Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist ein Verlag, der unter anderem eine Tageszeitung herausgibt. Ihr Redaktionsleiter erfragte beim Bundesnachrichtendienst (BND), welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen auf der sogenannten Selektorenliste der NSA gestanden hätten und mithin Ziel von Abhörmaßnahmen durch den BND gewesen seien. Die Liste dieser Selektoren, welche IP-Adressen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geokoordinaten und ähnliche Daten der betreffenden Personen und Unternehmen enthält, sei dem BND durch die NSA überreicht worden.
Der BND lehnte die Beantwortung dieser Anfrage mit der Begründung ab, dass er sich „operativen Aspekten seiner Arbeit nur gegenüber der Bundesregierung und den geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages“ äußere.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Bundesverwaltungsgericht, den BND als Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO dazu zu verpflichten, die in Frage stehenden Auskünfte zu erteilen.
Entscheidung des Gerichts:
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Weil der Presse ein Anspruch im geltend gemachten Umfang nicht zustehe, fehle es schon am erforderlichen Anordnungsanspruch.
Mögliche Anspruchsgrundlage
Das Bundesverwaltungsgericht stellte zunächst fest, dass das Grundrecht der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG Vertretern der Presse grundsätzlich einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden verleiht. Dieser Anspruch besteht, sofern und soweit auf die fraglichen Materien mangels Gesetzgebungskompetenz der Länder die spezielleren Landespressegesetze keine Anwendung finden. Auf Grundlage des Anspruchs kann die Presse „in geeigneter Form behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen nicht entgegenstehen.“
Abwägung zwischen öffentlichem Geheimhaltungsinteresse und Informationsinteresse der Presse
Gerade derartige „berechtigte schutzwürdige Interessen des Bundesnachrichtendienstes an der Vertraulichkeit der streitigen Selektorenliste“ stünden einem Auskunftsverlangen des Verlags im konkreten Fall aber entgegen.
Zunächst setzte sich das Bundesverwaltungsgericht mit der gesetzlichen Aufgabe des BND auseinander: Diese bestehe darin, „zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen zu sammeln und auszuwerten.“ Dies geschehe mit nachrichtendienstlichen Mitteln und verdeckt, weshalb der BND gerade darauf angewiesen sein, dass die Art und Weise seiner Arbeit geheim blieben. „Müssten Auskünfte über solche Vorgänge erteilt werden, würde die Gewinnung von weiteren Informationen erschwert, wenn nicht verhindert, und wäre damit die Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gefährdet.“
Operative Vorgänge des BND generell geheimhaltungsbedürftig
In Bezug auf „operative Vorgänge“ dieser Arbeit überwiege daher sogar in aller Regel das staatliche Geheimhaltungsbedürfnis im Verhältnis zum Informationsinteresse der Presse. Daher sei ein Auskunftsanspruch in Bezug auf „operative Vorgänge“ generell ausgeschlossen, ohne dass es noch einer einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse bedürfte.
Zu diesen „operativen Vorgängen“ gehörten neben der Beschaffung und Auswertung von Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung auch die Frage nach dem „Ob sowie [nach] Art und Umfang der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten.“ Diese Zusammenarbeit sei von entscheidender Bedeutung für ein effektives Funktionieren des BND: Der Nachrichtendienst sei „auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, indem in gemeinsamem Zusammenwirken Informationen von beiderseitigem Interesse beschafft werden oder anderweit gewonnene Erkenntnisse ausgetauscht werden. […] Die Zusammenarbeit setzt voraus, dass die beteiligten Nachrichtendienste sich wechselseitig darauf verlassen können, dass von ihnen für geheimhaltungsbedürftig angesehene Informationen auch von der anderen Seite geheim gehalten werden.“
Weil also in Bezug auf die als „operativer Vorgang“ zu qualifizierende Zusammenarbeit des BND mit der NSA das öffentliche Geheimhaltungsinteresse über das Informationsinteresse der Presse überwiege, bestehe der geltend gemachte Anspruch auf Herausgabe der Selektorenliste nicht. Mangels Anordnungsanspruch lehnte das Bundesverwaltungsgericht daher den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Offengelassene Aspekte
Offen ließ das Gericht die Frage, ob der Gesetzgeber berechtigt sei, die Arbeit des BND insgesamt von Auskunftsansprüchen der Presse auszunehmen, ohne eine einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse vorsehen zu müssen.
Weiter ließ das Gericht auch die Frage ungeklärt, welche Aussage zum presserechtlichen Informationsanspruch Art. 10 Abs. 1 EMRK treffe. Denn „jedenfalls fände ein solches Recht seine Schranken in Bestimmungen der nationalen Sicherheit und Bestimmungen zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen (vgl. Art. 10 Abs. 2 EMRK).“
Im Ergebnis blieb das Bundesverfassungsgericht relativ vage. Dies gibt aber durchaus Anlass, die aufgeworfenen Fragen in einer Klausur zu thematisieren. Merken Sie sich, dass es einen verfassungsunmittelbaren Anspruch der Presse auf Auskunftserteilung gegenüber Bundesbehörden gibt (anders als auf Landeseben existiert auf Bundesebene nämlich kein presserechtlicher, einfachgesetzlicher Auskunftsanspruch). Behalten Sie zudem die Wertung des BVerwG zu „operativen Vorgängen“ im Hinterkopf und seien Sie insbesondere bei der Abwägung der gegenüberstehenden Interessen sorgfältig in Ihrer Argumentation. Dann kann in einer Klausur nichts schiefgehen.
Weitere Informationen zur Pressefreiheit finden Sie in den juriq-Skripten zu den Grundrechten.