Weiter war verfügt worden, dass die Ordner im Vorfeld der Versammlung ihre Personalausweise vorzuzeigen hatten.
Das Gericht stellte fest, dass der Bescheid insoweit rechtswidrig gewesen war, als der die Einweisung der Ordner in Gegenwart des Einsatzleiters der Polizei vorschrieb. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Tatbestand
Am 11. November 2010 hatte der Kläger der Beklagten die Durchführung einer Versammlung unter dem Motto „Kein Frieden mit Nazis“ angezeigt, die am 5. März 2011 ab 10 Uhr stattfinden sollte. Die Versammlung war als Gegenveranstaltung geplant anlässlich eines „nationalen Trauermarsches“ der NPD zur Bombardierung der Stadt Chemnitz im zweiten Weltkrieg. Die Zahl der erwarteten Teilnehmer der Gegenveranstaltung belief sich auf 500.
Am 4. März 2011, mithin einen Tag vor Durchführung der Versammlung, erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Auflagenbescheid. Darin verfügte sie unter anderem eine geänderte Aufzugsstrecke. Nr. 1.5 des Bescheids regelte, dass die „Ordner durch den Versammlungsleiter in Anwesenheit des Einsatzleiters der Polizei am 5. März 2011 vor Ort in ihre Aufgaben einzuweisen seien und die Ordner einen gültigen Personalausweis auf Verlangen zwecks Identitätsfeststellung vorzuzeigen“ hätten.
Am 19 April 2011 erklärte der Sächsische Verfassungsgerichtshof das Sächsische Versammlungsgesetz infolge einer formellen Verfassungswidrigkeit für nichtig.
Am 27. Februar 2012 erhob der Kläger Fortsetzungsfeststellungsklage beim VG Chemnitz und beantragte festzustellen, dass ihn die Auflagen in seinen Rechten verletzten. Der Bescheid sei seinem Versammlungsleiter erst am 4. März 2011 um 18.30 Uhr ausgehändigt worden, so dass er nicht mehr um vorläufigen Rechtsschutz hätte nachsuchen können.
Die Auflage unter Nr. 1.5 sei rechtswidrig gewesen. Es habe schon an einer konkreten Gefahr für die Maßnahmen gefehlt. Weiter fehle es an einer Rechtsgrundlage. Die Auflage seien auf Grundlage von § 18 Abs. 2 und § 19 SächsVersG ergangen, die mittlerweile für nichtig erklärt worden seien. Die Auswahl der Ordner falle zudem in das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters.
Der Kläger trug vor, er verfüge über das notwendige Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Er habe ein Rehabilitationsinteresse, da er wegen der Auflagen habe demobilisieren müssen, so dass statt der angemeldeten 500 Teilnehmer nur 80 Personen erschienen seien. Dies habe ihn in der Veranstaltung als mobilisierungsschwach und unbedeutend erscheinen lassen.
Weiter bestehe auch eine Wiederholungsgefahr, da er seit 2004 regelmäßig Gegenveranstaltungen gegen das Gedenken an die Bombardierung von Chemnitz organisiere. Es werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den kommenden Jahren eine ähnliche versammlungsrechtliche Konstellation geben.
Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat die Klage mit Urteil vom 6. November 2012 abgewiesen. Es fehle es an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Eine Wiederholungsgefahr bestehe schon aus dem Grund nicht, da das für den Bescheid herangezogene Sächsische Versammlungsgesetz für nichtig erklärt worden sei.
Im Übrigen sei die Klage unbegründet, insofern als die angegriffenen Auflagen sachgerecht und angemessen gewesen seien, da sie lediglich Modalitäten der Versammlungsdurchführung beträfen.
Dagegen wandte sich der Kläger. Das Sächsische OVG ließ die Berufung zu aufgrund ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des VG Chemnitz i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit - Fortsetzungsfeststellungsinteresse
Das Sächsische OVG stellte zunächst fest, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig war. Insbesondere liege das nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Form einer Wiederholungsgefahr vor. Diese setze voraus, dass die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger bestehe. Daneben müsse die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Dies sei hier zu bejahen, da der Veranstalter regelmäßig Demonstrationen durchführe und auch die Beklagte erklärt hatte, in Zukunft Auflagen mit dem Inhalt der hier streitgegenständlichen Auflage erlassen zu wollen. Dass die den in Frage stehenden Bescheiden zugrunde liegende Ermächtigungsgrundlage für nichtig erklärt worden war, befand das OVG für unerheblich.
2. Begründetheit
a. Ermächtigungsgrundlage
Das Gericht erörterte zunächst die einschlägige Ermächtigungsgrundlage. Es stellte fest, dass das Sächsische VersG nicht in Frage kam. Denn zum „Zeitpunkt der Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids vom 4. März 2011 infolge der Durchführung der Versammlung am 5. März 2011 war das seinerzeitige Sächsische Versammlungsgesetz infolge seiner Nichtigerklärung durch Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshof (Urt. v. 19. April 2011) keine zur Verfügung stehende Rechtsgrundlage für den Bescheid. Gemäß § 125a Abs. 1 GG ist deshalb auf das Versammlungsgesetz des Bundes zurückzugreifen.“
b. Identitätskontrolle
Das Sächsische OVG untersuchte sodann, ob die Anordnung, wonach die bestellten Ordner ihre Personalausweise zur Identitätskontrolle bereithalten und im Einzelfall vorzeigen mussten, rechtmäßig gewesen war.
