Gegen 6.00 Uhr morgens erwachte A, Mitglied der Hells Angels, weil er Geräusche an seiner Türe vernahm. Er ergriff seine Pistole, die er als Sportschütze legal besitzen durfte, und ging ins Treppenhaus. Dort stellte er fest, dass sich jemand an seiner Türe zu schaffen machte und die erste von 3 Verriegelungen bereits aufgebrochen war. Aufgrund vorangegangener Drohungen ging er davon aus, dass vor der Türe Mitglieder der rivalisierenden Rockergruppe Bandidos standen, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Als auf seinen Zuruf "Verpisst Euch" niemand reagierte und statt dessen die zweite der Verriegelungen aufgrochen wurde, rechnete A mit dem jederzeitigen Eindringen der vorgestellten Angreifer und gab einen Schuss durch die verschlossene Türe ab. Tatsächlich stand hinter der Türe kein Killerkommando der Bandidos sondern eine Einsatztruppe des SEK, die aufgrund eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses die Türe öffnen wollte. Weil A als gewaltbereit eingeschätzt wurde und über Schusswaffen verfügte, sollte das SEK gewaltsam in das Haus des A eindringen, diesen imSchlaf überraschen, eine "stabile Lage" herstellen um eine ungestörte Durchsuchung zu ermöglichen. Die Kugel traf einen der SEK Beamten tödlich.
Fraglich war nun, ob A sich des Totschlags strafbar gemacht haben könnte. Der Tatbestand ist verwirklicht, wobei - in einer Klausur - im subjektiven Tatbestand an den error in persona (vorgestellt Bandido - tatsächlich Polizist) gedacht werden muss, der jedoch aufgrund der Gleichwertigkeit der Subjekte irrelevant ist.
Die Handlung könnte aber gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein. Den vorgestellten Angriff des Bandido Killerkommandos gab es objektiv nicht. Trotzdem wäre es vorschnell, sofort auf den Erlaubnistatbestandsirrtum zu springen. In Betracht kommt ein Angriff der SEK Beamten auf das Hausrecht des A. Hier ist jedoch das Problem, dass das Vorgehen der SEK Beamten über § 102 StPO gerechtfertigt ist. Zwar ist eine Durchsuchung grundsätzlich eine "offene" Maßnahme. In Anbetracht der Gewaltbereitschaft des A, war das überraschende und verdeckte Vorgehen aber angemessen. Damit war der Angriff auf das Hausrecht kein rechtswidriger Angriff.
Damit stellt sich nun die Frage, ob sich A in einem Erlaubnistatbestandsirrtum (kurz ETBI) befunden hat. Achten Sie in der Klausur bitte darauf, dass Sie zunächst hypothetisch den in Frage kommenden Rechtfertigungsgrund, den der Täter sich vorstellt, durchprüfen. Erst wenn Sie festgestellt haben, dass der Täter bei unterstellter Richtigkeit seiner Annahme gerechtfertigt gewesen wäre, können Sie zu dem Schluss kommen, dass er sich in einem ETBI befindet (das ist letztlich nichts anderes als saubere Gutachtentechnik). Und erst danach interessiert es, wie der ETBI rechtlich zu behandeln ist.
Bei Richtigkeit der Annahme, ein Bandido Killerkommando stehe vor der Türe, käme eine Rechtfertigung gem. § 32 StGB in Betracht. Dann läge ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf A und dessen Verlobte vor, die sich ebenfalls im Haus aufhielt. Fraglich ist jedoch, ob der Schuss auch die erforderliche Verteidigungshandlung gewesen wäre. Geeignet wäre sie ohne weiteres gewesen aber wäre sie auch das mildeste Verteidigungsmittel gewesen? Bei einem Schusswaffeneinsatz muss der Täter grundsätzlich zunächst drohen, dann muss er versuchen, den Angreifer nur kampfunfähig zu schießen und erst danach darf er eine tödliche Handlung wählen. Der BGH hat jedoch deutlich gemacht, dass die Beachtung dieser "Stufenfolge" aufgrund der tatsächlichen "Kampflage" nicht möglich war. Da auf Zuruf keine Reaktion erfolgte und bereits 2 der 3 Verriegelungen aufgebrochen waren, musste A sofort handeln. Hätte er gewartet, bis die Türe geöffnet worden wäre, dann hätten die vorgestellten Bandidos freie Sicht und Schussfeld auf A und er dementsprechend evtl. keine Zeit mehr zur Verteidigung gehabt. Damit wäre die Handlung auch erforderlich gewesen. Auch hinschtlich der Gebotenheit und des Verteigungswillens gibt es keine Zweifel, so dass festgestellt werden muss, dass sich A in einem ETBI befand.
Nach Auffassung des BGH (eingeschränkte Schuldtheorie) entfällt in einem solchen Fall analog § 16 I StGB die Bestrafung aus der vorsätzlichen Tat. Übrig bleibt die Möglichkeit, den Täter aus einer Fahrlässigkeitstat, vorliegend § 222 StGB zu betrafen. Der Vorwurf ist dabei der Irrtum, in welchem sich der Täter befindet. Der BGH musste also überprüfen, ob A bei der Annahme des Sachverhalts sorgfaltspflichtwidrig gehandelt hat, mit anderen Worten also den Irrtum hätte vermeinden können (Ein Aspekt, den die strenge Schuldtheorie in der Schuld des Vorsatzdeliktes im Rahmen des § 17 StGB prüft). Da das SEK auf seinen Zuruf hin keine Reaktion zeigte und sich auch nicht zu erkennen gab, gab es für A keine Möglichkeit festzustellen, wer draußen vor seiner Türe stand. Der Irrtum war damit nicht vermeidbar, ergo handelte A bei der Sachverhaltsfeststellung auch nicht sorgfaltspflichtwidrig.
Daher das Ergebnis: Polizist tot - Hells Angel straflos!
Nähere Ausführungen zum ETBI finden Sie in unserem GuKO SR I und den ExO`s. Einen Einblick in unsere Skipte finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12527.