Dem Beschluss des OLG Nürnberg (Beschl. v. 14.01.2014, 4 U 2123/13, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de = NJW-RR 2014, 792 = BeckRS 2014, 04978 [beck-online] = NZM 2014, 367) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der K ist Eigentümer der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke mit den FlurstNrn. 641, 642 und 643 der Gemarkung P. Über das Grundstück mit der FlurstNr. 642 des K läuft ein Entwässerungsgraben, über welchem unter anderem der Landwirt X seine Fischweiher entwässert. An der südlichen Grundstücksgrenze der Grundstücke des K schließt sich ein im Eigentum der B stehendes Grundstück an. Durch dieses läuft der Entwässerungsgraben weiter. Auf dem Grundstück der B kommt es immer wieder zu Biberbauten. Hierdurch wurde in der Vergangenheit immer wieder Wasser angestaut, so dass es sich auf die Grundstücke des K seeartig zurückstaute. Zum Teil beseitigte der K die Biberbauten auf dem Grundstück des B selbst, zum Teil machte dies die B auf Aufforderung des K.
Der K begehrt die Verurteilung der B dahingehend, dass vom Grundstück der B keine („biberbedingten“) Einwirkungen mehr auf seine Grundstücke ausgehen.
Anmerkung: Die Überschwemmungen führten auch wiederholt zu Ernteausfällen bei K.
Besteht der geltend gemachte Anspruch des K gegen den B?
A. K gegen B: Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB
K könnte gegen B einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB dahingehend haben, dass vom Grundstück des B keine „biberbedingten“ Einwirkungen mehr auf das Grundstück des K ausgehen. Dann müssten die Voraussetzen von § 1004 Abs. 1 S. 1 u. 2 BGB gegeben sein.
Dann müsste gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB das Eigentum des K in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt werden und der B müsste Störer sein.
I. Eigentümer als Aktivlegitimierter
K ist Eigentümer des Grundstücks (§ 903 BGB) und damit aktivlegitimierter eines Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB.
II. Beeinträchtigung
Des Weiteren müsste das Grundstück des K auch beeinträchtigt sein. Eine Beeinträchtigung ist jede Störung des Eigentums, die nicht unter § 985 BGB (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 572). Hier ist eine gegenständliche Einwirkung auf das Grundstück des B als Beeinträchtigung möglich. Hier kam es durch die Umleitung des Wassers durch Biber auf dem Grundstück des B zu einer seeartigen Rückstauung des Wassers auf dem Grundstück des K. Hierdurch hat K Ernteausfälle erlitten. Mithin ist eine Beeinträchtigung gegeben.
III. Störer als Passivlegitimierter
Um passivlegitimierter eines Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB zu sein, müsste B Störer sein. Als Störer kommt in Betracht, wer durch eine Handlung das fremde Eigentum unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt (Handlungsstörer), oder wer für eine Sache verantwortlich ist, die wiederrum das Eigentum beeinträchtigt (Zustandsstörer) (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 573).
1. Handlungsstörer
Fraglich ist also zunächst, ob B Handlungsstörer ist. Hier hat B insoweit nicht gehandelt. Die Beeinträchtigung geht vielmehr von „biberbedingten“ Auswirkungen aus. Zwar ist es auch so, dass bei der Handlungshaftung, das Verhalten nicht nur in einem positiven Tun, sondern auch in einem pflichtwidrigen Unterlassen zu sehen sein kann (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 573a), jedoch ist auch hierfür nichts ersichtlich. Mithin ist B nicht Handlungsstörer.
Anmerkung: A.A. wohl vertretbar.
2. Zustandsstörer
Fraglich ist des Weiteren, ob B Zustandsstörer ist. Hier war B Eigentümer des Grundstücks von dem die „biberbedingten“ Einwirkungen auf das Grundstück des K ausgingen, die dann zur seeartigen Rückstauung führten. Jedoch reicht die Eigentümerstellung zur Bejahung der Zustandsstörerhaftung nicht aus (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 574). Der Eigentümer kann also grundsätzlich nur verantwortlich sein, wenn eine konkrete Gefahrenquelle geschaffen wird (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 574). Hierdurch soll vor allem eine Haftung für Naturereignisse ausgeschlossen werden (Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 574).
Zur Prüfung der Störereigenschaft führte das OLG Nürnberg folgendes aus: „Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass der Tatbestand des § 1004 BGB nicht erfüllt ist, wenn die Beeinträchtigung ausschließlich auf Naturkräfte zurückgeht. Der Abwehranspruch setzt voraus, dass die Beklagte als Störerin verantwortlich ist. Der bloße Umstand des Eigentums an demjenigen Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, reicht dazu nicht aus; die Beeinträchtigung muss vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen [...]. Durch Naturereignisse ausgelöste Störungen sind dem Eigentümer eines Grundstücks nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn die Beeinträchtigung durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden ist [...]. [...]
