A Sachverhalt:
Der Käufer und spätere Kläger (K) schloss am 16.11.2016 als Verbraucher mit dem beklagten Autohändler (B) einen Kaufvertrag über einen fünf Jahre alten Pkw der Marke BMW zum Preis von 31.750 Euro brutto.
Im schriftlichen Kaufvertrag findet sich unter anderem der folgende Zusatz:
„Inkl. 1 x Satz gebrauchte Winterräder auf Alufelgen (ABE [= Allgemeine Betriebserlaubnis] für Winterräder wird nachgereicht).“
Das Fahrzeug wurde dem Kl. nach Zahlung des Kaufpreises noch am selben Tag mit achtfacher Bereifung übergeben, wobei die Winterräder montiert waren. Die Felgen der Winterreifen stammten nicht vom Hersteller des Fahrzeugs; vielmehr waren sie lediglich mit einem BMW-Emblem versehen und für das verkaufte Pkw-Modell nicht zugelassen und können auch nicht zugelassen werden.
Für K war die Erscheinung der Felgen von besonderer Bedeutung. Vergleichbare Felgen sind nicht erhältlich.
Nach erfolgloser Fristsetzung zur Aushändigung der Betriebserlaubnis von drei Wochen trat K vom Kaufvertrag zurück.
K ist der Ansicht, dass sich schon aus dem Verstoß gegen § 19 StVZO ein Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 ergibt. B ist schon der Ansicht es sei keine ausreichende Frist gesetzt worden.
Fallfrage: Hat K einen Anspruch gegen B auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs?
B Leitsätze:
1 Die Betriebserlaubnis für ein Fahrzeug erlischt im Falle nachträglicher Veränderungen (hier: Montage nicht zugelassener Felgen) nur dann, wenn diese mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer verursachen. Dabei haben Behörden und Gerichte für jeden konkreten Einzelfall zu ermitteln, ob die betreffende Veränderung eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern nicht nur für möglich erscheinen, sondern erwarten lässt.
2 Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung ist nach § 326 V BGB nur dann entbehrlich, wenn beide Varianten der Nacherfüllung unmöglich sind (im Anschluss an Senat BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839 Rn. 17; NJW 2008, 53 Rn. 23).
3 Ob ein in der Vornahme einer nicht genehmigten nachträglichen Veränderung an einem Fahrzeug liegender Sachmangel als geringfügig einzustufen und damit als unerhebliche Pflichtverletzung im Sinne des § 323 V 2 BGB zu werten ist, kann angesichts der in § 19 II, V StVZO angeordneten Rechtsfolgen nicht losgelöst von den Voraussetzungen des § 19 II 2 Nr. 2 StVZO beurteilt werden.
C Lösung:
I Anspruch des K gegen B aus §§ 437 Nr. 2, 346 I auf Rückzahlung des Kaufpreises
Fraglich ist, ob die Voraussetzungen für einen Rücktritt vorliegen.
1 Gegenseitiger Vertrag
Ein gegenseitiger Vertrag liegt hier in Gestalt des Kaufvertrags vor.
2 Rücktrittsgrund
Der Rücktrittsgrund könnte sich vorliegend aus § 323 Abs. 1 ergeben. Ein Rücktrittsgrund liegt grundsätzlich vor, wenn eine fällige Leistung nicht vertragsgemäß erbracht wurde. Dies wäre dann der Fall, wenn die fehlende Betriebserlaubnis für die Felgen einen Mangel darstellen würde.
Fraglich ist, ob die fehlende Betriebserlaubnis einen Mangel begründet.
a Mangel gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2
Hinweis
Normalerweise ist die Prüfung mit § 434 Abs. 1 Satz 1 zu beginnen. Allerdings wurde hier im Sachverhalt wirklich auf § 434 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 eingegangen. Im Sachverhalt aufgeworfenen Fragen sind stets zu klären. Um ein Hilfsgutachten zu vermeiden, kann die Prüfungsreihenfolge in passenden Einzelfällen umgedreht werden.
Ein Mangel könnte sich daraus ergeben, dass das gesamte Fahrzeug aufgrund der fehlenden Betriebserlaubnis für die Felgen seine Allgemeine Betriebserlaubnis verloren hat. Der Käufer eines Kfz kann berechtigterweise jedoch erwarten, dass er ein für den Straßenverkehr zugelassenes Fahrzeug erwirbt.
