Das OVG Berlin-Brandenburg stellte mit Urteil vom 16. November 2015 (Az. OVG 6 S 39.15) fest, dass eine Verpflichtung des privaten Betreibers zur Aufnahme der Schülerinnen und Schüler in das Betreuungsangebot zumindest dann besteht, wenn der betreffende Hort die einzige derartige Einrichtung an der Schule darstellt und Kindern wie Eltern keine anderen zumutbaren Betreuungsalternativen offenstehen.
.Sachverhalt
Ein privater Betreiber (im Folgenden: der Antragsgegner) hatte aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Stadt G die Trägerschaft und den Betrieb der Kindertagesstätte der örtlichen C-Grundschule übernommen.
Die Antragstellerin besuchte diese Grundschule seit Beginn des Schuljahres 2015/2016. Die Stadt G hatte mit Bescheid vom 3. August 2015 festgestellt, dass sie bis zur Versetzung in die fünfte Jahrgangsstufe über vier Stunden täglich den Hort an der Grundschule nutzen könne.
Der Antragsgegner lehnte aber die Betreuung der Antragstellerin sowie den Abschluss eines entsprechenden Betreuungsvertrages mit den Eltern der Antragstellerin ab.
Dagegen wendeten sich die Eltern im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und beantragten beim Verwaltungsgericht Cottbus, den Antragsgegner zum Abschluss eines Betreuungsvertrags zu verpflichten.
Allerdings lehnte das VG diesen Antrag mit der Begründung ab, der Antragsgegner sei nicht passivlegitimiert. § 1 KitaG-Brandenburg bzw. § 24 SGB-VIII verpflichteten die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Betreuungsleistungen zu erbringen. Leistungsverpflichtet seien also gem. § 1 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes des Landes Brandenburg zum SGB-VIII die Landkreise, nicht aber der Antragsgegner als privater Betreiber.
Gegen dieses Urteil des VG Cottbus legten die Eltern der Antragstellerin Beschwerde beim OVG-Berlin Brandenburg ein.
Zulässigkeit
Das OVG befand sich zunächst für zuständig. Zwar betreffe die Frage nach dem Anspruch auf Abschluss eines Betreuungsvertrages nach der Zwei-Stufen-Lehre das "Wie" des Anspruchs auf Betreuung. Der hier mit einem privaten Betreiber zu schließende Vertrag sei deshalb nach zivilrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liege nicht vor.
Dennoch sei das OVG zuständig, denn „gemäß § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.“
Anschließend stellte das OVG fest, dass der Hortbetreiber entgegen der Ansicht des VG Cottbus passivlegitimiert sei. Bei dem Rechtsstreit gehe es um das „Wie“ des Betreuungsanspruchs, über dessen Ausgestaltung der Betreiber des Horts entscheide. Dieser sei damit richtiger Antragsgegner.
Begründetheit
Das OVG hatte zu untersuchen, ob der Antragstellerin ein Anspruch auf Betreuung in dem vom Antraggegner betriebenen Hort zustand.
§ 1 Abs. 2 S. 1 KitaG-Brandenburg bestimmt: „Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Versetzung in die fünfte Schuljahrgangsstufe haben einen Rechtsanspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in Kindertagesstätten […].“
Das OVG stellte fest, dass der Antragsgegner durch den Vertragsschluss mit der Stadt G die Verpflichtungen übernommen hatte, welche der Stadt nach dem KitaG-Brandenburg gegenüber den Schülern der C-Grundschule oblagen. Danach hatte der Antragsgegner alle Schüler der C-Grundschule zu betreuen und entsprechende Betreuungsverträge mit den Eltern abzuschließen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn an der fraglichen Schule lediglich eine einzige Betreuungseinrichtung besteht. „Entgegen seiner Auffassung kann der Antragsgegner im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Kapazitäten nicht frei entscheiden, welche Kinder er betreut und mit welchen Eltern er Betreuungsverträge abschließt.“
Dies folge schon aus der Zielsetzung der Kinderbetreuung: Aufgabe der Horte sei es, einerseits die Erwerbstätigkeit der Eltern zu ermöglichen oder zu erleichtern, andererseits ergänzten sie auch den Erziehungsauftrag der Schule. Um letztere Funktion erfüllen zu können, seien Kindertagesstätten oft an Schulen angegliedert. „Die Betreuung der Kinder erfolgt dabei bewusst im selben räumlichen und sozialen Umfeld wie der Schulbesuch.“ Um diesen sozialen Auftrag auszuführen, müssten aber Horte allen Schülern der betreffenden Schule offenstehen. Weiter sei der Betreiber nach § 14 Abs. 2 S. 2 KitaG-Brandenburg verpflichtet, in seine Einrichtung alle Kinder aufzunehmen, unabhängig von ihrem religiösen und weltanschaulichen Hintergrund.
