Weiter stellte das Gericht fest, dass ein als Teil eines Bauvorhabens genehmigter Abstandsflächenplan zwar unrichtig ist, wenn ein Balkon entgegen der Vorgaben des § 5 Abs. 6 LBO-BW nicht eingezeichnet und entsprechend bei der Berechnung der Abstandsflächen nicht berücksichtigt worden ist. Ein die Wirksamkeit der gesamten Baugenehmigung aufhebender Widerspruch zwischen dem fehlerhaften Abstandsflächenplan und den übrigen, vorschriftsgemäßen Bauvorlagen wird dadurch jedoch nicht begründet.
Wurde damit der Lageplan, auf welchem der Balkon korrekt eingezeichnet ist, formell rechtmäßig genehmigt, so wird ein später entsprechend dieses Plans realisierter Balkon von der Legalisierungswirkung der Baugenehmigung erfasst.
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Sachverhalt
Die Klägerin war Eigentümerin dreier Grundstücke in Heidelberg, die je mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebaut waren. Am 4.12.2009 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung für den Um- und Ausbau der drei Gebäude. Dabei war vorgesehen, an der Nordseite des Gebäudes A einen um 1,50 m hervortretenden Balkon anzubauen. Gebäude A war 3 m vom nördlich angrenzenden Grundstück entfernt.
Als sie einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung stellte, reichte die Klägerin pflichtgemäß auch einen Abstandsflächenplan ein, welcher alle nach § 5 LBO-BW zu wahrenden Abstandsflächen als eingehalten darstellte. In diesem Flächenabstandsplan war allerdings für die Nordseite des Gebäudes A kein Balkon eingezeichnet. Der Balkon war bei der Berechnung der Abstandsflächen daher auch nicht berücksichtigt worden.
Die Baurechtsbehörde (im Folgenden: die Beklagte) erteilte der Klägerin am 20.4.2010 die beantragte Baugenehmigung.
Im November 2011 stellte die Beklagte fest, dass der Balkon gem. § 5 Abs. 6 LBO-BW bei der Berechnung der Abstandsflächen hätte berücksichtigt werden müssen. Die Beklagte befand, dass der Balkon den nach § 5 Abs. 7 LBO-BW erforderlichen Mindestabstand von 2 m zur nördlichen Grundstücksgrenze nicht einhielt. Daraufhin verpflichtete sie die Klägerin mit Verfügung vom 11.11.2011, den Balkon zurückzubauen.
Gegen diese Verkleinerungsverfügung erhob die Klägerin beim VG Karlsruhe Klage und machte geltend, der beanstandete Balkon sei zwar materiell baurechtswidrig, er werde jedoch von der ihr erteilten Baugenehmigung gedeckt.
Das VG Karlsruhe allerdings beurteilte den Balkon als auch formell rechtswidrig und wies die Klage als unbegründet ab. Dagegen erhob die Klägerin Beschwerde beim VGH Mannheim.
Entscheidungsgründe
Der VGH Mannheim hatte zu untersuchen, ob die von der Klägerin angegriffene Verkleinerungsverfügung rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt war (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
1. Ermächtigungsgrundlage
Rechtsgrundlage der angegriffenen Verfügung bildete § 65 S. 1 LBO-BW, wonach der teilweise Abbruch einer im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichteten Anlage verlangt werden kann.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Verkleinerungsverfügung
Der VGH Mannheim legte dar, dass die gegenüber der Klägerin ergangene Verkleinerungsverfügung materiell rechtmäßig war, wenn und soweit "die Anlage nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist und sie seit ihrem Beginn fortdauernd gegen materielles Baurecht verstößt.“
a. Rechtswidrigkeit des Balkons
(1) Materielle Baurechtswidrigkeit
Zunächst prüfte das Gericht, ob der Balkon den materiellen-rechtlichen Vorschriften entsprach. Nach § 5 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 LBO-BW sind bei der Berechnung von Abstandsflächen auch Balkone zu berücksichtigen, wenn sie von Nachbargrenzen weniger als 2 m entfernt sind. Weil der fragliche Balkon vom nächsten Grundstück nur 1,5 m entfernt war, war er „in die Bemessung der Abstandsfläche miteinzubeziehen.“ Der Balkon unterschritt aber den zulässigen Mindestabstand zum Nachbargrundstück, welcher nach § 5 Abs. 7 S. 2 LBO-BW mindestens 2 m zu betragen hat, womit seine Errichtung materiell rechtswidrig war.
(2) Formelle Baurechtswidrigkeit
Anschließend untersuchte der VGH Mannheim, ob der Balkon auch formell rechtswidrig errichtet wurde. Dazu waren der Inhalt der erteilten Baugenehmigung und der Umfang ihrer Legalisierungswirkung zu bestimmen.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass der Aussagegehalt der Baugenehmigung, eines antragsbedürftigen Verwaltungsakts, „durch den Bauantrag und die mit ihm einzureichenden Bauvorlagen bestimmt“ werde.
In Bezug auf den Balkon waren zwei der eingereichten Bauvorlagen relevant: Im Lageplan war der Balkon korrekt eingezeichnet worden. Im Abstandsflächenplan hingegen war er entgegen der aus § 5 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 LBO-BW folgenden Notwendigkeit nicht eingetragen.
