Um die Fremdheit des Tatobjekts ging es vor kurzem bei einer Entscheidung des BayOLG zum „Containern“ (BayObLG , Beschluss vom 02.10.2019, 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19 – abgedruckt in BeckRS 2019, 24051). Die Täterinnen hatten Lebensmitteln aus Containern einer Supermarktkette herausgenommen. Diese Container standen auf dem Grundstück der Firma im Zuliefererbereich und waren verschlossen. Die Firma hatte sie dort zur Entsorgung durch eine Fachfirma bereitgestellt.
Hinweis
Die mittlerweile eingeleigte Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 05. August 2020 (2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19 - abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de) nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung unten mehr.
Die Täterinnen könnten sich gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie die Lebensmittel aus den Containern entnahmen.
Fraglich ist jedoch, ob die sich in den Containern befindlichen Lebensmittel für die Täterinnen „fremd“ waren.
Merke
Fremd ist eine Sache immer dann, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist.
Die Lebensmittel könnten hier, da sie sich im Abfallcontainer befanden, herrenlos sein. Dazu das BayOLG:
„Herrenlos und damit nicht „fremd“ i.S. des § 242 StGB sind dagegen Sachen, an denen Eigentum entweder nie bestanden hat oder bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz an der Sache aufgibt, § 959 BGB (sog. Dereliktion). Der Verzichtswille braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er kann sich auch aus dem nach außen erkennbaren Verhalten des Eigentümers ergeben, z.B. durch Wegwerfen einer Sache (BayObLGSt 1986, 72). Ob insbesondere aus der Besitzaufgabe ohne weiteres auch auf einen Eigentumsverzicht geschlossen werden kann, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalles ab (BayObLG a.a.O.).“
Diese Eigentumsaufgabe hat das BayOLG aufgrund der vorliegenden Umstände verneint. Es hat dazu ausgeführt:
„Die Wertlosigkeit einer Sache als solche gewährt Dritten nicht das Recht zur Wegnahme (RGSt 44, 207, 209; Vogel in Leipziger Kommentar StGB 12. Aufl. § 242 Rdn. 44 m.w.N.). Auch der Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen wurden, sagt darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig ist, nicht zwingend etwas aus. Eine Dereliktion kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn der Wille vorherrscht, sich der Sache ungezielt zu entledigen (BayObLGSt a.a.O.). So liegt der Fall hier jedoch nicht.
Bereits dadurch, dass der, zudem auf Firmengelände und nicht etwa im öffentlichen Raum stehende, Container abgesperrt war, hat der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar gemacht, dass die Firma die Lebensmittel nicht dem Zugriff beliebiger Dritter anheimgeben wollte bzw. dass keine Einwilligung mit einer Mitnahme besteht (vgl. Schmitz in Münchner Kommentar StGB 3. Aufl. § 242 Rdn. 35, Vergho Zur Strafbarkeit von „Containern“ StraFo 2013, 15, 17; Lorenz Containern von Lebensmitteln entkriminalisieren? jurisPR-StrafR 10/2019 Anm. 1, Ziffer III). Dem steht nicht entgegen, dass der Verschluss mit einem Werkzeug, welches kein Spezialwerkzeug der Firma bzw. des Abholunternehmens ist, zu öffnen war, zumal ein solches Werkzeug in der Regel von Passanten oder sonstigen beliebigen Dritten nicht mitgeführt wird.
Hinzu kommt, dass die Lebensmittel zur Abholung durch ein (von der Firma gesondert bezahltes) Entsorgungsunternehmen bereit gestellt waren. Ein Verzichtswille, der zur Herrenlosigkeit der Sache führt, liegt aber dann nicht vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zugunsten einer anderen Person (oder Organisation) aufgeben will (BayObLGSt a.a.O.; Vogel in Leipziger Kommentar 12. Aufl. § 242 Rdn. 33; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB 5. Aufl. § 242 Rdn. 22).
Dies gilt z.B. in Fällen, in denen der Eigentümer Gegenstände im Rahmen von Sammelaktionen zur Abholung bereit stellt (BayObLGSt a.a.O., Vogel a.a.O.; Kindhäuser a.a.O., Duttge in Dölling/Duttge/König/Rössner Gesamtes Strafrecht 4. Aufl. § 242 Rdn. 15; Vergho a.a.O. S. 16), der Entsorgende für eine ordnungsgemäße Abfallentsorgung verantwortlich ist und die Sachen zur Abholung durch eine Fachfirma bereit hält (Bosch in Schönke/Schröder StGB 30. Aufl. § 242 Rdn. 17/18; Wittig in Beck-OK StGB § 242 Rdn. 9; Lorenz a.a.O.; Bode Zur Strafbarkeit privater Schrottsammler JA 2016, 589, 590). Entsprechendes gilt, wenn der Entsorgende für die gesundheitliche Unbedenklichkeit in Verkehr gebrachter Lebensmittel einzustehen hat, wie es hier der Fall ist. In all diesen Fällen bleiben die Sachen bis zur Abholung im Eigentum des Entsorgenden (vgl. Bode a.a.O.) und sind damit taugliches Diebstahlsobjekt i.S. des § 242 Abs. 1 StGB.“
Damit waren die Lebensmittel für die Täterinnen fremde bewegliche Sachen, die sie auch mit rechtswidriger Zueignungsabsicht weggenommen haben, indem sie sie vom Gelände entfernten.