Das OVG führte aus, dass diese Verpflichtung gegebenenfalls dann eingeschränkt sei, wenn den Familien andere zumutbare Betreuungsmöglichkeiten offenstehen. Ob und inwiefern die Betreuungspflicht eingeschränkt sein könne, sei jedoch im konkreten Fall nicht näher zu erörtern, da jedenfalls schon keine zumutbaren Alternativen existierten:
Der nächste Hort F lag drei Kilometer und damit fußläufig über eine halbe Stunde von der Grundschule entfernt. Der zum Zeitpunkt der Antragstellung sechsjährigen Antragstellerin war es nach Auffassung des Gerichts nicht zumutbar, eine solche Entfernung eigenständig zurückzulegen. Genauso wenig könne von ihren Eltern verlangt werden, den Transport ihrer Tochter dorthin zu übernehmen. „Unabhängig davon würde die Betreuung [im Hort F] den sozialen Aspekt der Hortbetreuung auf dem Schulgelände, also in vertrauter Umgebung und mit den Mitschülern, konterkarieren.“
Weiter stellte nach Auffassung des Gerichts auch der von der Gemeinde G vorgeschlagene Wechsel der Antragstellerin an eine andere, näher am Hort F gelegene Grundschule keine zumutbare Alternative dar. Dem stehe schon der Grundsatz der freien Schulwahl nach § 50 SchulG-Brandenburg entgegen.
Schließlich widmete sich das OVG-Berlin Brandenburg der Frage, ob es dem Antragsgegner aus anderen Gründen ausnahmsweise unzumutbar sei, die Antragstellerin in seinem Hort zu betreuen. Der Antragsgegner hatte geltend gemacht, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern der Antragstellerin sei ihm aufgrund einer vorangegangenen Auseinandersetzung mit selbigen nicht möglich.
In diesem Zusammenhang stellte das Gericht fest, dass allein aufgrund einer vergangenen Auseinandersetzung mit den Eltern zu betreuender Kinder noch nicht angenommen werden könne, dass dem Hortbetreiber die Betreuung dieser Kinder unzumutbar sei. Es sei schon nicht ohne weiteres anzunehmen, dass es zukünftig überhaupt zu neuerlichen Auseinandersetzungen kommen werde.
Damit stellte das OVG fest, dass der Antragsgegner verpflichtet war, die Antragstellerin in seiner Einrichtung zu betreuen. Es änderte das Urteil des VG Cottbus ab und gab dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung auf, mit den Eltern der Antragstellerin einen Betreuungsvertrag abzuschließen.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
An diesem Urteil lässt sich die Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Zwei-Stufen-Theorie studieren. Es wird deutlich, wie sich die Zuordnung einer Rechtsfrage zur Stufe des „Ob“ bzw. des „Wie“ auf den einzuschlagenden Rechtsweg auswirkt. Weiter hängt davon ab, welche Rechtsentität als passivlegitimiert anzusehen ist.
In diesem Zusammenhang bietet es sich an, sich die Regelung des § 17a Abs. 5 GVG zu vergegenwärtigen: Befindet sich ein Gericht eines bestimmten Rechtswegs einmal für zuständig, so sind die höheren Instanzen an diese Entscheidung gebunden.