Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin B. ist Journalistin und als Moderatorin für einen öffentlich-rechtlichen Sender tätig. Eine von ihr anmoderierte Sendung hatte das Thema „Antisemitismus“. Einen wesentlichen Beitrag zu der Sendung lieferte der X, ein Journalist und Publizist. Die Sendung wurde von der B mit der Äußerung angekündigt, sie halte X für einen armen Mann, der als „Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung“ auftrete.
Als Reaktion darauf veröffentlichte der X in seinem Blog einen Beitrag, in dem er die B als das „kleine Luder vom Lerchenberg“ bezeichnete. B neige ihr Köpfchen zur Seite, damit der „Verstand sich in einer Ecke konzentrieren“ könne. Wörtlich schrieb er über die B:
„An dieser Moderation muss das kleine Luder vom Lerchenberg lange gefeilt haben, vor allem das Bild mit dem „Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung“ ist ihr besonders gut gelungen. Für so was wird die delirierende Hausfrau alle drei Wochen von London nach Mainz eingeflogen. Von allen Moderatoren und Moderatorinnen ist sie die dümmste und unfähigste. Der Besuch mit mir in einem Jerusalemer Café muss wohl die absolute Climax ihres ansonsten an Höhepunkten armen Lebens gewesen sein.“
Die B. verklagte den X daraufhin zivilrechtlich mit Erfolg auf Unterlassung dieser Äußerungen wegen einer Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ihre weitergehende Klage auf Entschädigung in Geld wurde dagegen abgewiesen.
Das letztinstanzliche Gericht begründete dies damit, dass die Äußerungen des X zwar in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der B eingreifen, dieser Eingriff aber auch anders als durch Zubilligung einer Geldentschädigung kompensiert werden könne. Dies wird damit begründet, dass X die Unterlassungsverfügung beachtet und die Äußerungen nicht wiederholt habe und zudem seine Äußerungen nur durch seinen Blog und damit nicht besonders weit verbreitet worden seien.
Gegen dieses Urteil legt die B Verfassungsbeschwerde ein. Durch die Ablehnung eines Anspruchs auf Entschädigung in Geld fühlt sie sich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Allein der Unterlassungsanspruch könne ihre Persönlichkeitsverletzung nicht kompensieren.
Lösung
Das BVerfG ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a) GG, §§ 90 ff. BVerfGG für die Verfassungsbeschwerde zuständig.
Die B ist als natürliche Person ein „jedermann“ und somit zulässige Beschwerdeführerin. Das letztinstanzliche Urteil ist ein Akt öffentlicher Gewalt und somit zulässiger Beschwerdegegenstand.
In der Abweisung des Klageantrags der B auf Verurteilung des X zur Zahlung einer Entschädigung in Geld liegt zumindest möglicherweise eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Durch das Urteil ist die B auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
Zudem hat die B den Rechtsweg ausgeschöpft und der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen. Die Verfassungsbeschwerde muss zudem die Anforderungen an die Form gem. § 23 BVerfGG und die Frist gem. § 93 Abs. 1 BVerfGG beachten.
Die Verfassungsbeschwerde der B ist begründet, wenn sie durch das Urteil tatsächlich in ihrem Grundrecht auf Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt ist.
Bei einem Urteil prüft das BVerfG die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, also insbesondere, ob das Urteil auf einem verfassungsmäßigen Gesetz beruht und den Umfang und die Bedeutung des Schutzes der Grundrechte angemessen berücksichtigt und im Ergebnis nicht zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt.
Der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, umfasst auch die persönliche Ehre, hier die der B.
In der Versagung eines Entschädigungsanspruchs liegt auch ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht unterliegt der Schranke eines einfachen Gesetzesvorbehalts, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise zu beachten ist. Die §§ 823, 1004 BGB gestalten das allgemeine Persönlichkeitsrecht und zivilrechtliche Ansprüche bei einer Verletzung dieses Rechts in grundsätzlich verfassungsmäßiger Weise einfachgesetzlich aus.
Nach dem Grundsatz der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte müssen die Gerichte bei der Anwendung und Auslegung der Normen des BGB die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte beachten und das einfache Recht im Lichte der betroffenen Grundrechte auslegen.
Hier ist einerseits die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG des X und andererseits das allgemeine Persönlichkeitsrecht der B nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG betroffen.
Entscheidend ist, ob das Gericht diese betroffenen Grundrechte in verhältnismäßiger Weise abgewogen hat. Dazu führt das BVerfG aus:
„Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist Geldentschädigung nur dann zuzubilligen, wenn eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht auf andere Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Die Zuerkennung einer Geldentschädigung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen dient auch der Prävention. Die staatliche Pflicht, den Einzelnen vor Gefährdungen seines Persönlichkeitsrechts durch Dritte zu schützen, auf die der Anspruch auf Entschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen zurückgeht, kann sich dann bis zur Gebotenheit einer Geldentschädigung verdichten. Auf der anderen Seite ist aus der Perspektive des Art. 5 Abs. 1 GG in Rechnung zu stellen, dass von drohenden Kompensationszahlungen auch eine Einschüchterungswirkung auf zulässige Meinungsäußerungen ausgehen kann. Für die Verhängung von Entschädigungszahlungen kommt es insoweit auf eine Gesamtwürdigung der Umstände an.“
Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Aspekte hält das BVerfG die im konkreten Fall vorgenommene Abwägung für verfassungsrechtlich vertretbar und begründet dies wie folgt:
„Das Oberlandesgericht hat sich sorgfältig mit dem Kompensationsbedarf unter den konkreten Umständen auseinandergesetzt. Dabei hat es gegen die Notwendigkeit einer Kompensationszahlung angeführt, dass der Blogbeitrag des Beklagten sich in den Kontext einer öffentlichen, kontroversen und scharf geführten Diskussion einfügt. (…) Der Verweis auf die ideelle Genugtuung durch den Unterlassungstitel und die Möglichkeit, ihn im Vollstreckungsverfahren durchzusetzen, lässt unter diesen Umständen eine Verkennung des wertsetzenden Gehalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht erkennen und hält sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.“
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der B ist somit insgesamt verhältnismäßig.
Ihre Verfassungsbeschwerde ist zwar zulässig, aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.
Anmerkung
Es handelt sich um eine weitere Entscheidung des BVerfG zur Abwägung von Meinungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht durch die Zivilgerichte. Die Grundstruktur dieser Problematik, insbesondere der Aspekt der „mittelbaren Drittwirkung“ ist ein Klassiker, der Gegenstand zahlreicher Examensklausuren ist. Gute Klausuren zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht die (zivilrechtlich) „richtige“ Entscheidung zu finden versuchen, sondern sich am Prüfungsmaßstab des BVerfG orientieren, das sich darauf beschränkt die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ festzustellen.
Neben der Beherrschung der verfassungsrechtlichen Grundlagen ist es in solchen Klausuren besonders wichtig, die konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfassen und mit den Angaben des Sachverhalts zu arbeiten und zu argumentieren.
Grob fehlerhaft wäre es hier einen Schwerpunkt auf die Prüfung des der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Gesetzes zu legen. Die §§ 823, 1004 BGB sind so offen formuliert, dass sie eine verhältnismäßige Lösung in jedem Einzelfall ermöglichen. Es wäre fernliegend, die Verfassungsmäßigkeit dieser Normen ernsthaft in Betracht zu ziehen.