Mit dieser Frage musste sich jüngst der BGH befassen. Der Entscheidung (BGH NJW 2018, 245) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
A begab sich zusammen mit B in die Filiale einer Sparkasse und verwickelte B, während dieser seine Bankkarte einschob und den PIN eingab, in ein Gespräch. Unmittelbar nach Eingabe der PIN stieß er B nun gewaltsam zu Seite, gab den Auszahlungsbetrag in Höhe von 500 € ein und entnahm das Geld. Der Aufforderung des B, ihm das Geld zu geben, kam er nicht nach sondern entfernte sich von der Sparkasse. Aus Angst vor A unterließ B die Verfolgung.
263 StGB kommt ebenso wenig wie § 263a StGB in Betracht, da B durch Einschieben der Karte und Eingeben des PIN`s nicht täuschungsbedingt gegenüber A verfügte und A selber nicht unbefugt Daten verwendete. Diese Verwendung geschah vielmehr durch B selber.
Expertentipp
In der Klausur müssten diese Normen auch nicht geprüft werden, da es offensichtlich ist, dass eine Strafbarkeit ausscheidet.
In Betracht kommen könnte aber eine Strafbarkeit gem. § 249 I StGB, indem A den B wegstieß und das Geld aus dem Ausgabeschacht entnahm.
Dann müssten die Geldscheine für A fremde bewegliche Sachen gewesen sein. Hier müssen Sie in der Klausur das erste Mal sorgfältig prüfen, denn es ist denkbar, dass in dem Auszahlungsvorgang eine Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB gesehen werden kann. Hierzu bedarf es der Übergabe, die erfolgt ist, sowie der Einigung. Ob die Sparkasse ein Übereignungsangebot abgegeben hat, bedarf der Auslegung. Der BGH (a.a.O.) hat dazu folgendes ausgeführt:
„Adressat des mit dem Ausgabevorgang verbundenen Einigungsangebots ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut und der Interessenlage der Kontoinhaber, nicht aber ein unberechtigter Benutzer des Geldautomaten. Dies gilt auch dann, wenn eine technisch ordnungsgemäße Bedienung des Automaten vorangegangen ist ….. Bei der Auslegung der konkludenten rechtsgeschäftlichen Erklärung der Sparkasse müssen die Interessen und Zwecke, die mit einer dinglichen Einigung verfolgt werden, berücksichtigt werden. Das Geldinstitut hat keinen Anlass, das in seinem Automaten befindliche Geld an einen unberechtigten Benutzer der Bankkarte und der Geheimzahl des Kontoinhabers zu übereignen…… Sein Übereignungsangebot richtet sich erkennbar nur an den Kontoinhaber, der hier das Angebot nicht angenommen hat. Das Eigentum an den Geldscheinen verblieb demnach bei der Sparkasse.“
Die Geldscheine waren damit für A nach wie vor fremde bewegliche Sachen.
Fraglich ist nun aber, ob er diese auch weggenommen hat. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers.
Die Gelscheine standen zunächst im Gewahrsam der Mitarbeiter der Sparkasse, die Zugriff auf den Geldautomaten hatten. Nach Entnahme der Geldscheine durch A ging dieser Gewahrsam auf ihn über, da die Verkehrsauffassung demjenigen, der das Geld in Händen hält auch den Gewahrsam daran zuweisen würde. Fraglich ist nun aber, ob der Gewahrsamsbruch auch gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers erfolgte. Das hat der BGH (a.a.O.) zu Recht verneint:
„Wird der Geldautomat technisch ordnungsgemäß bedient, erfolgt die tatsächliche Ausgabe des Geldes mit dem Willen des Geldinstituts. Dessen Gewahrsam wird nicht gebrochen.….. Insoweit ist der tatsächliche Vorgang der Gewahrsamspreisgabe auch von dem rechtsgeschäftlichen Angebot an den Kontoinhaber auf Übereignung zu unterscheiden …… Da der Zeuge B. keinen Gewahrsam an den Geldscheinen begründet hatte, konnte auch dieser vom Angeklagten nicht gebrochen werden.“
Damit scheidet eine Strafbarkeit gem. § 249 I StGB aus.
Fraglich ist nun, ob A sich gem. den §§ 253, 255 StGB strafbar gemacht haben könnte, indem er den B wegstieß und das Geld aus dem Ausgabeschacht entnahm.
In dem Wegstoßen liegt ein unmittelbar körperlich wirkender Zwang und damit Gewalt. Das dadurch kausal herbeigeführte Opferverhalten liebt in der Duldung der Entnahme der Geldscheine. Fraglich ist, ob dieses Opferverhalten eine Vermögensverfügung darstellen muss.
Expertentipp
Damit sind wir beim „Klausurklassiker“ der Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung.
Für den BGH, der davon ausgeht, dass die räuberische Erpressung sowohl ein Selbst- als auch ein Fremdschädigungsdelikt ist, ist das Dulden einer Wegnahme ausreichend. In aller Kürze hat er dementsprechend vorliegend folgendes ausgeführt:
„Auf eine Vermögensverfügung des Geschädigten kommt es als Nötigungserfolg nicht an…“
Nach der wohl immer noch h.L. ist die räuberische Erpressung hingegen ausschließlich ein Selbstschädigungsdelikt, weswegen das abgenötigte Opferverhalten eine freiwillige Vermögensverfügung darstellen muss. Eine solche kommt in Betracht, wenn das Opfer eine sog. „Hüterstellung“ zur Sache hat oder aber glaubt, sich der Gewalt entgegen stellen zu können. Beides ist vorliegend nicht gegeben. B hatte Angst vor A und unterließ deswegen jedwede Gegenwehr und spätere Verfolgung. Auch hatte er keine Hüterstellung zur weggenommenen Sache. Damit scheiden eine Vermögensverfügung und eine Strafbarkeit gem. den §§ 253, 255 StGB aus.
Expertentipp
In der Klausur müssten Sie den Streit also entscheiden. Welche Argumente ins Feld geführt werden können, erläutern wir Ihnen in der JURACADEMY im Kurs Strafrecht BT II oder im Examenskurs ausführlich. Hierzu finden Sie auch entsprechende Videos.
Für den BGH stellte sich also nur noch die Frage, ob B auch einen Vermögensschaden erlitten hatte. Dies hat er wie folgt bejaht:
„Der Zeuge hat dabei einen Vermögensschaden erlitten; denn einerseits wurde sein Konto automatisch mit dem Ausgabebetrag belastet, andererseits hat er die ihm von der Sparkasse zur Übereignung angebotenen Geldscheine nicht erhalten.“
Da auch der subjektive Tatbestand verwirklicht ist, A darüber hinaus auch rechtswidrig und schuldhaft handelte, hat er sich gem. den §§ 253, 255 StGB strafbar gemacht.
Expertentipp
Sofern Sie mit der Lit. die §§ 253, 255 StGB verneinen, bleibt eine Strafbarkeit gem. § 246 I StGB durch das Einstecken des Geldes sowie eine Strafbarkeit gem. § 240 I, II StGB durch das Wegstoßen übrig. Diese Normen treten nach der Lösung des BGH in Gesetzeskonkurrenz zurück. Je nach Intensität des Wegstoßens ist evtl. auch eine Strafbarkeit gem. § 223 StGB denkbar.