Die Politik muss beim Klimaschutz nachbessern, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) greife diesbezüglich zu kurz, urteilte das BVerfG - Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 u.a.
Das KSG soll vor den Auswirkungen des globalen Klimawandels schützen. Es fußt zum einen auf den Verpflichtungen des internationalen Übereinkommens von Paris und zum anderen gibt es das Bekenntnis der Bundesrepublik, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen. Doch der Plan, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, so das BVerfG.
Nach dem Gesetz werden die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise um mindestens 55 Prozent gemindert. Das KSG regelt außerdem zulässige Jahresemissionsmengen in verschiedenen Sektoren geregelt. Eine Regelung über 2030 hinaus enthält das Gesetz jedoch nicht. Vielmehr legt die Bundesregierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung fest.
Mehrere Beschwerdeführer aus Deutschland, Bangladesch und Nepal, etwa Luisa Neubauer von Fridays for Future und Prominente wie Hannes Jaenicke, hatten sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt, um strengere Klimaschutzziele zu erreichen. Diesen insgesamt vier Verfassungsbeschwerden gab das höchste Gericht nun teilweise statt. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“ Und weiter: Wenn das CO2-Budget schon bis zum Jahr 2030 umfangreich verbraucht werde, verschärfe dies das Risiko „schwerwiegender Freiheitseinbußen“, da die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen dadurch immer knapper werde.
Der Bund müsse daher auch jetzt schon klar regeln, wie es nach 2030 weitergehen soll, so das BVerfG. Die Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 klarer und genauer zu regeln. Denn: Die teils noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch Regelungen im KSG in ihren Freiheitsrechten verletzt. Eine (zu) zögerliche Klimapolitik bedrohe die Freiheit zukünftiger Generationen. Zur Wahrung der Freiheitsrechte hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzumildern“. Das BVerfG nennt dies „Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität“. Diese lägen bis dato jedoch nicht vor. Das Gericht betonte aber auch, es lasse sich nicht feststellen, dass der Gesetzgeber seine Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG wegen der Gefahren des Klimawandels verletzt habe.
Künftig könnten sogar gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Zwar müssten die Grundrechte - wie immer - abgewogen werden. Jedoch: „[…] nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.“ Mit den natürlichen Lebensgrundlagen müsse sorgsam umgegangen werden, sie müssten der Nachwelt in einem Zustand hinterlassen werden, „dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten“. Die Entscheidung verpflichtet den Gesetzgeber daher, frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion zu treffen. Damit verbinden die Richter Entwicklungsdruck und Planungssicherheit. Verfassungsrechtlich unerlässlich sei dafür einerseits, dass weitere Reduktionsmaßgaben rechtzeitig über 2030 hinaus, dabei gleichzeitig hinreichend weit in die Zukunft hinein festgelegt werden. Zudem müssten - zwecks konkreter Orientierung - weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben differenziert festgelegt werden.
Auch auf die Staatszielbestimmung aus Artikel 20a des Grundgesetzes bezog sich das Gericht. Es dürfe nicht einer Generation zugestanden werden, „unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“. Dieser Klimaschutzverpflichtung aus Art. 20a GG stehe auch nicht entgegen, dass Klima und Erderwärmung globale Phänomene seien und somit nicht allein durch die Klimaschutzbeiträge eines Staates gelöst werden können. „Der Klimaschutzauftrag des Art. 20a GG hat eine besondere internationale Dimension“, so die Entscheidung. Art. 20a GG verpflichte den Staat, eine Lösung des Klimaschutzproblems gerade auch auf überstaatlicher Ebene zu suchen, er könne sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf das Verhalten anderer Staaten entziehen. „Aus der spezifischen Angewiesenheit auf die internationale Staatengemeinschaft folgt vielmehr umgekehrt die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen und für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen“. Umweltverbände, die ebenfalls nach Karlsruhe gezogen waren, um einen besseren Klimaschutz zu erreichen, erklärte die Richter jedoch für nicht beschwerdebefugt.
Umweltverbände bezeichneten die Entscheidung als bahnbrechend. Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte am Donnerstag: „Es ist ein unfassbar großer Tag für viele“. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte das Urteil als „epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen“. Zugleich sorge die Entscheidung für Planungssicherheit für die Wirtschaft. Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßt das Urteil: „Für den Klimaschutz ist das erstmal ein Ausrufezeichen" und weiter: „Jetzt gibt uns das Bundesverfassungsgericht ja im Kern auf, dass wir den Weg zur Klimaneutralität auch nach 2030 nicht nur in einer Strategie beschreiben“. Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock feierte das Urteil als „historische Entscheidung“ denn „Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel“. Die große Koalition will das Klimaschutzgesetz jetzt nachbessern. Bis 2030 sollen nun 65 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als 1990. Die Planung sieht auch vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird - und nicht, wie bislang geplant, erst 2050.