Dem Beschluss des BAG (v. 18.06.2015 – 8 AZR 848/13, abrufbar unter www.bundesarbeitsgericht.de = NZA 2015, 1063) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
B gehört als Versicherungsgesellschaft zu einer der größten Versicherungsgruppen Deutschlands. Der 1973 geborene K ist ein vollausgebildeter Jurist. Nach dem Studium hat er 1999 die Erste Juristische Staatsprüfung mit der Note „befriedigend“ bestanden. Nach dem zweiten Ausbildungsabschnitt im staatlichen Vorbereitungsdienst hat er die Zweite Juristische Staatsprüfung mit „ausreichend“ bestanden. Seit August 2002 ist er überwiegend als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Diese Tätigkeit hat er 2008 unterbrochen und hat in Stellenbosch (Republik Südafrika) erfolgreich einen Studiengang mit dem Abschluss eines „Master of Laws“ absolviert.
Im März 2009 schrieb B ein „Trainee-Programm 2009“ aus, mit dem sie „Bewerber (m/w) der Fachrichtungen Wirtschaftswissenschaften, (Wirtschafts-)Mathematik, (Wirtschafts-)Informatik und Jura“ suchte. Als Anforderungskriterien nannte die Ausschreibung einen sehr guten Hochschulabschluss in einer der Fachrichtungen, der nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt und qualifizierte, berufsorientierte Praxiserfahrung, zum Beispiel durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Für Bewerbungen im Bereich Jura kam hinzu: das erfolgreiche Absolvieren beider Staatsexamina und eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse. Der K bewarb sich um eine Trainee-Stelle der Fachrichtung Jura. Der Bewerbung fügte er einen Lebenslauf sowie weitere Unterlagen bei. Der K betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Er führte weiter aus, wegen des Todes seines Vaters betreue er ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat und verfüge daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu arbeiten.
Am 19.04.2009 lehnte B die Bewerbung des K ab. Sie könne ihm derzeit keine Einsatzmöglichkeit anbieten. Der K machte am 11.06.2009 bei der B schriftlich einen Entschädigungsanspruch i.H.v. 14.000 € wegen Altersdiskriminierung geltend. Diesen begründete er mit der von ihm als diskriminierend empfundenen Formulierung der Ausschreibung. Daraufhin lud ihn die B für Anfang Juli 2009 zu einem Vorstellungsgespräch bei ihrem Personalleiter ein. Die Absage sei „automatisch generiert“ worden und habe „so nicht den Intentionen entsprochen“. Der K lehnte die Einladung ab und schlug vor, nach Erfüllung des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs dann „sehr rasch über meine Zukunft bei der Versicherung“ zu sprechen.
Hat K gegen B einen Entschädigungsanspruch i.H.v. 14.000 €?
Anmerkung: Erstellen Sie ein umfassendes rechtliches Gutachten. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Anspruchshöhe von 14.000 € angemessen ist.
Falllösung:
K könnte gegen B ein Entschädigungsanspruch i.Hv. 14.000 € gemäß § 15 Abs. 2 AGG haben.
I. Anwendungsbereich des AGG
Zunächst müsste der Anwendungsbereich des AGG eröffnet sein.
1. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG)
Der sachliche Anwendungsbereich müsste eröffnet sein. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund unzulässig in Bezug auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit. Hier geht es um die Auswahlkriterien bei Einstellung (Alter), sodass der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist.
2. Persönlicher Anwendungsbereich (§ 6 AGG)
Des Weiteren müsste der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet sein. B ist Arbeitgeber i.S.d. § 6 Abs. 2 AGG.
Der persönliche Anwendungsbereich des AGG wäre für A eröffnet, wenn er gemäß § 6 Abs. 1 AGG Beschäftigter wäre. Gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Hier hat A sich auf eine Traineestelle bei B beworben, sodass formal davon ausgegangen werden könnte, dass K tatsächlich als Bewerber gilt. Der Bewerbung fügte er einen Lebenslauf sowie weitere Unterlagen bei.
