Der BGH (Beschluss vom 05.11.2013, 4 StR 454/13 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) musste sich vor kurzem mit folgendem Sachverhalt beschäftigen:
A, der die Trennung von seiner Noch - Ehefrau (N) nicht verkraftet hatte, entdeckte diese durch Zufall auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, in Fahrtrichtung des A gehend und dabei in einem Kinderwagen das Enkelkind vor sich her schiebend. Er fasste spontan den Entschluss, von hinten auf N zuzufahren, weswegen er abbremste, das Fahrzeug nach links auf den Bürgersteig lenkte und unmittelbar vor N zu stehen kam, die hinfiel und sich dabei eine Prellung zuzog. Ob der Sturz durch eine Berührung mit dem Fahrzeug oder aber durch eine Ausweichbewegung und dem damit einhergehenenden Gleichgewichtsverlust hervorgerufen wurde, konnte nicht geklärt werden. Fest steht, dass N sich umgedreht und den A hat heranfahren sehen. Fest steht ferner, dass A nicht mit hoher Geschwindigkeit gefahren ist und abgebremst hat.
Das LG hat A wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Der BGH hat das Urteil aufgehoben.
Es stellt sich zunächst einmal die Frage nach der Anwendbarkeit des § 315b StGB. In Abrenzung zu § 315c StGB werden eigentlich nur Vorgänge erfasst, die von außen in den Straßenverkehr hineinwirken, also verkehrsfremd sind (z.B.Steinewerfer auf der Autobahn). Da A hier aus dem Straßenverkehr heraus agiert hat, könnte § 315b StGb nicht anwendbar sein. Eine Ausnahme wird jedoch in den Fällen gemacht, in denen der Täter das Fahrzeug nicht primär als Verkehrsmittel, sondern zweckentfremdet und damit pervertiert als Waffe benutzt. § 315b StGB könnte also in Betracht kommen, vorliegend in der Variante der Nr. 3, des "ähnlich, ebenso gefährlichen Eingriffs".
Die Zweckentfremdung als Waffe ist vorliegend nicht problematisch. Problematisch ist aber die weitere Voraussetzung: der Täter muss zudem mit Schädigungsvorsatz handeln. Normalerweise reicht bei § 315b StGB der Gefährdungsvorsatz aus. Der BGH sah keine hinreichenden Anhaltspunkte für diesen Vorsatz (und ergo auch nicht für eine Strafbarkeit gem. § 223 StGB). Ferner hatte er schon Zweifel, ob überhaupt durch den Eingriff eine "konkrete" Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der A bestand. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn es nur noch vom rettenden Zufall abhängt,ob die Gefahr in eine Verletzung umschlägt oder nicht. Das LG hatte wohl den Fehler gemacht, den Studierende auch immer wieder gerne in der Klausur machen: es hatte keine am Sachverhalt orientierte, überzeugende Begründung geliefert. Der BGH führt dazu folgendes aus:
"Das LG hat den Nachweis, dass der A die N mit seinem Pkw angefahren und sich diese hierdurch die Beinverletzung zugezogen hat, nicht zu führen vermocht. Diese Sachverhaltsalternative durfte es den Feststellungen deshalb nicht zugrunde legen. Die Strafkammer hat jedoch auch nicht hinreichend belegt, dass durch das Zufahren mit dem Fahrzeug eine konkrete Leibesgefahr für die N eingetreten ist. Vielmehr hat diese angegeben, auf das Fahrmanöver des A frühzeitig aufmerksam geworden zu sein, sich deshalb umgedreht und gesehen zu haben, dass der A auf dem Gehweg auf sie zufährt. Er sei dabei nicht schnell gefahren und habe vor ihr abgebremst. Diese Angaben, mit denen sich das LG nicht auseinandergesetzt hat, lassen es schon als zweifelhaft erscheinen, ob das Fahrmanöver des A eine konkrete Gefährdung der N in dem oben dargelegten Sinne hervorgerufen hat, zumal die Strafkammer keine Feststellungen zu der von A gefahrenen Geschwindigkeit und zu dem Abstand zur N im Zeitpunkt des Anhaltens des Fahrzeugs getroffen hat. Jedenfalls stellen die Angaben der N sowie das - wovon zugunsten des A auszugehen ist - rechtzeitige Anhalten die Annahme des für die Tatbestandsverwirklichung des § 315b I Nr. 3 StGB erforderlichen Schädigungsvorsatzes - und damit zugleich eines Körperverletzungsvorsatzes - des A in Frage. Vor diesem Hintergrund bestand Anlass zu der Prüfung, ob der A darauf vertraut hat, es werde „schon nichts passieren".
In Klausuren dieser Art macht es Sinn, zunächst mit den Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten zu beginnen und hier den Vorsatz zu thematisieren. Hat man den bejaht, kann man bei § 315b StGB beim erforderlichen Schädigungsvorsatz verweisen.
Weitere Ausführungen dazu finden Sie in unserem GuKO SR IV und in unseren ExO`s. Eine Leseprobe aus dem Skript finden Sie hier : http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12539