Die Fremdheit wird u.a. auch in folgenden Fällen in der Klausur relevant:
- Der Täter betankt sein Fahrzeug und fasst dann den Entschluss, ohne zu bezahlen wegzufahren. Hier könnte eine Übereignung gem. § 929 BGB zum Zeitpunkt des Einfüllens des Benzins stattgefunden haben. Dies wird jedoch überwiegend mit dem Hinweis auf den Eigentumsvorbehalt bis zur Bezahlung abgelehnt. Auch an einen gesetzlichen Eigentumsübergang muss gedacht werden, §§ 947, 948 BGB. Hier wird aber in der Regel nur Miteigentum begründet, weswegen das Benzin für den Täter nach wie vor fremd ist.
- Der Täter entwendet in einem von der Stadt betriebenen Krematorium Zahngold der eingeäscherten Verstorbenen. Dieses Zahngold ist zunächst eine herrenlose Sache (str., teilweise wird angenommen, das Eigentum gehe im Wege der Universalsukzession, § 1922 BGB, auf die Erben über). Die Betreiber des Krematoriums könnten sich das Zahngold aber angeeignet haben durch Inbesitznahme, § 958 I BGB. Dem steht jedoch das vorrangige Aneignungsrecht der Hinterbliebenen entgegen, § 958 II BGB. Solange diese das Zahngold nicht in Besitz nehmen, bleibt es herrenlos, so dass nur ein Versuch in Betracht kommt (OLG Hamburg, NJW 2012, 1601). Zu denken ist noch an § 133 I Var. 1 StGB.
- Der Täter verwickelt das Opfer vor einem Geldautomaten in ein Gespräch. Nachdem das Opfer die ec-Karte eingeschoben und den PIN eingegeben hat, stößt er es zur Seite, gibt den auszuzahlenden Betrag ein, entnimmt das Geld und verschwindet. Das Geld ist für den Täter nach wie vor fremd. Eine Übereignung soll nur an den Berechtigten erfolgen (den Fall haben wir bei BGH & Co besprochen unter https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/geldautomaten-fall
Hinweis
Das BVerfG (a.a.O.) hatte keine Bedenken in Bezug auf die zivilrechtlichen Wertungen des OLG. Zur Beweiswürdigung hat es folgens ausgeführt:
"Die Feststellung, ob die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Abfallbehälter eine strafbare Wegnahme einer fremden Sache darstellt, obliegt grundsätzlich den Fachgerichten. Diese haben unter Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu entscheiden, ob die Abfälle durch eine Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind, ob ein Übereignungsangebot an beliebige Dritte vorlag oder ob die Abfälle im Eigentum des bisherigen Eigentümers verblieben. Die Fachgerichte haben maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Abfallcontainer in der Anlieferzone des Supermarktes und damit auf dessen eigenem Gelände befunden habe und darüber hinaus verschlossen gewesen sei. Zudem hätten die Abfälle zur Übergabe an ein spezialisiertes und vom Inhaber bezahltes Entsorgungsunternehmen bereitgestanden. Schließlich habe das Verschließen der Container eine Reaktion auf vorherige, unbefugte Entnahmen Dritter dargestellt. Aufgrund dieser Umstände sei auf den Willen des Unternehmens zu schließen, dass es weiterhin Eigentümer der Abfälle habe bleiben wollen. Gegen diese Beweiswürdigung ist aus Verfassungssicht nichts einzuwenden."
Ferner hat es ausgeführt, dass die Strafbarkeit gem. § 242 StGB beim "Containern" auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Ultima-Ratio-Prinzip verstoße.
"Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Es wacht lediglich darüber, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit der Verfassung steht. Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen. Im vorliegenden Fall dient die Strafbarkeit des Verhaltens der Beschwerdeführerinnen dem Schutz des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 Abs. 1 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang. Der Eigentümer der Lebensmittel wollte diese bewusst einer Vernichtung durch den Abfallentsorger zuführen, um etwaige Haftungsrisiken beim Verzehr der teils abgelaufenen und möglicherweise auch verdorbenen Ware auszuschließen. Bereits das Interesse des Eigentümers daran, etwaige rechtliche Streitigkeiten und Prozessrisiken auszuschließen und keinen erhöhten Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Sicherheit der Lebensmittel ausgesetzt zu sein, ist im Rahmen der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich zu akzeptieren. Der Gesetzgeber hat diese Verfügungsbefugnis des Eigentümers nicht durch eine gegenläufige, verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung eingegrenzt. Die im Wortlaut des § 242 StGB angelegte und durch die Fachgerichte konkretisierte kriminalpolitische Grundentscheidung des Gesetzgebers zur Strafbarkeit des Containerns ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Im Übrigen existieren im Straf- und Strafprozessrecht hinreichende Möglichkeiten, im Einzelfall der geringen Schuld des Täters Rechnung zu tragen. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Strafzumessung berücksichtigen die Besonderheiten des Einzelfalles und sind daher verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden."