Tatbestand:
Die Klägerin ist Vermieterin einer in O. gelegenen Wohnung.
Der am 13. Oktober 2008 mit den Beklagten geschlossene Mietvertrag bestimmt unter
§ 4 "Zahlung der Miete":
1. Die Gesamtmiete […] ist monatlich im Voraus, spätestens am dritten Werktag des Monats an den Vermieter auf das Konto-Nr. […] Sparkasse K. -B. […] zu zahlen. […]
3. Für die Rechtzeitigkeit der Zahlung kommt es nicht auf die Absendung, sondern auf den Eingang des Geldes an. Mehrfach verspätete Mietzahlungen können im Einzelfall ein Grund für eine Kündigung des Mietverhältnisses sein[…].
Mit Schreiben vom 23. August 2013 mahnte die Klägerin die Beklagten unter Hinweis darauf ab, dass die Miete in den Monaten Januar, Februar, März, Mai und Juli 2013 nicht bis zum dritten Werktag des Monats auf ihrem Konto eingegangen ist.
In den folgenden Monaten zahlte die Beklagte die Miete spätestens am dritten Werktag des Monats in bar bei ihrem Zahlungsdienstleister (Deutsche Post AG) ein und erteilte gleichzeitig einen Überweisungsauftrag.
Die Klägerin macht geltend, dass die Miete in den vorgenannten Monaten erneut nach dem dritten Werktag auf ihrem Konto eingegangen ist.
Mit Anwaltsschreiben vom 6. Mai 2014, mit der Klageschrift vom 26. Mai 2014 sowie mit Schriftsatz vom 9. Juli 2014 kündigte sie das Mietverhältnis wegen verspäteter Mietzahlungen jeweils fristlos.
Hat die Klägerin (K) einen Anspruch gegen die Beklagten (B) auf Räumung und Herausgabe der Wohnung?
Lösung:
Ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung könnte sich aus § 546 Abs. 1 BGB und § 985 BGB ergeben.
1. Form
Die jeweiligen Kündigungserklärungen sind schriftlich und unter Angabe des Kündigungsgrundes gemäß §§ 568 Abs. 1, 569 Abs. 4 abgegeben worden und zugegangen.
2. Kündigungsgrund
Fraglich ist, ob ein wichtiger Grund gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1 vorlag. Ein wichtiger Grund könnte vorliegend § 543 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 a) zu entnehmen sein.
Hierfür müssten sich die Beklagten in Verzug befunden haben.
a. Verzug wegen Verstoßes gegen § 556b
Gemäß § 556b Abs. 1 ist die Miete spätestens bis zum dritten Werktag der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten, nach denen sie bemessen ist.
Hier könnten die nach erfolgter Abmahnung entrichteten Mieten verspätet entrichtet worden sein.
Die Beklagte hat die Miete in bar beim Zahlungsdienstleister (Deutsche Post AG) eingezahlt und gleichzeitig einen Überweisungsauftrag erteilt.
Von einem Verzug ist nur dann auszugehen, wenn es für die Rechtzeitigkeit der Zahlung auf den Zahlungseingang bei der Klägerin ankommt.
Aus dem Wortlaut von § 556b folgt nicht, dass es auf den Eingang bei der Klägerin ankommt.
„Schon dem Gesetzeswortlaut des § 556b Abs. 1 BGB lässt sich nicht zwingend entnehmen, dass eine im Überweisungsverkehr gezahlte Miete bereits am dritten Werktag des Monats auf dem Konto des Vermieters eingegangen sein muss. Der Begriff des Entrichtens ist nach allgemeinem Sprachgebrauch als Synonym für das Bezahlen eines Geldbetrages zu verstehen (siehe Deutsches Wörterbuch von J. und W. Grimm, Neubearbeitung 1999, Stichwort "entrichten"). Dass der juristische Sprachgebrauch hiervon abweicht, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.“
Auch ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (zur Vertiefung Rn. 20 - 22 des Urteils), dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 556b nicht von den allgemeinen Auslegungsregeln abweichen wollte.
Nach §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 1, 4 ist die Mietschuld wie andere Geldschulden im Zweifel am Wohnsitz des Schuldners zu erfüllen. Geldschulden sind sog. „qualifizierte Schickschulden“. Dabei ist der Leistungsort beim Schuldner und Erfolgsort am Wohnsitz des Gläubigers. Damit muss der Schuldner rechtzeitig alles getan haben, was seinerseits am Leistungsort erforderlich ist, um den Gläubiger zu befriedigen. Der Leistungserfolg - die Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers - gehört jedoch nicht mehr zur Leistungshandlung des Schuldners.
Der Schuldner ist daher grundsätzlich nur verpflichtet den geschuldeten Betrag rechtzeitig abzusenden.
Gemäß § 270 Abs. 1 BGB hat die Übermittlung auf Kosten des Schuldners zu erfolgen. Dieser trägt grundsätzlich die Gefahr des Verlustes.
