A Sachverhalt
Mit Vertrag vom 12. Juli 2011 kaufte der Kläger (K) vom Beklagten (B) einen gebrauchten Audi Q7 zu einem Kaufpreis von 36.000 €. Noch am selben Tag wurde der Kaufpreis bezahlt und das Fahrzeug zusammen mit einer von der Stadt Köln ausgestellten Zulassungsbescheinigung II, in die der B als Eigentümer eingetragen war, an den K übergeben.
Ca. 20 Monate später, am 6. März 2013, wurde der K mit dem Fahrzeug bei der Rückkehr aus der Türkei an der serbischen Grenze angehalten. Das Fahrzeug wurde dort auf der Grundlage einer Interpol-Meldung mit der Begründung beschlagnahmt, es werde in Rumänien als Gegenstand einer Straftat gesucht.
Der K erhielt später die Mitteilung, dass das Fahrzeug seit dem 22. Februar 2013 im Schengener Informationssystem (SIS) zwecks Sicherstellung ausgeschrieben ist.
Als Fahrzeughalter ist in Rumänien seit dem 22.12.2008 das Unternehmen E als Besitzerin gemeldet. An dieses Unternehmen wurde das beschlagnahmte Fahrzeug in der Folge herausgegeben.
Kann der K vom Vertrag zurücktreten?
B Lösung
I §§ 437 Nr. 2, 346 I, 435, 323
1 Gegenseitiger Vertrag
Ein gegenseitiger Vertrag liegt hier in Gestalt des Kaufvertrags vor.
2 Rechtsmangel
Nach § 435 BGB ist die Sache frei von Rechtsmängeln, wenn Dritte in Bezug auf die Sache keine oder nur die im Kaufvertrag übernommenen Rechte gegen den Käufer geltend machen können.
Fraglich ist, ob öffentlich rechtliche Eingriffsbefugnisse, Beschränkungen oder Bindungen in Bezug auf die Kaufsache überhaupt einen Rechtsmangel im Sinne von §435 begründen können.
Dies wird für diejenigen Fälle bejaht, bei denen der entsprechende Umstand nicht an die Beschaffenheit der Kaufsache anknüpft. In letzteren Fällen kann ein Sachmangel vorliegen (BGH NJW 2017, 1666).
Mit einer SIS-Ausschreibung eines Kraftfahrzeugs zur Fahndung ist die konkrete, im gesamten Schengen-Raum bestehende Gefahr verbunden, dass das Fahrzeug bei einer Halteränderung oder bei einer polizeilichen Kontrolle von staatlichen Behörden rechtmäßig sichergestellt oder beschlagnahmt wird (Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15) mit der Folge, dass es der Käufer - unabhängig von einem etwaig bestehenden, für die Beurteilung eines Rechtsmangels nicht maßgebenden Eigentumsherausgabeanspruch eines (Vor-)Eigentümers - nicht mehr ungestört im In- und Ausland nutzen kann (Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 22, 28).
Demnach liegt im vorliegenden Fall eine Konstellation vor, in der ein Rechtsmangel dem Grunde nach angenommen werden kann.
3 Bestehen bei Gefahrübergang
Der Rechtsmangel müsste bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Fraglich ist hierbei, ob für die Annahme eines Rechtsmangels ausreichend ist, dass die zu einer entsprechenden Eintragung führenden Umstände vorliegen oder die Eintragung selbst bereits zum Gefahrübergang erfolgt sein muss.
a LG Köln
Nach Ansicht des Landgerichts Köln ist für die Annahme eines Rechtsmangels nicht die Eintragung in das SIS selbst entscheidend, sondern das Vorliegen eines Sachverhalts, der
dann in der Folge zu einer Eintragung führen könne und im Streitfall auch dazu
geführt habe.
b Ansicht des BGH
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH kommt es darauf an, dass die Eintragung bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestand (BGH NJW 2017, 3292).
An dieser Rechtsprechung hält der BGH auch im vorliegenden Urteil fest (BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 - VIII ZR 267/17 ).
„Grund hierfür ist der Umstand, dass der Käufer mit der Aufnahme des Fahrzeugs in die SIS-Fahndungsliste in der ungestörten Nutzung der Kaufsache und damit in der Ausübung der ihm - nach Übergabe - gebührenden Rechtsposition eines Eigentümers (§ 903 BGB) konkret beeinträchtigt ist. Erst mit der Eintragung in das SIS verdichtet sich das Risiko der Ausübung von Rechten Dritter - hier in Gestalt strafprozessrechtlicher Zugriffsbefugnisse auf das verkaufte Fahrzeug - so stark, dass mit dessen Verwirklichung unmittelbar und jederzeit gerechnet werden muss.“
Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts hätte eine weder sachlich gerechtfertigte noch zumutbare Ausdehnung der Haftung des Gebrauchtwagenverkäufers zur Folge. Denn dieser müsste selbst bei dem Verkauf von Fahrzeugen, die eine lückenlos dokumentierte Historie aufweisen, auf lange Zeit für ein bei Gefahrübergang für ihn weder erkennbares noch beherrschbares tatsächliches Geschehen einstehen, das irgendwann einen staatlichen Zugriff auf das Fahrzeug ermöglicht.
Hinweis
Eine andere Beurteilung ist auch nicht mit Rücksicht auf das Urteil des Senats zu einer nach § 111b StPO rechtmäßig durchgeführten Beschlagnahme geboten (Senatsurteil vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03, NJW 2004, 1802 unter II 1, in Bezug genommen durch Senatsurteil vom 18. Januar 2017 - VIII ZR 234/15, aaO Rn. 21). Denn dieses Urteil ist zu einer speziellen Sachverhaltskonstellation ergangen und lässt sich nicht dahin verallgemeinern, dass jegliche bei Gefahrübergang vorhandenen Umstände, die zu einem späteren
Zeitpunkt zu einer behördlichen Sicherstellung des Kaufgegenstandes führen, bereits die Annahme eines im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestehenden Rechtsmangels rechtfertigen. Der in dem Senatsurteil vom 18. Februar 2004 (VIII ZR 78/03, aaO) zu
beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine Diebstahlsanzeige vorlag und strafrechtliche Ermittlungen - auch gegen den Käufer des Fahrzeugs - wegen des Verdachts der Hehlerei geführt wurden, in deren Folge es 16 Tage nach der Übergabe zu einer (rechtmäßigen und danach richterlich bestätigten) Beschlagnahme durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden kam (Senatsurteil vom 18. Februar 2004 - VIII ZR 78/03, aaO). Somit drohte in jenem Fall bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs eine alsbaldige behördliche Beschlagnahme, die die Annahme eines bereits zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtsmangels begründen konnte.
Eine derartig "verdichtete" Situation einer unmittelbar drohenden behördlichen Beschlagnahme bestand im vorliegenden Fall gerade nicht.
II Ergebnis
Ein Rücktritt kommt infolge fehlenden Rechtsmangels zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht in Betracht.