Sachverhalt (vereinfacht):
Die Klägerin (K) buchte bei der Beklagten (B) eine Pauschalreise vom 19. Mai bis 1. Juni 2013 in die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Januar 2013 beantragte sie bei der Gemeinde (G) ihres Wohnsitzes neue Reisepässe, die ausgestellt und übergeben wurden.
Die G hatte der Bundesdruckerei den Eingang der Pässe jedoch nicht bestätigt, was zur Folge hatte, dass die Bundesdruckerei die an die G versandten Ausweisdokumente als abhandengekommen meldete.
Dies führte wiederum dazu, dass der K am Abreisetag der Abflug in die Vereinigten Staaten verwehrt wurde.
K kündigt daraufhin den Vertrag und verlangt Rückzahlung des Reisepreises.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises?
Das Bestehen und die Reichweite der Rückzahlungspflicht ist von den jeweils einschlägigen Normen abhängig.
I. Ein Anspruch auf Rückzahlung könnte sich infolge des Rücktritts aus §§ 651j Abs. 2 Satz 1, 651e Abs. 3 Satz 1 BGB ergeben.
Laut Sachverhalt wurde eine Pauschalreise gebucht. Damit kann davon ausgegangen werden, dass objektiv mindestens zwei Leistungsteile, die nahezu gleichwertig sind, also nicht nur untergeordnete Bedeutung haben, von vornherein als Gesamtpaket versprochen wurden. Ein Reisevertrag gemäß § 651a liegt demnach vor.
B hat die Kündigung erklärt.
1. Anspruch aus § 651j Abs. 2 Satz 1, § 651e Abs. 3 Satz 1 direkt?
Fraglich ist, ob sich ein Anspruch auf Rückzahlung unmittelbar aus diesen Vorschriften ergibt oder ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht nötig ist.
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass nach erfolgter Kündigung der rechtliche Grund für die Leistung wegfällt. Demnach wäre § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 zu prüfen.
Dieser Ansatz wird jedoch von der herrschenden Ansicht abgelehnt. Vielmehr ist das Verhältnis nach erfolgter Kündigung einem Rückgewährschuldverhältnis im Sinne der §§ 346ff. näher.
Die letztgenannte Ansatz ist vorzugswürdig. Hierdurch wird dem Reiseveranstalter die Möglichkeit genommen sich auf Entreicherung nach § 818 Abs. 3 zu berufen. Ein solcher Ansatz ist interessengerecht, da die Rückabwicklung eines an sich wirksamen Vertrages vorgenommen wird und dies den Regelungen des Rücktrittsrechts am nächsten kommt.
Demnach ist der Anspruch §§ 651j Abs. 2 S. 1, 651e Abs. 3 S. 1 direkt zu entnehmen und die Rechtsfolge an den Regelungen von §§ 346ff. zu orientieren.
2. Höhere Gewalt
Nach dieser Vorschrift kann der Reisevertrag gekündigt werden, wenn die Reise, d.h. die Gesamtheit der Reiseleistungen, die der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden im konkreten Fall zu erbringen hat (§ 651a Abs. 1 Satz 1 BGB), infolge bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt erheblich erschwert, gefährdet oder beeinträchtigt wird.
„§ 651j BGB regelt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen besonderen Fall der Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, die beiden Vertragsparteien die Möglichkeit der Kündigung allein nach Maßgabe dieser Vorschrift eröffnet.“
Unter höherer Gewalt im auch für § 651j BGB maßgeblichen haftpflichtrechtlichen Sinne wird ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis verstanden.
Hinweis:
Hinweis
Typische Fälle sind: Krieg, innere Unruhen, Streik, hoheitliche Anordnungen, Epidemien oder Naturkatastrophen oder ähnlich schwerwiegende Ereignisse
„Das Merkmal des fehlenden betrieblichen Zusammenhangs bringt dabei für den typischen Fall, dass das nicht abwendbare Ereignis die Betriebstätigkeit des Unternehmers und damit die Leistungserbringung stört oder verhindert, zum Ausdruck, dass die Ursache nicht selbst in der (Risiko-)Sphäre des Unternehmers liegen darf.“
Dies gilt natürlich auch für die andere Vertragspartei; höhere Gewalt liegt auch insoweit nicht vor, wenn das Ereignis ihrer Risikosphäre, im Reiserecht mithin der persönlichen Sphäre des Reisenden zuzurechnen ist.
Demnach darf der störende Umstand nicht in die Risikosphäre einer der am Vertrag beteiligten Parteien fallen.
„Dass ein höhere Gewalt verkörperndes Ereignis nicht der Risikosphäre einer Vertragspartei zuzuordnen sein darf, hat die Rechtsprechung vornehmlich mit Blick auf die Abgrenzung zwischen der betrieblichen Risikosphäre des Reiseveranstalters und der Sphäre der die Allgemeinheit oder eine unbestimmte Vielzahl von Betroffenen berührenden Lebensrisiken herausgearbeitet. So hat der Bundesgerichtshof in dem einen auf einem Nilschiff ausgebrochenen Brand betreffenden Fall darauf abgehoben, dass der Brand, der zur Folge hatte, dass die Reise mit dem Schiff nicht fortgesetzt werden konnte, in engem Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes stehe, möge seine genaue Ursache auch ungeklärt geblieben sein, und höhere Gewalt demgemäß verneint (BGHZ 100, 185, 188).
Im Falle einer (mutmaßlich) erhöhten Strahlenbelastung im Reisegebiet infolge des Reaktorunfalls in Tschernobyl und in dem vom Senat entschiedenen Fall einer infolge der Sperrung des transatlantischen Luftraums nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull unmöglich gewordenen (nicht zur vertraglich geschuldeten Reise gehörenden) Fluganreise zum Ausgangspunkt einer Kreuzfahrt in Florida, ist hingegen jeweils für maßgeblich erachtet worden, dass die Störungsursache dem Risikobereich keiner Vertragspartei zugeordnet werden konnte (BGHZ 109, 224, 228; BGH, NJW 2013, 1674 Rn. 19) und höhere Gewalt demgemäß bejaht worden.“
Maßgeblich war in letzterem Fall, dass nicht lediglich die individuelle Anreise des Reisenden zu dem Hafen (wegen eines Unfalls, einer Flugannullierung oder dergleichen) gescheitert war, sondern die Fluganreise von Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika infolge einer Naturkatastrophe schlechthin ausgeschlossen war.
Die Definition solcher - und nur solcher - Fälle als Folge höherer Gewalt trägt dem Umstand Rechnung, dass es unangemessen wäre, Störungen der allgemeinen Lebensverhältnisse zu Lasten einer Partei ausschlagen zu lassen, die ihren Grund in Naturkatastrophen oder nicht vorhersehbaren staatlichen Anordnungen wie allgemeinen Reisebeschränkungen oder dergleichen haben und die Geschäftsgrundlage stören oder beseitigen, auf die die Parteien ihre vertragliche Übereinkunft aufgebaut haben.
Ist das Reiseziel etwa infolge einer Naturkatastrophe nicht erreichbar, kann deshalb weder der Veranstalter den Reisepreis verlangen, noch der Reisende die Durchführung der Reise oder Schadensersatz wegen ihrer Nichtdurchführung. Verliert hingegen der Reiseveranstalter ein notwendiges Betriebsmittel oder erkrankt der Reisende so schwer, dass er die Reise nicht antreten kann, fällt dies jeweils in die Risikosphäre der betroffenen Vertragspartei und sie muss die Folgen auch dann tragen, wenn das Ereignis von ihr nicht zu beeinflussen war und in einem weiteren Sinne "höhere Gewalt" darstellt. Vielfach stehen der betroffenen Vertragspartei in solchen Fällen auch Ersatzansprüche gegen Dritte oder zumindest die Möglichkeit zu das betreffende Risiko zu versichern.
Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall von höherer Gewalt ausgegangen werden kann oder das störende Ereignis dem allgemeinen Lebensrisiko einer der am Vertrag beteiligten Personen zuzuordnen ist.
Der Reiseveranstalter hat die benötigten Beförderungsmittel, die Unterkunft und alle weiteren Waren und Dienstleistungen bereitzustellen, deren es zur mangelfreien Erbringung der Reiseleistungen bedarf.
Der Reisende hat den Reisepreis zu zahlen und sozusagen sich in Person zur Verfügung zu stellen, denn die Verpflichtung des Reiseveranstalters erschöpft sich nicht in der Bereitstellung der Reiseleistung, sondern sie erfasst die Durchführung der Reise seines Vertragspartners, des Reisenden (BGH, NJW 2013, 1674 Rn. 21).
Die Sorge für die geeignete Beschaffenheit der Ausweispapiere - ihre Gültigkeit, ihr rechtzeitiges Vorliegen zum Reiseantritt und ihre Tauglichkeit für die vorgesehene Reise – ist dabei die Angelegenheit des Reisenden. Sie ist mit seiner Person verbunden und gehört deshalb regelmäßig zu seiner Risikosphäre.
Ist der Reisende persönlich zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage, weil seine Gesundheit oder sonst seine persönlichen Verhältnisse ihm dies nicht erlauben oder ihm nötige Reisedokumente fehlen, kann die Reise aus in seiner Person liegenden Gründen nicht wie vereinbart durchgeführt werden.
So verhält es sich im Streitfall, denn die Teilnahme der Klägerin an der Reise ist daran gescheitert, dass die Eignung ihrer Pässe zum Nachweis der Erfüllung aller Einreisevoraussetzungen verneint oder jedenfalls als nicht gesichert angesehen wurde.
Auch wenn die Reisenden weder hierauf Einfluss hatten, noch diesen Umstand voraussehen konnten, so betraf er doch nicht die allgemeinen Lebensverhältnisse, die der Vertrag der Parteien als gegeben voraussetzte, sondern die Klägerin als Inhaber der betreffenden Reisedokumente individuell.
Hinweis
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die behördlichen Maßnahmen, die infolge dieses Versäumnisses ergriffen wurden, dem Schutz der Reisenden dienten, wie das Berufungsgericht gemeint hat, oder - jedenfalls in erster Linie - dem Schutz der Allgemeinheit vor der missbräuchlichen Verwendung von Ausweispapieren. Denn unabhängig hiervon beschränkte sich die Auswirkung der behördlichen Maßnahmen auf die Ausweispapiere der Klägerin und betraf damit im Zusammenhang des Reisevertrages den Beitrag der Reisenden zur Erbringung der vereinbarten Reiseleistungen. Auch ein Verschulden der Gemeinde ist hier nicht relevant. Allerdings ist das Verschulden im Rahmen der Ansprüche gegen die Gemeinde zu beachten (§ 839 BGB).
II. Ergebnis
R kann die Rückzahlung des Reisepreises von V nicht verlangen, da eine Kündigung des Reisevertrags nicht möglich war.