Auf der anderen Seite ließen sich jedenfalls einige Indizien dafür nennen, dass K sich tatsächlich gar nicht bewerben wollte und auch nicht die Stelle haben wollte. Zunächst war K schon mehrere Jahre im Berufsleben und fertiger Rechtsanwalt, sodass die Bewerbung auf eine „Traineestelle“ wohl nicht sehr naheliegend ist.
Hierzu führt das BAG folgendes aus:
„[15]Nach Auffassung des vorlegenden Senats setzt ein Anspruch des Kl. voraus, dass er sich bei der Bekl. mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat. Nur dann kann er „Bewerber“/„Beschäftigter“ iSv § 6 I 2 AGG sein. Diese Anspruchsvoraussetzung sieht der Senat im vorliegenden Fall nicht als gegeben an. Zwar hat der Kl. bei der Bekl. auf die Ausschreibung der Trainee-Stellen hin eine Bewerbung eingereicht. Diese ist aber nach der Beurteilung des Senats auf Grund ihres Wortlautes und der Umstände des Einzelfalls nicht mit dem Zweck erfolgt, eine Beschäftigung bei der Bekl. als Trainee zu erreichen. Sie ist vielmehr so formuliert, dass die Bekl. den Kl. nicht als „Trainee“ einstellen würde. Dies ergibt sich zum einen aus den Mitteilungen des Kl. bei der Bewerbung, etwa durch Betonung seiner vielfältigen Führungserfahrung. Zum anderen ergibt sich dies aus der Tatsache, dass der Kl. nach einer ersten Ablehnung eine Einladung zu einem Gespräch mit dem Personalleiter der Bekl. ausgeschlagen hat. Nach der Prüfung des Senats verfolgte der Kl. nicht das Ziel, von der Bekl. als Trainee beschäftigt zu werden. Vielmehr reichte er eine formale Bewerbung ein, um so als „Bewerber“ im Sinne des AGG zu gelten und Ansprüche nach § 15 AGG erheben zu können. Auf der Grundlage des nationalen Zivilrechts handelt es sich um eine nicht ernstliche und daher unbeachtliche Willenserklärung.
[16]Da der Kl. nach Auffassung des vorlegenden Senats die Voraussetzung des § 6 I 2 AGG nicht erfüllt, kann er sich nicht auf § 15 AGG berufen. [...].“
Anmerkung: Im Ergebnis hat das BAG diese Frage nicht entschieden, sondern vielmehr dem EuGH zur Vorabentscheidung im Rahmen des § 267 AEUV vorgelegt.
Mithin hat K gegen B keinen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG.
Hilfsgutachten:
II. Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG?
Es müsste ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG gegeben sein. Dies ist der Fall, wenn eine Benachteiligung aufgrund eines in § 1 AGG genannten Grundes gegeben ist. Gemäß § 1 AGG ist Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Hier macht K eine Benachteiligung aufgrund des Alters aufgrund der Ablehnung geltend. Hierin könnte eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG wegen seines Alters gesehen werden. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt hiernach vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Hier ergibt sich eine ungünstigere Behandlung daraus, dass K nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
Es müsste jedoch auch eine vergleichbare Situation i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG gegeben sein. Hierfür müsste der K auch objektiv geeignet gewesen sein für die Stelle. Als Anforderungskriterium nannte die Ausschreibung unter anderem einen sehr guten Hochschulabschluss. Ob dies bei einem Abschluss der Note „befriedigend“ (1. Staatsexamen) und „ausreichend“ (2. Staatsexamen) der Fall ist, kann durchaus bezweifelt werden. Diese Frage kann jedoch dahinstehen, wenn der Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG jedenfalls aus anderen Gründen ausscheiden würde.
Die Benachteiligung müsste aufgrund eines Grundes i.S.v. § 1 AGG erfolgt sein.