Fraglich ist demnach, ob die fehlende Betriebserlaubnis für die Felgen zum Entfallen der allgemeinen Betriebserlaubnis für das gesamte Fahrzeug führt. Dies richtet sich nach § 19 II S.2 Nr. 2 StVZO. Allerdings führt die fehlende Betriebserlaubnis bezüglich der Felgen nicht generell dazu, dass die Betriebserlaubnis für das gesamte Fahrzeug erlischt.
Vielmehr setzt dies voraus, dass die – mit der Nutzung nicht zugelassener Felgen für die Winterräder verbundene – nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer verursacht (vgl. VGH Mannheim NJOZ 2012, 904 Rn. 27, 29 [zur Umrüstung eines Motorrads mit Carbonrädern]; KG Urt. v. 27.3.1998 – 2 Ss 341/97 3 Ws [B] 76/98)
Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist weder die Veränderung von Fahrzeugteilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, noch die bloße Möglichkeit einer Gefährdung ausreichend, um die Betriebserlaubnis gem. § 19 2 Nr. 2 StVZO erlöschen zu lassen (BR-Drs. 629/93, 17) Dem steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (BR-Drs. 629/93, 17). Erforderlich ist daher, dass durch die nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen wird (VGH Mannheim NJOZ 2012). Dabei lässt sich das Maß der für ein Erlöschen der Betriebserlaubnis erforderlichen Gefahr nicht abstrakt und absolut bestimmen. Denn der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad hängt von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter und dem Ausmaß des möglichen Schadens ab (VGH Mannheim NJOZ 2012, 904 Rn. 32). Behörden und Gerichte haben daher für jeden konkreten Einzelfall zu ermitteln, ob die betreffende Veränderung – sei es durch unsachgemäßen Anbau eines an sich ungefährlichen Fahrzeugteils, sei es durch den Betrieb eines sachgerecht angebauten, aber gefährlichen Teils – eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern nicht nur für möglich erscheinen, sondern erwarten lässt (VGH Mannheim NJOZ 2012, 904; OLG Köln NZV 1997, 283 [284]).
Hinweis
Die Einzelheiten zur Bestimmung der Gefährdung sind umstritten, müssen jedoch für das Examen nicht bekannt sein. Die Ausführungen können in der Klausur gerne wesentlich knapper dargestellt werden. Die breitere Darstellung dient hier bloß der Information über die Rechtslage.
Ob im vorliegenden Fall eine solche Gefährdung angenommen werden kann, lässt sich aufgrund der fehlenden Angaben im Sachverhalt nicht abschließend beurteilen. Es kann auch dahinstehen, ob die Voraussetzungen von § 19 II 2 Nr. 2 StVZO regelmäßig dann erfüllt sind, wenn Änderungen vorgenommen werden, die das Fahrverhalten beeinflussen, was bei Änderungen an den Reifen, Felgen und Fahrzeugwerk ohne weiteres der Fall ist, wenn schon ein Mangel § 434 Abs. 1 Satz 1 vorliegt.
b Mangel nach § 434 I 1
Die Parteien haben im Kaufvertrag vereinbart, dass auch ein Satz gebrauchter Winterräder auf Alufelgen Kaufgegenstand ist und dass der B die Allgemeine Betriebserlaubnis für die Winterräder nachreicht.
Es gilt im Wege der Auslegung zu bestimmen, ob B für das Vorhandensein einer Allgemeinen Betriebserlaubnis der Felgen für das verkaufte Fahrzeug in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr übernehmen will und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle gewährleistungsrechtlichen Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (vgl. Senat NJW 2017, 2817 Rn. 13)
Hiervon kann aufgrund der ausdrücklichen Vereinbarung im Kaufvertrag ausgegangen werden.
Auch ist ein Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 1 nicht daher ausgeschlossen, da bloß die Felgen und nicht das Fahrzeug als eigentlicher Kaufgegenstand betroffen sind.
Diese Argumentation würde den weiten Beschaffenheitsbegriff verkennen, welcher neben den der Kaufsache unmittelbar anhaftenden Eigenschaften auch mittelbare Eigenschaften und Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben können, erfasst (BGH NJW 2016, 2847 Rn. 10 [zum Vorliegen einer Herstellergarantie].
b Zwischenergebnis
Demnach liegt ein Mangel nach § 434 Abs. 1 Satz 1 vor.
3 Fristsetzung
Gemäß § 323 Abs. 1 ist vor Erklärung des Rücktritts grundsätzlich eine angemessene Frist zu setzen.