Es liegt am Problem des gesetzlich nicht näher geregelten Störerbegriffs, dass insbesondere im Bereich von Natureinwirkungen aus dem Zustand eines Grundstücks immer wieder schwierige Abgrenzungsprobleme auftreten, die sich nicht begrifflich allgemein gültig, sondern nur in wertender Betrachtungsweise von Fall zu Fall lösen lassen [hierzu kritisch: Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 574]. Legt man für die Frage, ob ein Eigentümer eine natürliche Einwirkung "durch eigene Handlungen ermöglicht" hat, den rein naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff zugrunde, so würden dem Grundstückseigentümer viel zu weitgehend auch Einwirkungen zugerechnet, die ein allgemeines Risiko darstellen und für die er nach Sinn und Zweck der nachbarrechtlichen Regelung des Nutzungskonflikts (§§ 903 ff BGB) nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Der Grundstückseigentümer hätte dann beispielsweise auch durch eine Nutzungsänderung im Rahmen landwirtschaftlicher Bewirtschaftung als Oberlieger auf abschüssigem Gelände den verstärkten Abfluss von Oberflächenwasser auf das Nachbargrundstück ermöglicht [...] oder durch Pflanzen von Bäumen deren späteres Umstürzen bei Sturm verursacht [...]. Der Bundesgerichtshof hat in diesen Fällen jedoch eine Verantwortung der Grundstückseigentümer abgelehnt. Er hat in einem Fall auf die seit jeher bestimmungsgemäß betriebene normale landwirtschaftliche Nutzung und die natürliche Eigenart des Grundstücks [...] und im anderen Fall darauf abgestellt, dass der vom Eigentümer geschaffene Zustand (Anpflanzen und Aufzucht widerstandsfähiger Bäume) keine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück gebildet habe und Sturmschäden bei gesunden Bäumen normalerweise nicht zu erwarten seien [...].
Ähnlich verhält es sich mit den hier vorliegenden (und für den Kläger störenden) Aktivitäten der Biber. Über die allgemeine Eignung des Grundstücks der Beklagten als Wohn- und Wirkungsstätte der Biber hinaus, hat die Beklagte keine konkrete Gefahrenquelle geschaffen, die sich später verwirklicht hat. Die vom Kläger beanstandeten Einwirkungen gehen auf ein zufälliges Naturereignis - der Einwanderung der Biber - zurück, das alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko trifft und zur natürlichen Eigenart nahezu jedes Wassergrundstücks gehört. Das zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass Biber (heutzutage) auch in innerstädtischen Bereichen von Großstädten anzutreffen sind. Die streitgegenständliche Beeinträchtigung kann bei wertender Betrachtung mithin auch nicht mehr mittelbar auf den Willen des Grundstückseigentümers zurückgeführt werden. Auch die außerordentlich weitgehende und vom Bundesgerichtshof bisher abgelehnte sogenannte Eigentumstheorie bejaht eine Verantwortlichkeit für Störungen durch derartige Einflüsse unmittelbar kraft Eigentums nur dann, wenn sich die der Sache selbst innewohnende Gefährlichkeit verwirklicht [hierzu: Prütting, Sachenrecht, 35. Aufl. 2013, Rn. 574]. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Eine Störereigenschaft der Beklagten käme daher nur dann in Betracht, wenn ihr ein pflichtwidriges Unterlassen vorzuwerfen wäre. Der Kläger verweist lediglich allgemein auf die Möglichkeit der Beklagten, Maßnahmen zu ergreifen, damit keine Beeinträchtigungen für ihn entstehen. Hierzu besteht aber genauso wenig eine Pflicht der Beklagten wie zu dem vom Kläger geforderten Einwirken auf die Gemeinde S. und/oder das Landratsamt N. als untere Naturschutzbehörde."
Mithin ist auch eine Zustandsstörerhaftung des B abzulehnen.
Anmerkung: A.A. wohl vertretbar.
Somit ist B im Ergebnis kein Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB. Mithin sind die Voraussetzungen von § 1004 Abs. 1 BGB nicht erfüllt.
IV. Ergebnis
K hat gegen B keinen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB dahingehend, dass vom Grundstück des B keine „biberbedingten“ Einwirkungen mehr auf das Grundstück des K ausgehen.
B. K gegen B: Unterlassungsanspruch aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses
K könnte gegen B einen Unterlassungsanspruch aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses dahingehend haben, dass vom Grundstück des B keine „biberbedingten“ Einwirkungen mehr auf das Grundstück des K ausgehen.
Grundsätzlich besteht zwischen Nachbarn ein nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis (Lüke, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 492). Problematisch ist hier vor allem, ob aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses positive Handlungspflichten entstehen können. Es handelt sich nämlich grundsätzlich nicht um eine schuldrechtliche Beziehung, aus der sich irgendwelche Pflichten ergeben können (Lüke, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 492). Es finden daher auch nicht die §§ 280 ff. BGB oder § 278 BGB Anwendung (Lüke, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 492). Vielmehr ist das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis ein besonderer Ausdruck von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und kann daher (nur) anspruchsbegrenzend wirken (Lüke, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 492). So lässt sich sagen, dass es sich um eine rein tatsächliche Nähebeziehung handelt, die aufgrund der verschiedenen Vorschriften gewissen Beschränkungen unterliegt (Lüke, Sachenrecht, 3. Aufl. 2014, Rn. 492).
