Weiter stellte das Gericht klar, dass Bewerber um die Einstellung in den Polizeidienst auf Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichbehandlung mit anderen Bewerbern in Hinblick auf ihre Tätowierungen nur innerhalb des Geltungsbereichs der betreffenden Landesverfassung verlangen können.
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Der Antragsteller hatte sich um Aufnahme in den Vorbereitungsdienst für den mittleren Polizeivollzugsdienst zum Einstellungsdatum 01.03.2016 beworben.
Der Antragsgegner, das Innenministerium Baden-Württembergs als oberste Dienstbehörde der Beamten des Polizeivollzugsdienstes, führte dafür ein „gestuftes Auswahlverfahren“ durch. Im Rahmen einer ersten Auswahl sollten zunächst solche Bewerber ausgeschlossen werden, die „unabhängig von einem Leistungsvergleich mit den übrigen Bewerbern für die zu besetzenden Stellen nicht in Betracht kommen.“ Auf der zweiten Stufte sollten die verbliebenen Bewerber einem Leistungsvergleich unterzogen werden.
Der Antragsteller wurde auf der ersten Stufe abgelehnt aufgrund einer ca. 14 x 11 cm großen und sich über die Länge des Oberarms erstreckenden Tätowierung. Diese war zumindest unter der Sommeruniform erkennbar. Die Tätowierung zeigte ein Gesicht mit verzerrten Zügen, gebleckten Zähnen und über beide Wangen verlaufenden Schnittwunden oder Narben. Weiter war ein mit einem Horn bestückter Helm zu sehen. Welche Emotionen das Gesicht ausdrückte, war unsicher.
Gegen die ablehnende Entscheidung des Innenministeriums erhob der Antragsteller Klage beim VG Sigmaringen, die als unbegründet abgelehnt wurde. Hiergegen legte der Antragsteller beim VGH Mannheim Beschwerde nach § 146 VwGO ein und beantragte, den Antraggegner im Wege einer einstweiligen Anordnung i.S.d. § 123 VwGO zu verpflichten, ihn in das weitere Auswahlverfahren einzubeziehen.
II. Zulässigkeit
Der VGH Mannheim stellte zunächst die Zulässigkeit des Antrags fest. Es führte aus, dass der Antragsteller den vollständigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht abwarten musste. Vielmehr sei er auf der ersten Verfahrensstufe bereits endgültig vom weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen worden. Damit könne er, auch bevor die Behörde eine endgültige Einstellungsentscheidung treffe, „grundsätzlich einstweiligen Rechtsschutz zur Sicherung seiner Position in dem Auswahlverfahren in Anspruch nehmen.“
III. Begründetheit
Stellt der Erlass einer einstweiligen Anordnung wie im vorigen Fall die Vorwegnahme der Hauptsache dar, wird einem Antrag nach § 123 VwGO nur höchst ausnahmsweise stattgegeben. Der Antrag ist begründet, wenn er zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und „ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.“ Bei der Prüfung eines in der Beschwerdeinstanz erhobenen Antrags auf einstweiligen Rechtschutz ist das Gericht außerdem nach § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO auf die Gründe beschränkt, welche der Antragsteller in seiner Beschwerde vorgebracht hat.
1. Grundlage des Anordnungsanspruchs
Einschlägige Anspruchsgrundlage war Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern hat. Die Aufnahme in den Polizeivollzugsdienst, welche Bewerbern gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 LVOPol-BW den Status eines Beamten auf Widerruf eröffnet, fällt in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift.
2. Kein Anspruch auf Einstellung nach Art. 33 Abs. 2 GG
Der VGH Mannheim stellte zunächst fest, dass Art. 33 Abs. 2 GG „keinen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis [vermittele], sondern lediglich darauf, dass über seine Bewerbung allein nach Maßgabe der in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien entschieden wird.“ Weiter legte das Gericht dar, dass ein Anspruch des Antragstellers auf Einstellung in den Polizeivollzugsdienst zum 01.03.2016 schon deswegen nicht bestehen konnte, weil zu diesem Termin voraussichtlich 300 Bewerber eingestellt werden sollten, der Antragsteller nach den im Auswahlverfahren gezeigten Leistungen aber nur Rang 350 einnahm. „Der Antragsteller werde deshalb bei realistischer Betrachtung - unabhängig von der Bewertung seiner Tätowierung - nach dem Grundsatz der Bestenauslese nicht zum Zuge kommen. Dem setzt das Beschwerdevorbringen keine substantiierten Einwände entgegen.“
3. Anspruch des Antragstellers auf Einbeziehung in den weiteren Leistungsvergleich?
Anschließend widmete sich der VGH Mannheim der Frage, ob der Antragsteller auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 GG zumindest beanspruchen könne, in den auf der zweiten Stufe des Auswahlverfahrens durchzuführenden Leistungsvergleich mit den anderen Bewerbern miteinbezogen zu werden.
a. Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit
Zunächst stellte das Gericht klar, dass der einstellenden Behörde beim prognostischen Urteil darüber, ob ein Bewerber für eine Amtstätigkeit geeignet ist, ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht. Die konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der Persönlichkeit des Bewerbers durch den Dienstherren sei durch die Verwaltungsgerichte nur eingeschränkt überprüfbar. Entsprechend hatte der VGH Mannheim lediglich zu untersuchen, ob der Antragsgegner rechtsfehlerhaft gehandelt hatte, indem er „den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem [er] sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob [er] von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.“
b. Befähigung des Antragstellers, dienstliche Anordnungen zu befolgen
Die einstellende Behörde hat bei dieser Prüfung zu berücksichtigen, ob der Bewerber der „beamtenrechtlichen Kernpflicht“ nachkommen kann, dienstliche Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen, vgl. § 35 S. 2 BeamtStG. Darunter fallen auch die vom Antragsgegner selbst erlassenen „Leitlinien des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Dienst- und Zivilkleidung sowie zum äußeren Erscheinungsbild der Polizei Baden-Württemberg“ (im Folgenden: Leitlinien). Nach deren Nr. 3.3 dürfen „im Dienst […] jegliche Tätowierungen nicht sichtbar sein.“ Weiter dürfen Tätowierungen „nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen sowie keine diskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder sonstigen gesetzlich verbotenen Motive enthalten oder nach dem Erscheinungsbild und der inhaltlichen Aussage im Einzelfall einen achtungs- und vertrauensunwürdigen Eindruck erwecken.“
Der Antragsgegner hatte angenommen, dass die Tätowierung des Antragstellers einen vertrauensunwürdigen Eindruck erwecke. Weil es dem Antragsteller damit unmöglich sei, Nr. 3.3 der Leitlinien zu entsprechen, stelle die Tätowierung einen Einigungsmangel dar. Der VGH Mannheim hatte mithin diese Annahme auf ihre Rechtsfehlerfreiheit zu prüfen.
(1) Generelle Akzeptanz von Tätowierungen kein ausreichender Einwand
Das Gericht führte aus, der in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Einwand des Antragstellers, „Tätowierungen ‚wie diese‘ seien in der Gesellschaft weit verbreitet, akzeptiert und toleriert,“ vermöge nicht, die Ausführungen des Antraggegners sowie des VG zu widerlegen. Das VG hatte sich detailliert mit dem abgebildeten Motiv, einer verfremdeten Maske, auseinandergesetzt. Dabei hatte es die Einschätzung des Antraggegners, die Tätowierung sei geeignet, abschreckend zu wirken, unbeanstandet gelassen. Dieser Auffassung schloss sich auch der VGH Mannheim an. Er bezog in seine Abwägung auch mit ein, dass der Antragsteller selbst ausgesagt hatte, das Motiv gewählt zu haben, „weil es für ihn [u.a.] für eine Abschreckung ‚von Gegnern‘ gestanden habe.“ Dies bestätige die Annahme Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners, „das Motiv sei (objektiv) geeignet, auf andere eine abschreckende Wirkung zu erzielen.“
(2) Kein Entgegenstehen der Grundrechte des Antragstellers
Schließlich setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob die Entscheidung des Antragstellers deswegen als rechtsfehlerhaft zu bewerten sei, weil sie die Grundrechte des Antragstellers verletzte. Der Antragsteller hatte eingewandt, „seine Tätowierung sei Ausdruck seines Persönlichkeitsrechts, und die Entscheidung, ihm deshalb die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst zu versagen, eine unverhältnismäßige Einschränkung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG.“ Hier hatte der VGH Mannheim indirekt auch zu prüfen, ob die vom Antragsgegner erlassenen Leitlinien mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
aa. Gesetzliche Grundlage
Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Bestimmungen über das äußere Erscheinungsbild von Polizeibeamten einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellten. Die erforderliche gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff stelle § 55 Abs. 1 LBG-BW dar. Diese Vorschrift ermächtigt das baden-württembergische Innenministerium, flankierende Vorgaben für die äußere Erscheinung im Dienst zu machen.