K hat eine Frist gesetzt die Betriebserlaubnis auszuhändigen. Problematisch ist jedoch, dass die Betriebserlaubnis nicht besteht und daher nicht nachgereicht werden kann.
Demnach bezieht sich die Fristsetzung hier auf eine unmögliche Leistung. Nach überwiegender Ansicht wird vom Käufer jedoch gefordert eine Fristsetzung im Hinblick auf die mögliche Art der Nacherfüllung abzugeben. Dies ist vorliegend nicht geschehen.
Allerdings könnte dies auch daher unschädlich sein, da im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zumindest im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen ist. Demnach muss beim Rücktritt keine Frist gesetzt werden, sondern es muss bloß eine angemessene Frist seit der Anzeige des Mangels vergangen sein. Somit wären die Anforderungen an den Ablauf einer angemessenen Frist im vorliegenden Fall gewahrt.
Allerdings könnte die Frist im vorliegenden Fall gänzlich entbehrlich sein. Dies wäre dann der Fall, wenn der Rücktrittsgrund nicht § 323 Abs. 1, sondern schon § 326 Abs. 5 zu entnehmen wäre. In diesen Fällen wird § 323 Abs. 1 entsprechend ohne das Erfordernis einer Fristsetzung zur Anwendung gebracht.
Ob eine Nacherfüllung in Gestalt der (teilweisen) Ersatzlieferung im Rahmen der Stückschuld in Betracht kommt, ist Frage der Auslegung. Entscheidend ist die interessensgerechte Auslegung des Parteiwillens bei Vertragsschluss. Maßgeblich ist die Frage, ob die Parteien die Sache für austauschbar halten durften (vertretbare Stückschuld).
Bei Gebrauchtfahrzeugen ist dies im Regelfall zu verneinen. Hierbei kommt es regelmäßig zu einer Individualisierung, die eine Vertretbarkeit ausscheiden lässt.
Fraglich ist, ob sich vorliegend etwas anderes aus dem Umstand ergibt, dass nicht das gesamte Fahrzeug selbst, sondern nur die Felgen betroffen sind. Eine abschließende Entscheidung ist jedoch dann nicht notwendig, wenn es dem Käufer gerade auch auf die ausgetauschten Teile ankam. Dies ist vorliegend der Fall.
Demnach kann vom Vorliegen der Unmöglichkeit der Nacherfüllung ausgegangen werden. Eine Fristsetzung war daher entbehrlich.
4 Ausschlussgründe
Der Rücktritt darf ferner nicht ausgeschlossen sein. Ein Ausschluss könnte sich aus § 323 Abs. 5 Satz 2 ergeben. Dabei ist die Erheblichkeit anhand einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall ermitteln.
Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, wovon jedenfalls regelmäßig nicht mehr auszugehen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von 5 Prozent des Kaufpreises übersteigt (Senat BGHZ 201, 290). Dies schließt es allerdings nicht aus, bei Vorliegen besonderer Umstände – etwa einer nur sehr geringen Gebrauchsbeeinträchtigung – trotz eines höheren Beseitigungsaufwands den Mangel als unerheblich einzustufen.
Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen (Senat NJW 2011, 2872 Rn. 21).
Für die Beurteilung, ob ein Mangel als geringfügig einzustufen ist und damit eine unerhebliche Pflichtverletzung i.S.v. § 323 V 2 BGB vorliegt, ist der Zeitpunkt der Rücktrittserklärung maßgebend (NJW 2017, 153 Rn. 29).
Aufgrund der bloß optischen Beeinträchtigung könnte daher vorliegend erwogen werden von einer unerheblichen Beeinträchtigung auszugehen. Allerdings besteht im vorliegenden Fall auch die latente Gefahr, dass das Fahrzeug seine Allgemeine Betriebserlaubnis verliert. Daher sprechen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme der Erheblichkeit.
Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass eine Abweichung von einer vereinbarten Beschaffenheit vorliegt. Ein solcher Verstoß indiziert jedoch die Erheblichkeit der Pflichtverletzung!
Im Rahmen der Gesamtbetrachtung ist daher von der Erheblichkeit der Pflichtverletzung auszugehen. Ein Ausschlussgrund besteht nicht.
Hinweis
Auch im Fall eines arglistigen Verhaltens des Verkäufers ist in aller Regel eine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung zu verneinen (BGHZ 167, 19 = NJW 2006, 1960).
5 Gesamtergebnis
K hat einen Anspruch gegen B auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.