Rechtliche Bewertung durch das VG Karlsruhe
Ausgehend von diesen beiden unterschiedlichen Plänen hatte das VG Karlsruhe in der ersten Instanz angenommen, dass die Baugenehmigung insgesamt widersprüchliche Aussagen treffe.
Denn mit der strittigen Baugenehmigung sei einerseits der Lageplan und damit das Vorhaben mitsamt des geplanten Balkons genehmigt worden. Andererseits sei aber auch der Abstandsflächenplan Teil der Genehmigung geworden, welcher die Aussage treffe, „dass es keine [anderen] Bauteile in den Abstandsflächen gebe, die bei der Ausweisung der Abstandsfläche hätten berücksichtigt werden müssen.“ Die zweite Bestimmung lasse sich aber so verstehen, dass ein Balkon an der Nordseite des Hauses nicht zulässig sei.
Das VG Karlsruhe hatte weiter geprüft, ob sich die Widersprüchlichkeit der Aussagen durch Auslegung beheben ließe. Dabei hatte es darauf abgestellt, welchen objektiven Erklärungswert die Genehmigung aus der Sicht des Empfängerhorizonts aufwies.
Es kam dabei jedoch zu dem Schluss, dass im vorliegenden Falle ein für den Empfänger nicht auflösbarer Widerspruch vorliege. Es lasse sich nicht mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln, ob der Balkon genehmigt worden sei.
Ob die mangelnde Bestimmtheit der Baugenehmigung ihre Teilnichtigkeit nach sich ziehe, ließ das VG Karlsruhe offen. Jedenfalls könne sich Klägerin sich nicht auf eine Genehmigung des Balkons berufen, da sämtliche „Unklarheiten und Widersprüche im Verantwortungsbereich der Klägerin lägen.“ Nach § 43 Abs. 1 LBO sei der Bauherr für die Richtigkeit des Entwurfs verantwortlich. Insbesondere habe die Baurechtsbehörde keine Pflicht, die Übereinstimmung der Darstellungen des Abstandsflächenplans mit dem Lageplan nachzumessen.
Nicht gefolgt war das VG Karlsruhe den Ausführungen der Klägerin. Sie hatte geltend gemacht, in den Lageplänen sei der Balkon so dargestellt worden, wie er auch ausgeführt worden sei. Die Tatsache, dass der Abstandsflächenplan fehlerhaft gewesen sei, mache das Vorhaben zwar materiell rechtswidrig. Die Baugenehmigung hätte insoweit zurückgenommen werden können. Das sei jedoch nicht geschehen. Damit bestünde die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung fort. Der Balkon sei formell rechtmäßig und die Rückbauverfügung als rechtswidrig anzusehen.
Bewertung durch den VGH
Der VGH Mannheim stellte zunächst fest, dass der Abstandsflächenplan unrichtig war, weil darin der Balkon nicht berücksichtigt worden war. Einen die Wirksamkeit der Baugenehmigung aufhebenden Widerspruch zwischen eingereichtem Lageplan und Abstandsflächenplan vermochte der Senat darin allerdings – anders als das Verwaltungsgericht – nicht zu erkennen.
Der VGH Mannheim führte aus, selbst wenn man annähme, der Abstandsflächenplan treffe die Aussage, dass es keine weiteren Bauteile gebe, die bei der Darstellung der Abstandsflächen hätten berücksichtigt werden müssen, so gäbe er damit lediglich eine – tatsächlich unzutreffende – Rechtsmeinung des Bauherren wieder. Nach Auffassung des VGH Mannheim könne dieser Fehler aber keineswegs zugleich als Aussage des Bauherren gewertet werden, dass der Balkon nun „doch nicht so, wie in den übrigen Bauvorlagen dargestellt,“ errichtet werden solle, sondern in einer Weise, die mit § 5 Abs. 6, 7 LBO-BW in Einklang steht.
Nur für den Fall aber, dass der Abstandsflächenplan auch letztere Aussage träfe, bestünde wirklich ein Widerspruch zum Inhalt des Lageplans.
Der VGH Mannheim lehnte mithin eine interne Widersprüchlichkeit der Baugenehmigung ab und kam zu dem Schluss, dass der Balkon, weil er so errichtet worden war wie im Lageplan eingezeichnet, von der Legalisierungswirkung der Genehmigung gedeckt war. Mithin war er formell rechtmäßig und die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verkleinerungsverfügung hatten nicht vorgelegen. Die Verfügung war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
An diesem Urteil lässt sich studieren, wie weit die von der Baugenehmigung ausgehende Legalisierungswirkung reicht. Sie verleiht allen entsprechend der eingereichten Bauvorhaben errichteten Anlagen formelle Rechtmäßigkeit. Ob dem Bauherren Fehler bei der rechtlichen Bewertung seines Vorhabens unterlaufen sind, ist unerheblich. Auch falls die Anlagen im Widerspruch zu materiell-rechtlichen Vorschriften stehen sollten, können Abbruch oder Nutzungsuntersagung erst angeordnet werden, wenn die Baugenehmigung zurückgenommen wurde.