Die Gefahr der Verzögerung ist jedoch dem Gläubiger zugeordnet. Der Schuldner hat somit für die Gefahr, dass sich die Übermittlung des Geldes verzögert, nicht einzustehen. Die eingesetzten Zahlungsdienstleister sind auch nicht Erfüllungsgehilfen im Sinne von § 278. Dies liegt daran, dass der Zahlungsdienstleister nicht im Pflichtenkreis (zu Pflichten des Schuldners s.o.) des Schuldners tätig wird.
b. Verzug wegen extensiver Auslegung der Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
Fraglich ist, ob sich etwas anderes aus der Richtlinie 2011/7/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ergeben kann.
Im Anwendungsbereich der Richtlinie (zwischen Unternehmen) kommt es für die Rechtzeitigkeit der Zahlung darauf an, dass der Geldbetrag erhalten wurde. Bei der Banküberweisung kommt es somit auf die rechtzeitige Gutschrift beim Gläubiger an (sog.: „modifizierte Bringschuld“).
Nach einer teilweise vertretenen Ansicht sind die Grundsätze aus der Regelung der Zahlungsverzugsrichtlinie und der hierzu ergangenen Rechtsprechung auch auf die Mietschuld zu übertragen(etwa LG Freiburg, Urteil vom 28. April 2015 - 9 S 109/14, juris Rn. 26; LG Lüneburg, Urteil vom 9. April 2014 - 6 S 10/14, nicht veröffentlicht; LG Wuppertal, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 9 S 149/08, juris Rn. 4; Herresthal, NZM 2011, 833, 838 u.a.).
„Diese Sichtweise beruht auf der Überlegung, dass Schulden von Verbrauchern aus Geschäften mit Unternehmern zur Vermeidung einer gespaltenen Auslegung des nationalen Rechts in richtlinienkonformer Auslegung der § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 1, 4 BGB ebenso zu behandeln seien wie die von der Zahlungsverzugsrichtlinie erfassten Entgelte. Für die Rechtzeitigkeit der Leistung sei daher generell, also auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie, nicht mehr auf die Erbringung der Leistungshandlung, sondern auf den Erhalt der Leistung abzustellen.“
Der BGH widerspricht einer einheitlichen Auslegung in mehrfacher Hinsicht.
Expertentipp
Eine Argumentation innerhalb des Geltungsbereichs der Zahlungsverzugsrichtlinie kann von ihnen im Examen nicht erwartet werden und wurde daher teilweise ausgeklammert. Interessierte Teilnehmer lesen hierzu Rn. 29-30 des Urteils.
Eine Ausdehnung der Richtlinie dahingehend, dass auch Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern erfasst sein sollen, ist weder von der Richtlinie selbst vorgesehen, noch ist ein entsprechender Wille des Gesetzgebers im Rahmen der Umsetzung erkennbar geworden.
(Miet-)Verträge mit Verbrauchern sind bereits nicht Gegenstand der Zahlungsverzugsrichtlinie. Die Richtlinie, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr dient, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu fördern, ist gemäß Art. 1 Abs. 2 (lediglich) auf Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden. (Miet-)Verträge mit Verbrauchern unterfallen daher nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie.
„Eine Ausdehnung auf Verbraucher ist nach ihrer Zielsetzung auch nicht erwünscht, denn der Erwägungsgrund 8 der Richtlinie sieht vor, dass ihr Anwendungsbereich auf die als Entgelt für Handelsgeschäfte geleisteten Zahlungen beschränkt und keine Geschäfte mit Verbrauchern umfasst sein sollten. Ein von dieser Vorgabe abweichender Wille des nationalen Gesetzgebers, die Zahlungsverzugsrichtlinie zu Lasten von Verbrauchern umzusetzen, ist weder bei der Umsetzung der ersten Zahlungsverzugsrichtlinie (Richtlinie 2000/35/EG) noch bei der neugefassten Zahlungsverzugsrichtlinie (Richtlinie 2011/7/EU) erkennbar geworden, so dass die Voraussetzungen einer richtlinienkonformen Auslegung nicht gegeben sind.“
„Die Richtlinie 2000/35/EG zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) umgesetzt. Der Umsetzungsbedarf wurde im Gesetzgebungsverfahren als "gering" (BT-Drucks. 14/6040, S. 81) beziehungsweise "äußerst gering" (BT-Drucks, aaO S. 82) angesehen. Hervorgehoben wurde, dass die Richtlinie nicht sämtliche Forderungen betrifft, sondern nach ihrem Art. 1 nur Ansprüche auf Zahlung eines (vereinbarten) Entgelts im Geschäftsverkehr und damit nur im Verhältnis von Unternehmern untereinander und von Unternehmern zu öffentlichen Stellen gilt (BT-Drucks., aaO). Zwar sollte es - worauf die Revision hinweist - nach den Gesetzesmaterialien "Ziel des deutschen Gesetzgebers sein, im Interesse der Übersichtlichkeit und besseren Anwendbarkeit des deutschen Verzugsrechts und der Tradition folgend in möglichst weitgehendem Umfang für jedermann geltende Regelungen beizubehalten und von der Schaffung eines Sonderverzugsrechts abzusehen" (BT-Drucks. aaO). Dies belegt jedoch nicht, dass für den unternehmerischen Geschäftsverkehr getroffene Wertungen der Richtlinie ohne Weiteres zu Lasten von Verbrauchern umgesetzt werden sollten, zumal die Gesetzesmaterialien hervorheben, dass für Verbraucher und Unternehmer "in einzelnen Punkten differenzierende Regelungen notwendig" seien (BT-Drucks. aaO). (2) Im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinie 2011/7/EU ist besonders deutlich geworden, dass die Rechtsstellung von Verbrauchern nicht verschlechtert werden sollte“
c. Verzug wegen der im Vertrag enthaltenen AGB?
Fraglich ist, ob der Verzug aufgrund der im Mietvertrag in § 4 Nummer 3 enthaltenen Klausel begründet werden kann.
Bei der vorformulierten Klausel handelt es sich um eine AGB.
In Ermangelung weiterer Angaben ist von einer wirksamen Einbeziehung gemäß § 305 Abs. 2 BGB auszugehen.
Fraglich ist, ob die Klausel einer Inhaltskontrolle standhält. Ein Fall von §§ 308, 309 BGB ist nicht ersichtlich. Eine Unwirksamkeit könnte sich jedoch aufgrund einer unangemessenen Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ergeben.
Dabei sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Primärer Ansatzpunkt für die Auslegung ist der Wortlaut.
Gemessen an diesem Maßstab kommen zwei Auslegungsmöglichkeiten in Betracht.
Die Klausel kann dahingehend verstanden werden, dass der Mieter für außerhalb seines Einflussbereichs liegende Fehler der beteiligten Zahlungsdienstleister nicht einzustehen hat.
Die Klausel eröffnet jedoch auch die Verständnismöglichkeit, dass der Mieter - trotz rechtzeitiger Erteilung des Auftrags - sich eine Verzögerung, die in der Sphäre des Zahlungsdienstleisters liegt, zurechnen lassen muss.
Der nachfolgende Satz der Klausel unterstreicht, dass eine solche Auslegung für den rechtlich nicht vorgebildeten Mieter nicht abwegig ist. Hier wird darauf hingewiesen, dass mehrfach verspätete Mietzahlungen im Einzelfall ein Grund für eine Kündigung des Mietverhältnisses sein können. Eine Differenzierung zwischen zu vertretender und nicht zu vertretender Verzögerung enthält die Klausel gerade nicht.
Zweifel bei der Auslegung gehen zu Lasten des Verwenders (§ 305c II).
In ihrer kundenfeindlichsten Auslegung erlegt die Klausel den Beklagten das Risiko der Kündigung wegen Zahlungsverzögerungen auch dann auf, wenn diese nicht aus ihrer Sphäre stammen.
Hierdurch benachteiligt die Klausel die Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen gemäß § 307 Absatz ein Satz 1 BGB.
Auch kann die Rechtsprechung zu entsprechenden Klauseln bei Kaufleuten nicht übertragen werden.
„Ohne Erfolg verweist die Revision darauf, dass der Bundesgerichtshof die Verwendung einer Formularklausel, nach der es für die Rechtzeitigkeit der Mietzahlung ohne jede Einschränkung auf den Geldeingang beim Vermieter ankommt, bei der Miete von Geschäftsräumen gebilligt hat. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 1998 (XII ZR 195/96, BGHZ 139, 123, 125 f.) halte eine solche Rechtzeitigkeitsklausel der Inhaltskontrolle stand, wenn sie sich auf die Zahlung der laufenden Miete beziehe und die Parteien zudem Kaufleute seien; eine solche Klausel bedeute gemessen an den Bedürfnissen des modernen Zahlungsverkehrs keine unangemessene Benachteiligung des Mieters. Diese - ausdrücklich auf Kaufleute begrenzte - Bewertung ist auf Wohnraummietverhältnisse nicht übertragbar. Angesichts der schwerwiegenden Nachteile, die der Mieter im Fall des (unverschuldeten) Verlustes der Wohnung als seines räumlichen Lebensmittelpunktes zu erwarten hat (vgl. dazu BVerfGE 68, 361, 370; 79, 292, 302; 89, 1, 13; Senatsurteil vom 4. November 2015 - VIII ZR 217/14, BGHZ 207, 246 Rn. 39), hat der Vermieter kein schutzwürdiges Interesse, den Mieter für Zahlungsverzögerungen verantwortlich zu machen, die auf Fehlleistungen eingeschalteter Zahlungsdienstleister beruhen.“
Nach § 306 II kommt es auf die gesetzliche Regelung an. Hiernach war die rechtzeitige Absendung ausreichend.
3. Ergebnis
Ein Anspruch auf Räumung oder Herausgabe ergibt sich in Ermangelung eines Kündigungsgrundes nicht.
Expertentipp
I.v.F. bestünde auch keine Möglichkeit ordentlich zu kündigen, da kein berechtigtes Interesse des Vermieters gem § 573 I S. 1, II feststellbar ist.
Wiederholungsfragen:
- Auf welchen Zeitpunkt kommt es an, um die Rechtzeitigkeit einer Mietzahlung zu bestimmen?
- Kann die Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr an dieser Einschätzung etwas ändern?