„Quis custodiet ipsos custodes? - Wer bewacht die Wächter?“ mag man sich häufig fragen – insbesondere, wenn sich über dem „Wächter“ nur der „blaue Himmel“ wölbt… So sagte man es lange Zeit über das BVerfG in Karlsruhe. Hier hat sich durch die Europäische Integration und immer stärker vom Europäischen Gerichtshof EuGH bzw. Gerichtshof für Menschenrechte EMR übernommenen Aufgaben einiges verändert. Aber auch nationale deutsche Gerichte, in diesem Falle das örtlich zuständige VG Karlsruhe, können in seltenen Fällen überwachend und kontrollierend tätig werden.
Im ersten Verfahren zur Justizverwaltungstätigkeit des BVerfG erging ein Beschluss vom 14. Juni 2022 (Az. 4 K 233/22). Das VG Karlsruhe entscheidet: das BVerfG hätte Fragen einer Journalistin zum gemeinsamen Abendessen von Verfassungsrichtern mit Mitgliedern des Bundeskabinetts am 30. Juni 2021 vorgerichtlich beantworten müssen.
Die Veranstaltung im Sommer 2021 sorgte für Kritik. Auf Initiative von BVerfG-Gerichtspräsident Stephan Harbarth wurde das Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt waren gegen die Corona-Maßnahmen schon hunderte Verfahren anhängig, und nun traf man - Vertreter des Gerichts und verschiedener Ministerien bzw. Mitglieder der Bundesregierung - sich um zu Tisch „einander die jeweilige institutionelle Perspektive verständlicher zu machen“. Vom BVerfG werde es hier zwar keinen konkreten Äußerungen gegeben „um auch nur den Anschein zu vermeiden, hier werde mit der Bundesregierung unter Ausschluss der übrigen Verfahrensbeteiligten 'gekungelt‘ “, sagte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) dazu. Das Kanzleramt ging noch weiter und äußerte Bedenken („allerdings berühren beide Themen auch aktuelle Streitpunkte“).
Nichtsdestotrotz hielt Verfassungsrichterin Susanne Baer einen abstrakten Vortrag zur Problematik, während die ehemalige Justizministerin Christine Lambrecht konkret zu „Politischen Unsicherheiten während der Coronakrise“ Stellung bezog. Eine Journalistin stellte daraufhin Befangenheitsanträge gegen Gerichtspräsident Stephan Harbarth und Richterin Susanne Baer und machte u.a. geltend, dass ein thematischer Austausch zwar mit der Bundesregierung, mangels mündlicher Verhandlung aber nicht mit den Beschwerdeführern im Verfahren zur „Bundesnotbremse“ stattgefunden habe. Insoweit sei eine Ungleichbehandlung der Verfahrensbeteiligten gegeben. Mit Beschluss vom 12.10.2021, Az. 1 BvR 781/21 wurde der Antrag zurückgewiesen.
Die BILD-Journalistin Rosenfelder recherchierte weiter zur Sache, interessierte sich für den Inhalt der Rede von Richterin Baer und wollte näheres zu den Umständen der Umplanung des Abends durch Gerichtspräsident Harbarth in Erfahrung bringen. In den hierzu offen gelegten Unterlagen befanden sich weder der Vortrag von Richterin Baer noch Informationen über die Umplanung des Abends, und die Journalistin witterte Geheimhaltung und Vertuschung. So fand sich das Dankesschreiben des Gerichtspräsidenten zwar in den Akten des Kanzleramts, nicht aber in der vom BVerfG herausgegebenen Akte...
Während der Recherche bat Journalistin Rosenfelder am 22. Oktober 2021 das BVerfG darum, den Inhalt des Kurzvortrages der Verfassungsrichterin Susanne Baer zu erfahren, den diese auf dem Abendessen gehalten hatte. Drei Tage später wurde ihr seitens der Pressestelle des BVerfG mitgeteilt, dass zum Kurzvortrag weder Hand- noch Nebenakten vorlägen. Auf Nachfrage vom 2. November 2021, ob es Zuarbeiten zur Rede von Frau Baer gegeben habe und warum in der Akte des BVerfG nicht vermerkt sei, dass Themenvorschläge für das Abendessen vom Gerichtspräsidenten stammten, erwiderte die Pressestelle: „Ich verweise auf unsere bisherige Korrespondenz.“ Dies wurde zur Standardreplik auf Fragen wie am 4. November 2021 „Gibt es eine Aktenordnung beim BVerfG?“, „Gibt es eine Unterscheidung zwischen Verfahrensakten und Verwaltungsvorgängen?“, „Woher kommt die zeitliche Lücke in der Akte?“, „Sind Bestimmungen über Aktenordnung im Zusammenhang mit dem Kanzlerdinner eingehalten worden?“. Auch auf die Frage: „Auf welche 'bisherige Korrespondenz' nehmen Sie hier Bezug?“, kam die Antwort: „Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz.“
Mit Schreiben vom 17. Januar 2022 unter Verweis auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch fasste Rosenfelder dann den Komplex in neun weitere Fragen zusammen. Erneut die gleiche „Antwort“- nun beantragte die Journalistin vor dem VG Karlsruhe den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf Beantwortung der Fragen. Und gestützt auf die Pressefreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz. Nach ständiger Rechtsprechung – allerdings nicht des Bundesverfassungs-, sondern des Bundesverwaltungsgerichts – ergibt sich aus diesem Grundrecht ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch, den Pressevertreter auch gegen Bundesgerichte geltend machen können. Diese müssen auf Tatsachenfragen antworten, es sei denn Sicherheits- oder überwiegende Geheimhaltungsinteressen stünden dem entgegen.
