A. Vereinfachter Sachverhalt (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 25.01.2023 - 5 S 638/21)
Die Kläger begehren die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Nutzungsänderung von Büroräumen in eine ambulante Tagespflege. Sie betreiben einen Pflegedienst. Kläger zu 1) verfügt über eine umfassende Ausbildung in der Pflege. Kläger zu 2) indes nicht.
Ursprünglich wurde den Kläger die Nutzung von Büroräumen genehmigt. Nunmehr möchten Sie die Nutzung in eine Einrichtung ändern, in der (mit Gewinnerzielungsabsicht) eine ambulante Tagespflege betrieben wird.
Die Kläger beantragten bei der Beklagten den Erlass eines Bauvorbescheids zu der Frage, ob die geplante Erweiterung unter Berücksichtigung der Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans zulässigerweise i.S.d. § 13 BauNVO geändert werden können. Der Bebauungsplan weist das Gebiet des fraglichen Vorhabens als Mischgebiet (MI) aus.
Fallfrage: Ist das Vorhaben bauplanungsrechtlich hinsichtlich derr Art der baul. Nutzung nach § 13 BauNVO zulässig?
B. Entscheidung (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 25.01.2023 - 5 S 638/21)
Der Bauvorbescheid ist zu erteilen, wenn der Kläger einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheides hat. Ein solcher ergibt sich aus dem einschlägigen Bauordnungsrecht des Landes (bspw. § 57 Abs. 1 S. 1 LBO BW). Diesbezüglich kann ein schriftlicher Bescheid zu einzelnen Fragen des Vorhabens erteilt werden.
Ein solcher Anspruch besteht unter Heranziehung der Vorschrift der Erteilung einer Baugenehmigung bspw. § 58 Abs. 1 LBO BW), wenn dem Vorhaben bzgl. der zur Klärung gestellten Frage keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
Hinweis
Regelmäßig (so auch im Urteil) ist in diesen Fällen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29 ff. BauGB umfassend zu prüfen. Hier wäre beispielsweise in der Folge noch auf § 6 BauNVO einzugehen. Wir beschränken uns vorliegend jedoch auf die Besonderheit des Falls und die Frage, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich hinsichtlich der Art der baul. Nutzung nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 13 BauNVO zulässig wäre.
Die Kläger hätten einen derartigen Anspruch, wenn die von den Klägern geplante Tagespflege eine freiberufliche Tätigkeit oder einer solchen Tätigkeit ähnlicher Gewerbebetrieb darstellt i.S.d. § 13 BauNVO.
I. Systematik des § 13 BauNVO
§ 13 BauNVO bestimmt für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, dass in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 4 BauNVO Räume, in den Baugebieten nach den §§ 4a bis 9 BauNVO auch Gebäude zulässig sind. § 13 BauNVO ergänzt die Zulässigkeitskataloge der §§ 2 bis 9 BauNVO und geht diesen sogar vor.
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BauNVO wird durch die Festsetzung eines der Baugebiete der §§ 2 bis 9 BauNVO auch die Regelung des § 13 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans. Damit werden freiberuflich oder ähnlich gewerblich genutzte Räume bzw. Gebäude mit der Festsetzung eines Baugebiets allgemein zulässig, ohne dass es einer weiteren, besonderen Festsetzung der Gemeinde bedarf.
Hinweis
Daher ist § 13 BauNVO auch vorrangig vor den übrigen Vorschriften der BauNVO zu prüfen (wie hier beispielsweise § 6 BauNVO).
Fraglich ist demnach, ob es sich bei der geplanten Tätigkeit um eine freiberufliche Tätigkeit oder eine gewerbliche Tätigkeit, die ähnlich einer freiberuflichen Tätigkeit ist, handelt.
II. Freiberufliche oder ähnliche Tätigkeit nach § 13 BauNVO
Maßgebend ist dabei für die „Freiberuflichkeit“ (parallel zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG), dass die persönliche Dienstleistung im Vordergrund steht. Diese muss vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen. Die Freiberufler befinden sich i.d.R. in unabhängigen Stellungen, bieten ihre Dienste üblicherweise einer unbestimmten Anzahl von Interessenten an und die Allgemeinheit hat an deren Diensten regelmäßig ein Interesse.
Zu nennen sind hier bspw. Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten, Heilpraktiker oder Krankengymnasten.
Eine derartige Tätigkeit nach § 13 BauNVO kann auch dann vorliegen, wenn der Berufsträger sich fachlich vorgebildeten Arbeitskräften bedient. Entscheidend ist aber, dass er dabei auf Grund eigener Fachkenntnisse diesen gegenüber leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
III. Leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit der Kläger
Fraglich ist, ob dies vorliegend erfüllt ist. Die Erbringung von pflegerischen Leistungen ist jedenfalls als freiberuflich-ähnlich zu qualifizieren, da insoweit auch die individuelle Leistungserbringung infolge besonderer Ausbildung im Vordergrund steht.
Allerdings ist fraglich, ob die Kläger auch noch leitend tätig sind. Denn hierfür wäre nötig, dass die Kläger aufgrund der Fachkenntnisse durch regelmäßige und eingehende Kontrolle maßgeblich auf die Pflegetätigkeit der Mitarbeiter Einfluss nimmt. Und dies bei jedem einzelnen Patienten!
Nur so steht die persönliche Leistungserbringung, die von § 13 BauNVO gefordert wird (und diese „Privilegierung“ rechtfertigt), im Vordergrund. Und hieran fehlt es nun offensichtlich.
Hinweis
Dem Kläger zu 2) wurde bereits die notwendige Fachkenntnis abgesprochen, da dieser über keinerlei Ausbildung in einem pflegerischen Beruf verfügte.
Im Übrigen wäre hier nur dann von der persönlichen Note der Leistungserbringung auszugehen, wenn der Kläger an der Betreuung und Therapie der Patienten aktiv teilnehmen würde.
Gerade dies wird bei einer derartigen Einrichtung indes nicht möglich sein.
IV. Ergebnis
Damit fehlt es an einer persönlichen Leistungserbringung i.S.d. § 13 BauNVO, so dass dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Der Anspruch ist demnach zu versagen.
Hinweis
In der Klausur wäre hier rglm. noch weiter zu prüfen und zu schauen, ob die Voraussetzungen nach § 6 BauNVO vorliegen bzw. ob ggf. eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu erteilen wäre.