281 I S.1 BGB fest, dass im Falle des Schadensersatzes „statt der Leistung“ zusätzlich erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden sein muss: Stellt sich also die Frage, ob hier ein Schadensersatz „statt“ – oder eben „neben“ der Leistung verlangt wird. Aus dem Kaufrecht ist die Abgrenzungsformel bekannt, dass ein Schaden dann „statt“ der Leistung geltend gemacht werden kann, wenn im Zeitpunkt der letztmöglichen Vornahmehandlung überhaupt eine Fristsetzung sinnvoll ist (ob also, mit anderen Worten: die geschuldete Leistung denklogisch nachholbar ist). Vorliegend steht das OLG Jena auf dem Standpunkt, dass eine ordnungsgemäße Behandlung und Befunderhebung auch möglich war, nachdem die Inlays bereits eingesetzt wurden. Problematisch ist allerdings, dass der Dienstvertrag gerade auf eine spezifische Handlung (eben nicht Erfolg) abstellt und damit eine Nacherfüllung zu späteren Zeitpunkten rein begrifflich schwierig ist. Jedenfalls sieht das OLG vorliegend kein Fristerfordernis: Erstens sei der Behandlungsvertrag ein Dienstvertrag „höherer Art“ und als solcher gem. § 627 BGB jederzeit kündbar. D.h. konkret der Patient hat spätestens durch Aufsuchen eines anderen Arztes den Behandlungsvertrag konkludent gekündigt. Durch diese Kündigung scheide auch die Nacherfüllung innerhalb dieses Dienstverhältnisses aus. Zweitens, scheide eine Fristsetzung aber wenigstens wegen § 281 II Var. 2 BGB aus: Eine unterlassene Befunderhebung könne ihrer Natur nach nicht in concreto nachgeholt werden. Die Frage, ob vielleicht aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt eine Nacherfüllung durch eben diesen Arzt dem Patienten unzumutbar sein könnte, lässt das OLG Jena explizit offen. Damit konnte der Patient die Behandlungskosten verlangen ohne dem erstbehandelnden Arzt eine Nacherfüllungsfrist zu setzen.
Bleibt der Schmerzensgeldanspruch: Anders als oben, ist die Pflichtverletzung hier keine Leistungspflichtverletzung, sondern eine Rücksichtspflichtverletzung, denn die Schmerzen aufgrund des „sekundären“ Karies zu verhindern, war nicht Gegenstand des ursprünglichen Behandlungsvertrages, sondern sind Folge der Nichtrücksichtnahme auf das körperliche Wohlbefinden des Patienten. Insofern liegt eine Nebenpflichtverletzung vor, § 241 II BGB. In Bezug auf den ersatzfähigen Schaden steht fest: Naturalrestitution ist unmöglich. Die einmal erlittenen Schmerzen können nicht Rückgängig gemacht werden. Damit ist der Weg für die Geldentschädigung gem. § 251 I aE BGB eröffnet, die wegen § 253 I, II BGB auf eine Entschädigung des immateriellen Schadens am Körper gerichtet ist. Der Patient kann Schmerzensgeld verlangen (dessen Bemessung er praktikabler Weise in das Ermessen des Gerichts stellt).
Am Ende bleibt festzuhalten: Diesen Fall hätte man anders lösen können. Explizit: Den Einwand des Arztes (keine Nacherfüllungsaufforderung) damit beseitigen, gleich auf einen Schadensersatz neben der Leistung abzustellen. Hier wird auch klar, dass in das Gesetz zwar der „Grundsatz“ hereingelesen werden kann, es gebe ein Recht zur zweiten Andienung – das aber nicht davon entbindet, für den konkreten Fall eine argumentativ vertretbare Lösung (am Gesetzestext!!! orientiert) zu finden.
Wer mehr über Schadensersatz statt oder neben der Leistung wissen will, der erfährt mehr in unserem GuKO ZR II (Schuldrecht AT I und II). Wer sich fragt, wie konkret ein Schmerzensgeldverlangen in einer Klageschrift auszusehen hat, dem hilft unser GuKO ZR X (ZPO und IPR) weiter. Mehr steht natürlich auch in unseren ExOs.