Im Verfahren ließ sich das BVerfG nun anwaltlich vertreten und auf sechs Fragen antworten. So wurde u.a. erklärt, ein Brief von Harbarth an Merkel sei nicht in den Handakten, da er wegen eines Büroversehen falsch einsortiert worden sei. Den Brief übermittelte das BVerfG auch als Anlage. Vor allem aber gab das BVerfG an, die Akte nicht manipuliert sowie keine weiteren amtlichen Dokumente zurückgehalten zu haben. Ein Fehlverhalten räumt man nicht ein. Nach beidseitiger Erledigungserklärung beantragte das BVerfG, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen. Zwar bestritt man nicht den Auskunftsanspruch, aber die Antragstellung sei „verfrüht“ gewesen.
Da somit eine beidseitige Erledigungserklärung vorlag, musste nun das VG Karlsruhe nur noch über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen (§ 161 Abs. 2 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO) entscheiden. Hierbei unterzog es die Erfolgsaussichten des ursprünglichen Antrags einer summarischen Prüfung und fand so die Möglichkeit sich in der Sache zu äußern.
Dabei stellte es fest, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag bereits bestanden habe. Denn das BVerfG habe „lediglich auf die bisherige Korrespondenz (verwiesen), ohne auf die Fragen im Einzelnen einzugehen“. Auch hält das VG einen Anordnungsgrund für gegeben - denn es bestünde an Zusammenhängen der Coronapolitik der Bundesregierung und anhängigen Gerichtsverfahren ein gesteigertes öffentliches Interesse und wegen der zeitlich noch frischen Entscheidung des BVerfG zur Bundesnotbremse sowie der damit einhergehenden Berichterstattung zu den Befangenheitsanträgen gegen Richter bestehe auch ein fortdauernder Gegenwartsbezug. Im Ergebnis muss das BVerfG nun 2/3 und die Journalistin 1/3 der Kosten tragen.
Die AfD ist hingegen mit einer Klage gegen BVerfG wegen dessen Pressearbeit in erster Instanz vor dem VG Karlsruhe gescheitert (Urt. v. 26.08.2022, Az. 3 K 606/21). Streitgegenständlich war, dass das Verfassungsgericht vor Urteilsverkündungen die Pressemitteilung zur Entscheidung bestimmten Journalistinnen und Journalisten bereits am Vorabend zugänglich macht. Vollmitglieder der Justizpressekonferenz (JPK) können sich die Mitteilungen an der Gerichtspforte als Papierausdruck abholen, wenn sie sich verpflichten Inhalt bis zur Urteilsverkündung vertraulich zu behandeln und erst parallel zu veröffentlichen. Somit wird den Medienvertretern Gelegenheit geben, die meist umfangreichen und komplexen Pressemitteilungen in Ruhe zu lesen und zu verstehen.
Die AfD brachte nun vor, dass direkt Verfahrensbeteiligte, die den Ausgang der Entscheidung erst am nächsten Morgen bei der Verkündung erfahren, gegenüber den Journalistinnen und Journalisten im Nachteil seien. Dies sei zudem eine unzulässige Verzerrung des politischen Wettbewerbs.
Die Kammer erachtet die Klage bereits als unzulässig, weil die erforderliche Klagebefugnis fehlte. Die AfD könne sich nicht auf die Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG berufen, weil sie als politische Partei schon selbst kein Presseorgan sei. Zudem stehe sie nicht in beruflichem Wettbewerb zu den JPK-Mitgliedern, weswegen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG „bereits offensichtlich ausscheidet“. Auch eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG konnte das VG nicht erkennen: Zum einen könne eine politische Partei sich hierauf nicht berufen. Darüber hinaus vermochte die Kammer nicht zu erkennen, dass es zu einer medialen Darstellung der AfD gekommen wäre, „die sich in ehrenrühriger Weise abträglich auf ihr Bild in der Öffentlichkeit ausgewirkt hätte“. Ein Anspruch, in der Öffentlichkeit wie gewünscht dargestellt zu werden, bestehe nicht, so das VG.