Als Ermächtigungsgrundlage kam hier § 18 Abs. 2 VersG in Frage. Dieser regelt die Zulässigkeit des Einsatzes von Ordnern und unterstellt diesen einem polizeilichen Erlaubnisvorbehalt. „Eine Versagung der Erlaubnis kommt in Betracht, wenn die für die Tätigkeit als Ordner gemeldete Person als unzuverlässig oder ungeeignet bekannt ist.“ Daraus folge, dass die Polizei auch die Zuverlässigkeit von Ordnern überprüfen könne.
Durch die Identitätskontrolle werde das Recht der Ordner auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berührt.
Zwar sei „der Einzelne gesetzlich verpflichtet, Angaben zu seinen Personalien zu machen (vgl. § 111 Abs. 1 OWiG), einen gültigen Ausweis zu besitzen und ihn auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorzulegen (vgl. § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 PAuswG).“ Jedoch werde dadurch alleine noch keine Befugnis der Behörde begründet, einen Ausweis zu verlangen.
Das Sächsische OVG führte aus, dass es der Polizeibehörde aber offenstehe, zur Beurteilung der Zuverlässigkeit und Geeignetheit eines Ordners nach § 18 Abs. 2 VersG deren Identität festzustellen. Ein solcher Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei auch verhältnismäßig. Denn die Aufgabe der Ordner bestehe in einer „Mitwirkung bei der Abwehr unmittelbarer Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die aus der Versammlung drohen. Hinreichende Tatsachen für die Annahme einer Unzuverlässigkeit können sich insbesondere aus einschlägigen Vorstrafen ergeben.“
Insbesondere habe die Auflage auch ohne eine konkrete, von den Ordnern ausgehende Gefahrenlage ergehen können. Denn die Maßnahme habe gerade dazu gedient, sicherzustellen, dass durch den Einsatz zuverlässiger Ordnungskräfte hinreichend Gewähr dafür besteht, dass im Verlauf der Versammlung andere, aufgrund einer konkreten Gefahr ergangene Auflagen eingehalten werden können. Für die anderen nach § 15 Abs. 3 VersG ergangenen Auflagen habe die erforderliche Gefahr vorgelegen. Insbesondere habe die Gefahrenprognose der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge vom 1. März 2011 eine hohe abstrakte Gefährdung bei einem Aufeinandertreffen der gegensätzlich orientierten Gruppierungen entweder vor, während oder nach den Versammlungen für möglich erklärt.
Die Kontrolle der Ordnungskräfte habe ohne Vorliegen einer Gefahr erfolgen dürfen.
c. Einweisung der Ordner in Gegenwart des Einsatzleiters der Polizei
Schließlich untersuchte das Sächsische OVG, ob die Anweisung rechtmäßig war, wonach der Veranstaltungsleiter die von ihm bestellten Ordner in Anwesenheit des Einsatzleiters der Polizei in ihre Aufgaben einzuweisen und über ihre Rechte und Pflichten zu belehren hatte.
Das Gericht stellte fest, dass diese Maßnahme bereits einer gesetzlichen Grundlage entbehre. Insbesondere konnte die Auflage nicht auf § 18 Abs. 1 i.V.m. § 8 S. 2 VersG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist der Versammlungsleiter verpflichtet, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen hat. Diese Vorschrift komme schon insofern nicht in Frage, als ihr zeitlicher Anwendungsbereich auf die Durchführung der Versammlung begrenzt sei. Für Maßnahmen im Vorfeld der Versammlung könne sie nicht herangezogen werden.
Weiter stellte das Gericht fest, dass die Auflage potentiell starke Auswirkungen auf die Durchführung der gesamten Veranstaltung haben könne. Letztlich mache sie „den Beginn der Versammlung von dem Eintreffen des Einsatzleiters der Polizei beim Versammlungsleiter oder von dem Aufsuchen und Auffinden des Einsatzleiters durch den Versammlungsleiter nebst den Ordnern abhängig […], was schon für sich genommen einen erheblichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit darstellt. Sofern der Einsatzleiter der Polizei verhindert oder nicht auffindbar wäre, dürfte die Versammlung mangels möglicher Einweisung der Ordner in seiner Anwesenheit nicht beginnen. Für eine solche Vorgehensweise ist weder eine konkrete Rechtsgrundlage noch ist ein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass die Einweisung und Belehrung in Anwesenheit des Einsatzleiters der Polizei erfolgen müsste.“
Das Gericht stellte fest, dass die Auflage insoweit rechtswidrig gewesen war. Die Berufung des Versammlungsleiters war damit teilweise begründet, das Urteil des VG Chemnitz wurde insoweit aufgehoben.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Anhand dieses Urteils lässt sich das Zusammenspiel von Versammlungsrecht und allgemeinem Ordnungsrecht wiederholen. Auch verdeutlicht die Entscheidung, wie die Nichtigerklärung von Gesetzen eine Rolle spielen kann bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von behördlichen Verfügungen.
Schließlich können ExamenskandidatInnen sich vor Augen führen, unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses in der Fallgruppe der Wiederholungsgefahr zu bejahen ist. Dies sollte nicht leichthin geschehen, sondern muss an konkrete Prognosen geknüpft werden.