Grundsätzlich ist bei der Beurteilung der Arg- und darauf beruhenden Wehrlosigkeit auf den ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriff abzustellen. Die Arglosigkeit muss also (nur) in dem Augenblick des „jetzt geht`s los“ und damit in dem Zeitpunkt, in welchen die Tat in das Versuchsstadium eintritt, vorliegen. Entfällt sie danach, was regelmäßig der Fall sein dürfte bei mehreren aufeinanderfolgenden Angriffen, dann ist das für die Beurteilung der Heimtücke irrelevant.
Fraglich ist aber, ob in Einzelfällen nicht auch auf einen noch früheren Zeitpunkt abgestellt werden kann. Was ist, wenn der Täter das Opfer in einen Hinterhalt lockt und dem Opfer, kaum ist es dort angekommen, dann offen feindselig gegenübertritt bevor er es dann später z.B. ersticht? Aufgrund der feindseligen Konfrontation könnte man eine Arg- und Wehrlosigkeit zum Zeitpunkt des Zustechens ablehnen. Dies würde aber die Heimtücke nach Auffassung des BGH zu sehr einengen. In seinem Beschluss v. 31.07.2018 (5 StR 296/18) hat der BGH diese Rechtsprechung zunächst noch einmal bekräftigt:
„Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat kann das Heimtückische nach ständiger Rechtsprechung jedoch gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das hat der Bundesgerichtshof für Fälle eines wohldurchdachten Lockens in einen Hinterhalt und des raffinierten Stellens einer Falle entschieden…“
In dem nun zu entscheidenden Fall hatte der Täter das Opfer aber nun nicht in einen Hinterhalt gelockt, sondern dem Sohn des Opfers, welchen er zuvor in seine Gewalt gebracht hatte, den Wohnungsschlüssel abgenommen. Mit diesem öffnete er dann die Türe. Das Opfer, welches mit der Heimkehr des Sohnes rechnete, war zu diesem Zeitpunkt arglos. In der Wohnung angekommen, bedrohte der Täter das Opfer alsdann zunächst mit einer ungeladenen Waffe, bevor er später dann mit einem Messer, welches er in der Küche des Opfers an sich nahm, zustach.
Der BGH hat hier auf den Zeitpunkt des Betretens der Wohnung abgestellt.
„Auch wenn der Täter seinem ahnungslosen Opfer in dessen Wohnung auflauert, um an dieses heranzukommen, ist nicht entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt ….. Es würde unter solchen Vorzeichen zu einer ungerechtfertigten Einengung des Anwendungsbereichs des § 211 StGB führen, die rechtliche Würdigung, ob heimtückische Tatbegehung vorliegt, auf die Umstände im Augenblick der eigentlichen Tötungshandlung zu beschränken ….Entsprechend liegt der Fall hier. Der Angeklagte hatte sich aufgrund eines detaillierten Tatplans bereits mit unbedingtem Tötungsvorsatz die Möglichkeit geschaffen, in den Schutzbereich der später Getöteten einzudringen und sie so in seine Gewalt zu bringen. Dafür hatte er sich ihres Sohns bemächtigt und ihm den Wohnungsschlüssel abgenommen. Mit dem überraschenden Eindringen in die Wohnung der ahnungslosen Frau entzog er ihr von vornherein alle realistischen und zumutbaren Abwehrchancen. Er ließ ihr zum einen keine Möglichkeit, ihm den Zutritt zu verwehren, und schuf zum anderen eine Situation, in der sie ihm – …..– wehrlos ausgeliefert war. ….. Damit wirkte das Tückische seines Vorgehens vom Zeitpunkt des Eindringens in die Wohnung im Rahmen eines in kurzer Zeit ablaufenden Geschehens bis zur eigentlichen Tötungshandlung fort.“
Es macht damit also nach Auffassung des BGH keinen Unterschied, ob der Täter das Opfer mit einer Täuschung in seinen eigenen Machtbereich lockt (Falle/Hinterhalt) oder ob er gleichfalls täuschungsbedingt in den Schutzbereich des Opfers eindringt. In beiden Fällen erschwert er dem Oper durch sein planvoll listiges Vorgehen, welches zum Zeitpunkt des ersten Angriffs fortwirkt, die Abwehr des Angriffs (so auch Puppe NStZ 2009, 208).