Auch das OLG Nürnberg lehnt einen dahingehenden Anspruch des K gegen den B im Ergebnis mit folgender Begründung ab: „Der Klageanspruch ist auch unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht gegeben. In der Regel begründet dieser auf Treu und Glauben fußende Gedanke keine selbständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus [...]. Darüber hinaus kann das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Nachbarn untereinander nicht ohne weiteres die fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 1004 BGB und damit die Anspruchsgrundlage ersetzen. Mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen muss dies vielmehr eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben und kann nur dort zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Auch dann würde dem Betroffenen in erster Linie das Recht zustehen können, selbst auch auf dem Grundstück seines insoweit duldungspflichtigen Nachbarn Bekämpfungsmaßnahmen durchzuführen, wenn die Einwirkungen einerseits zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen und die entsprechende Duldungspflicht den Nachbarn nur gering belastet. Ein derartiger Anspruch wird hier aber nicht geltend gemacht.
2. Der Kläger hält an seiner [...] Auffassung fest, dass es unbillig erscheine, ihn darauf zu verweisen, Selbstmaßnahmen zu ergreifen, wenn über Jahre hinweg regelmäßig von dem Grundstück der Beklagten Gefahren ausgehen. Er erleide seit Jahren Ernteausfälle wegen der ständigen Überflutung seines Grundstücks. Er könne auch dauerhaft keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu beseitigen. Er meint, dass die Beklagte aus nachbarschaftlicher Treuepflicht die Verpflichtung treffe, Schäden abzuwenden. Die Beklagte betreibe keine bestimmungsgemäße landwirtschaftliche Nutzung. Weiterhin verweist er auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz [...].
3. Die Stellungnahme des Klägers [...] führt nicht zu einer Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung, insbesondere betrifft die vom Kläger zitierte Entscheidung des OLG Koblenz [...] eine nicht vergleichbare Fallkonstellation.
Im dort entschiedenen Fall hatte der Streitverkündete durch die Drainierung [Dies bedeutet Entwässerung, also das gezielte Abführen von Wasser durch künstliche Einrichtungen] seines Grundstücks einen Verstoß gegen das Landeswassergesetz begangen, weil ein Grundstückseigentümer den natürlichen Abfluss des Wassers nicht so verändern darf, dass Nachteile für andere Grundstücke entstehen. Die dortige Beklagte als unmittelbar benachbarte Grundstückeigentümerin haftete als mittelbare Störerin, weil über ihr Grundstück die vom Grundstück der Streitverkündeten abfließenden Wassermassen gleichsam konzentriert ihren Weg zum Grundstück der Klägerin fanden. Da darin eine nachteilige Wirkung für deren Grundstück lag, hatte sie einen (gleichsam drittschützenden) Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Landeswassergesetz, wobei die entsprechende Schutzpflicht zu Gunsten der Unterlieger sich aus der durch den (baulichen) Zustand des Beklagtengrundstücks geschaffenen Gefahrerhöhung (Verkehrssicherungspflicht) und letztlich im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ihre Grundlage findet.
Bei der hier streitgegenständlichen Konstellation fehlt es aber bereits an einem Rechtsverstoß (und damit an der Störereigenschaft) durch einen Nachbarn. Die Beklagte hat nicht (pflichtwidrig) durch Maßnahmen auf ihrem Grundstück eine Gefahrerhöhung für das Grundstück des Klägers geschaffen. Sie konnte als Eigentümerin über die Nutzung oder Nichtnutzung ihres Grundstücks grundsätzlich frei entscheiden (§ 903 BGB). Die Beklagte ist nicht verpflichtet, eine "normale landwirtschaftliche Nutzung" zu betreiben. Dass sie ihr Grundstück "verwahrlosen" lassen würde, behauptet auch der Kläger nicht. Vielmehr handelt es sich um ein naturbelassenes Grundstück mit einem Wassergraben und Uferbewuchs. Anders als nach den Landeswassergesetzen (für den umgekehrten Fall) gibt es auch keine (drittschützende) Pflicht, zugunsten eines Nachbarn den natürlichen Abfluss des Wassers so zu verändern, dass keine Nachteile für andere Grundstücke entstehen. Vielmehr hat die Natur - der Biber - selbst den Ablauf des Wassers ohne Zutun der Beklagten verändert. Dafür haftet die Beklagte nicht.“
Daher hat K gegen B keinen Unterlassungsanspruch aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses dahingehend, dass vom Grundstück des B keine „biberbedingten“ Einwirkungen mehr auf das Grundstück des K ausgehen.
Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/skript.php?id=37365.