Mit der Möglichkeit einer Korrektur musste sich der BGH (Urteil v. 17.07.2014 Az 4 StR 158/14 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) in folgendem Fall beschäftigen:
Der Angeklagte A stach N mit Tötungsvorsatz ein Messer mit einer 17 cm langen Klinge in den oberen Rückenbereich. N, der nicht mitbekommen hatte, wer ihm das Messer in den Rücken gestochen hatte, bat daraufhin A, zusammen mit ihm zu seinem ca. 300 m entfernt abgestellten PKW zu gehen und dort mit dem im Auto zurückgelassenen Handy den Notarzt zu rufen. A ergriff das Handy, täuschte den Anruf aber lediglich vor. Er nahm an, dass sein zögerliches Verhalten in absehbarer Zeit zum Tode des N führen werde. N, nunmehr skeptisch geworden, begab sich nun mit dem Messer im Rücken zu der ca. 700 m entfernten Gaststätte. Unterwegs bat er 4 Personen - vergeblich - um Hilfe. A folgte ihm in geringem Abstand, unternahm aber nichts, um N an dem Betreten der Gaststätte zu hindern. Dort alarmierte man den Notarzt. N konnte aufgrund einer sofort eingeleiteten Operation gerettet werden.
Unproblematisch hat sich A zunächst gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht. Tateinheitlich damit hat das LG Magdeburg ihn wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 212, 22 StGB verurteilt. Insoweit hat der BGH das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an der LG zurück verwiesen.
Problematisch ist, ob A nicht letztlich von einem unbeendeten Versuch zurück getreten sein könnte.
Voraussetzung eines solchen Rücktritts ist zunächst, dass kein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Ein solcher ist nach h.M. anzunehmen, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) meint, den Taterfolg ohne wesentliche Zäsur mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr verwirlichen zu können.
Für die Annahme eines solchen Fehlschlags gibt es im Sachverhalt auf den ersten Blick zu wenig Anhaltspunkte. So ist nicht ersichtlich, warum A geglaubt haben könnte, den Erfolg nicht mehr herbei führen zu können. Es hätte hierzu ledigich eines weiteren Stiches mit dem Messer bedurft. Bevor N sich auf den Weg zur Gaststätte machte, ging A sogar davon aus, dass er nichts weiter unternehmen müsse, damit der Erfolg eintrete. Bis zu diesem Zeitpunkt lag nach seiner Vorstellung mithin ein beendeter und kein fehlgeschlagener Versuch vor.
Da sich der Rücktritt aber nach dem Rücktrittshorizont richtet, dieser aber keine starre Zeitgrenze darstellt sondern einer Korrektur zugänglich ist, muss danach gefragt werden, ob sich die Vorstellung des Täters nicht wandelte, als er erkannte, dass sich N auf die Gaststätte zubewegte. Zur Korrektur des Rücktrittshorizontes hat der BGH folgendes ausgeführt:
"Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt...Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt...So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter „über eine längere Strecke“; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben."
Nach diesen Grundsätzen kommt eine Korrektur des Rücktrittshorizontes in Betracht. Es muss davon ausgegangen werden, dass A erkannte, dass der Tod nicht alsbald eintreten werde, da N sich aus eigener Kraft zur Gaststätte begeben konnte. Der BGH führt dazu aus: "Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen ."
Bejaht man mithin eine Korrektur des Rücktrittshorizontes, so kommt ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch in Betracht, bei dem es ausreicht, dass der Täter die weitere Tatausführung aufgibt, Da nunmehr für den Rücktritt auf den Zeitpunkt des Begleitens des N zur Gaststätte abgestellt wird, muss allerdings erneut danach gefragt werden, ob nicht zu diesem Zeitpunkt ein fehlgeschlagener Versuch angenommen werden muss. Für die Annahme eines solchen Fehlschlags könnte sprechen, dass jedenfalls als N sich zur Gaststätte begab, eine Vollendung der Tat durch erneutes Zustechen ohne Zeugen nur noch schwerlich möglich war. Immerhin war N 4 Personen begegnet, die er um Hilfe bat und die wahrscheinlich das Geschehen weiter verfolgten. Aus diesem Grund könnte der Rücktritt nicht mehr freiwillig erfolgt sein, bzw. der Versuch fehlgeschlagen sein. (Da es streitig ist, ob der Fehlschlag nicht ein Aspekt der Freiwilligkeit ist, ist eine genaue Abgrenzung schwierig).
Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in unseren ExO`s sowie im GuKO SR I. Einen Auszug aus dem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12530.