Ob dies der Fall ist wird in zwei Schritten geprüft. Zunächst muss die eine Partei Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Wenn dies geschehen ist, dann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Hier hat K geltend gemacht, dass die Ablehnung aufgrund seines Alters erfolgt sei und auf die Stellenausschreibung hingewiesen. Hier ist in der Ausschreibung geschrieben, dass ein sehr guter Hochschulabschluss in einer der aufgezählten Fachrichtungen erforderlich ist, der nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt. Durch diese Formulierung wird deutlich, dass jedenfalls das Alter für das Auswahlverfahren für die Stelle mitursächlich war. Mithin hat K Tatsachen vorgetragen, die eine Altersdiskriminierung annehmen lassen.
Für eine Rechtfertigung der Benachteiligung aufgrund des Alters (§§ 8, 10 AGG) hat B nichts vorgetragen und ist auch nichts ersichtlich.
III. Rechtsfolgen
Gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der oder die Beschäftigte, wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Höhe von 14.000 € ist hier angemessen.
IV. Ausschlussfrist (§ 15 Abs. 4 AGG)
Für einen Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG gilt eine materiellrechtliche Ausschlussfrist von zwei Monaten (§ 15 Abs. 4 S. 1 AGG). Hiernach muss ein Anspruch innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt § 15 Abs. 4 S. 2 AGG).
Hier hat B die Bewerbung des K am 19.4.2009 abgelehnt. Der K machte am 11.6.2009 bei der B schriftlich einen Entschädigungsanspruch i.H.v. 14.000 € wegen Altersdiskriminierung geltend. Mithin wurde die Frist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG gewahrt.
V. Ausschluss des Anspruchs aufgrund von Rechtsmissbrauch?
Der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG könnte jedoch ausnahmsweise aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen sein.
Hierzu führt das BAG aus:
„[26] [...] Sowohl der vorlegende Senat als auch das BVerwG sind der Auffassung, dass ausnahmsweise nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ein Anspruch, insbesondere wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen sein kann [...]. Mit Rücksicht auf die Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung und Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger Maßstab anzulegen. In solchen Fällen ist der Arbeitgeber für die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit, dh den Rechtsmissbrauch darlegungs- und beweisbelastet.
[27]Auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass die nationalen Gerichte unter bestimmten Umständen im Einzelfall das missbräuchliche oder betrügerische Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen können, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Unionsrecht zu verwehren; sie haben jedoch bei der Würdigung eines solchen Verhaltens die Ziele der fraglichen Bestimmungen zu beachten [...].“
Anmerkung: Auch diese Frage hat das BAG dem EuGH zur Vorabentscheidung im Rahmen des § 267 AEUV vorgelegt.
Wie oben dargelegt hat sich K hier nur beworben, um dann einen Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG geltend zu machen. Die Stelle antreten wollte er gerade nicht. Vielmehr wollte er aus der Ablehnung Kapital schlagen. Dies ist nicht vom Sinn und Zweck des AGG gedeckt. Dieses will Schutz vor Diskriminierungen z.B. aufgrund des Alters, der Religion oder Ethnie bieten, aber nicht Anwälten eine neue Einnahmequelle verschaffen. Daher stellt sich die Geltendmachung des Anspruchs als rechtsmissbräuchlich dar.
VI. Ergebnis
Mithin hat K gegen B keinen Entschädigungsanspruch i.Hv. 14.000 € gemäß § 15 Abs. 2 AGG.
Anmerkung: Zur Vertiefung der Thematik kann auf die äußerst interessante Anmerkung von Horcher (NZA 2015, 1047) verwiesen werden. Er kritisiert insbesondere, dass das BAG sich nicht für einen Weg entschieden hat. Vielmehr hält es beide Wege für gangbar, also den Scheinbewerber nicht als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 2 AGG anzusehen oder den Anspruch aufgrund von Rechtsmissbrauch abzulehnen. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12506.