A, der mit Raubkopien handelt, wird seit geraumer Zeit deswegen von B erpresst. Am fraglichen Tag sucht B zusammen mit seinem Kumpel K den A in seiner Wohnung auf. Nachdem man zunächst gemeinsam eine Wodka Flasche zu dreiviertel geleert hatte, forderte B den A auf, ihm € 5000,00 zu übergeben. Als A sich weigerte, drohte B mit der Polizei und dem Finanzamt und damit, seine gesamte Wohnung zu demolieren. A gab daraufhin nach, holte das Geld aus dem Nachbarzimmer und übergab es K. B stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in der Hosentasche im Wohnzimmer. Völlig überraschend für ihn trat nun A, der sich das Geld zurückholen wollte, hinter ihn, zog seinen Kopf zur Seite und zog ihm ein Küchenmesser über den Hals. B wurde schwer an der Halsschlagader verletzt und verstarb. Der völlig überraschte K rannte davon.
Der BGH befasste sich nun mit der Frage, ob A, der tatbestandlich bereits § 212 StGB verwirklicht hatte, auch einen Mord gem. § 211 StGB begangen hatte. In Betracht kommt das Mordmerkmal der Heimtücke. Tatsächlich war B zum Zeitpunkt des Angriffs des A auf sein Leben arglos. Wer mit den Händen in den Hosentaschen in einem Wohnzimmer herum steht, befindet sich ausgesprochen gelassener Stimmung und rechnet nicht damit, dass er wenige Sekunden später tot ist. Im Urteil des Landgerichts wurde zudem festgehalten, dass B „überrascht“ war, als A hinter ihn trat. Da A diesen Überraschungsmoment in Anbetracht der schon zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Angreifer auch bewusst ausnutzen wollte, müssten eigentlich die Voraussetzungen der Heimtücke bejaht werden. Nun kam der BGH aber auf folgende Überlegung:
Aufgrund des vorangegangenen Angriffs des B auf A befand sich A gem. § 32 StGB in einer Notwehrlage. B hatte sich gem. §§ 253, 255 StGB strafbar gemacht, indem er unter Androhung einer Anzeige und erheblichen Sachbeschädigungen den A aufforderte, ihm das Geld zu übergeben. Dieser Angriff auf das Eigentum war zwar schon vollendet aber noch nicht beendet und damit noch gegenwärtig. Nach Auffassung des BGH bleibt diese fortbestehende Notwehrlage - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes - in Fällen der vorliegenden Art nicht ohne Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns des sich zur Wehr setzenden Opfers der Erpressung. Der Erpresser, also B, müsse mit einer erlaubten Verteidigungshandlung des Erpressten rechnen, da § 32 StGB eine solche Handlung erlaube.
Der BGH führt dazu folgendes aus:
„Es ist regelmäßig der Angreifer, der durch sein Verhalten einen schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder deren Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muss jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das ist von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. …Das Mordmerkmal der Heimtücke ist einer solchen, auch normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Diese gründet mit darin, dass der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet. Es gilt zudem, einen Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht zu gewährleisten. Gerade für ein zunächst unterlegenes Opfer kann es sich als unausweichlich erweisen, gegenüber dem überlegenen Rechtsbrecher, der gar noch von einem Tatteilnehmer unterstützt wird, bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen, soll die Notwehr überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Unter solchen Umständen erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage - in der Regel plötzlich - in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen.“
A hat damit nach Auffassung der BGH nicht das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht. Da auch andere Mordmerkmale nicht in Betracht kommen, liegt nur der Tatbestand des § 212 StGB vor.
Ob die Tat des A gerechtfertigt war gem. § 32 StGB hängt letztlich davon ab, ob es mildere Mittel als das eingesetzte Messer in der konkreten Situation gegeben hat. Bei lebensgefährdenden Verteidigungsmitteln müssen diese grundsätzlich zunächst angedroht werden, bevor man zur tödlichen Trutzwehr übergehen darf. Ob A dies in Anbetracht von 2 Angreifern möglich war, ist zweifelhaft. Eventuell hätte es ausgereicht, dem B das Messer nur an die Kehle zu halten und mit dem Tod zu drohen für den Fall, dass K das Geld nicht zurückgibt und aus der Wohnung verschwindet. Mit entsprechender Begründung wäre hier in der Klausur wie immer vieles vertretbar.
Weitere Ausführungen finden Sie in unserem GuKO SR II sowie in unseren ExO`S. Einen Auszug aus unseren Skripten zu diesem Thema finden Sie unter http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12491