bb. Verhältnismäßigkeit
Anschließend prüfte der VGH Mannheim, ob das Verbot vertrauensgefährdender sichtbarer Tätowierungen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Dies sei dann der Fall, wenn das Verbot „geeignet und erforderlich ist, […] die mit der Uniformpflicht verfolgten Zielsetzungen zu fördern, und die Grenzen der Zumutbarkeit für die Betroffenen wahrt.“ In Hinblick auf die Angemessenheit sei im konkreten Fall besonders zu beachten, dass „die Vorgabe zum äußeren Erscheinungsbild […] nicht nur die Dienstzeit, sondern zwangsläufig auch die private Lebensführung betrifft, [weswegen] die Einschätzung der obersten Dienstbehörde[…] auf plausible und nachvollziehbare Gründe gestützt sein“ müsse.
Das Gericht stellte fest, dass die Uniform „neben der Kundgabe der Legitimation des Beamten […] die Neutralität ihrer Träger zum Ausdruck bringen“ soll. „Sie soll sichtbares Zeichen dafür sein, dass die Individualität der Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person der handelnden Beamten als Maßnahmen des Staates empfunden werden.“
Dieser Eindruck der Neutralität sei noch nicht bereits dann gestört, wenn „die Mehrheit der Bevölkerung eine Erscheinungsform für die eigene Person ablehnt oder allgemein nicht für vorteilhaft hält.“
Jedoch sei eine bestimmte äußere Erscheinung dann einer neutralen Erscheinung des Beamten abträglich, wenn derart auftretende Personen „von weiten Kreisen der Bevölkerung ausgegrenzt werden oder ihnen doch Vorbehalte der Art begegnen, die erwarten lassen, dass sie bei der Amtsausübung nicht ernst genommen werden oder ihnen das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird.“ Das Gericht befand, insoweit als die Leitlinien nicht Tätowierungen schlechterdings, sondern lediglich solche Motive untersagen, die einen vertrauensunwürdigen Eindruck zu erwecken geeignet sind, seien sie gemessen an Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Die Einschätzungen der oberen Dienstbehörde, die mit der Uniformpflicht verbundenen Zielsetzungen durch die in den Leitlinien enthaltenen Bestimmungen zu ergänzen, seien „plausibel und nachvollziehbar und [von ihrem] Einschätzungsspielraum gedeckt.“
Auch aus Art. 33 Abs. 2 GG, der Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt, ergäben sich keine anderen Maßstäbe.
(3) Keine Gleichheitswidrigkeit des baden-württembergischen Tattoo-Verbots
Schließlich hatte der Antragsteller geltend gemacht, das Verbot vertrauensgefährdender sichtbarer Tätowierungen sei gleichheitswidrig und verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es Beamten des Polizeivollzugsdienstes anderer Bundesländer erlaubt sei, Tätowierungen zu tragen. Auch diesen Einwand ließ das Gericht jedoch nicht gelten: „Der Verweis auf die Praxis anderer Bundesländer geht bereits deshalb fehl, weil Art. 3 Abs. 1 GG dem Antragsteller einen Anspruch auf Gleichbehandlung durch den Antragsgegner nur innerhalb des Geltungsbereichs der baden-württembergischen Landesverfassung vermittelt.“
4. Feststellung des Gerichts
Der VGH Mannheim kam schließlich zu dem Schluss, dass ausgehend vom Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht anzunehmen sei, dass der Antragsgegner seinen Beurteilungsspielraum mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten hat, indem er die Eignung des Antragstellers für den Polizeivollzugsdienst aufgrund der Tätowierung des Antragstellers verneinte.
Bedeutung des Urteils für ExamenskandidatInnen
ExamenskandidatInnen sollten sich mithilfe dieses Urteils ins Gedächtnis rufen, dass der bei Auswahlentscheidungen bestehende behördliche Beurteilungsspielraum nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist und Entscheidungen lediglich auf eine etwaige Rechtsfehlerhaftigkeit untersucht werden.
Weiter lässt diese Entscheidung erkennen, dass Art. 3 GG und andere Gleichheitsgrundrechte lediglich einen Anspruch auf Gleichbehandlung solcher Sachverhalte vermitteln, welche der Regelungshoheit einer bestimmten Gebietskörperschaft unterfallen.