Der Entscheidung des BGH (Urteil vom 20. Februar 2014, Az. VII ZR 172/13 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de = DNotZ 2014, 450 = MDR 2014, 521 = NJW 2014, 1374 = BeckRS 2014, 06128 (beck-online) = LSK 2014, 260276 (beck-online) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kläger (K) machen gegen die Beklagte (B) aus einem Vertrag über den Erwerb einer Altbauwohnung mit Sanierungsverpflichtung Ansprüche wegen Nutzungsausfalls geltend.
Mit notariellem Vertrag vom 9. Januar 2009 verpflichtete sich die B, das Vertragsobjekt spätestens bis zum 31. August 2009 bezugsfertig herzustellen und zu übergeben. Die Wohnung war bis zum 30. September 2011 nicht fertig gestellt.
Die K haben eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von insgesamt 17.759,04 € (24 Monate zu je 1.045,76 € abzüglich der erstatteten Kaltmiete für die derzeit bewohnte Wohnung in Höhe von 305,80 €) geltend gemacht, weil sie in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis einschließlich 30. September 2011 statt in der neu erworbenen Wohnung mit einer Wohnfläche von 136,3 qm in ihrer bisherigen 72,6 qm großen Dreizimmerwohnung mit ihren drei Kindern im Alter von 3, 14 und 15 Jahren unter beengten Verhältnissen hätten leben müssen.
Haben die K gegen B den geltend gemachten Anspruch?
Die K könnten gegen B einen Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB haben.
I. Wirksames Schuldverhältnis
Zunächst müsste zwischen K und B ein wirksames Schuldverhältnis bestehen. Hier haben K und B einen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung geschlossen (§ 433 BGB). K und B müssten auch die gesetzlich vorgeschriebene Form eingehalten haben. Hier war der Kaufvertrag notariell beurkundet, sodass die Form des §§ 311b, 128 BGB gewahrt wurde. Mithin liegt ein wirksames Schuldverhältnis vor.
II. Verzug
Die B müsste im Verzug sein (§ 286 Abs. 1 BGB). Verzug ist die schuldhafte Nichtleistung trotz Möglichkeit, Fälligkeit und Mahnung. Hier hatte sich die B vertraglich verpflichtet, die Wohnung für die K bis zum 31. August 2009 bezugsfertig herzustellen und zu übergeben. Die B kam dieser Pflicht jedoch vom 1. Oktober 2009 bis einschließlich 30. September 2011 nicht nach. Die B war also im Verzug. Da als Leistungszeitpunkt hier der 31. August 2009 vereinbart war, war auch eine Mahnung entbehrlich nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Grundsätzlich wäre B also im Verzug.
III. Keine Widerlegung des vermuteten Vertretenmüssen
Der B kommt nicht in Verzug, wenn er sein vermutetes Vetretenmüssen widerlegen kann (§ 286 Abs. 4 BGB). Hier bringt B jedoch nichts vor, was sein Vertretenmüssen widerlegen könnte. Mithin hat B auch schuldhaft gehandelt.
IV. kausaler Schaden
Es müsste ein kausaler Schaden gegeben sein. Bei § 286 Abs. 1 BGB wird der Verzögerungsschaden ersetzt. Fraglich ist, ob die K dafür eine Entschädigung verlangen können, dass Ihnen im Verzugszeitraum die Nutzung der erworbenen Wohnung vorenthalten wurde. Grundsätzlich kann der Entzug von Sachen einen Vermögensschaden begründen. Jedoch ist der Nutzungsausfallersatz dahingehend begrenzt, dass er sich nur auf Sachen erstreckt, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung von zentraler Bedeutung sind. Der Entzug muss sich signifikant auswirken auf die materiale Lebenshaltung. Hierfür ist ein strenger Maßstab anzulegen. Es muss zu einer „fühlbaren“ Beeinträchtigung kommen.
Hierzu führt der BGH aus: „1. Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 1986 [...] kann der deliktisch bedingte Entzug von Sachen, auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist, einen Vermögensschaden bewirken. Der Ersatz für den Verlust der Möglichkeit zum Gebrauch einer Sache muss allerdings grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen sich die Funktionsstörung typischerweise auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Deshalb beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist [...].
2. Diese für eine deliktische Haftung entwickelten Grundsätze des Großen Senats für Zivilsachen hat der Bundesgerichtshof auf die Vertragshaftung übertragen [...] und auch für die Beurteilung von verzugsbedingt entgangenen Gebrauchsmöglichkeiten herangezogen [...].
3. Danach unterliegt es keinem Zweifel, dass der längere Entzug der Gebrauchsmöglichkeit einer zum Eigengebrauch vom Bauträger erworbenen Eigentumswohnung einen Vermögensschaden begründen kann. [...].“
Darüber hinaus führt der BGH aus: „a) Ein Vermögensschaden kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn sich der Umstand, dass die Nutzung einer erworbenen Eigentumswohnung vorenthalten wird, signifikant auf die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des Erwerbers auswirkt. Insoweit ist ein strenger Maßstab [...]. Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung besteht, wenn der Nutzungsausfall zu einer "fühlbaren" Gebrauchsbeeinträchtigung geführt hat [...]. Daran fehlt es, wenn der Erwerber das erworbene Objekt ohnehin nicht eigenwirtschaftlich nutzen konnte oder wollte [...]. Des Weiteren ist bei einem lediglich kurzfristigen Nutzungsausfall, den der Geschädigte bei wirtschaftlich vernünftiger Betrachtung durch zumutbare Dispositionen auffangen kann, ein ersatzfähiger Schaden zu verneinen [...]. An einem Schaden kann es auch fehlen, wenn dem Erwerber während des Verzugs mit der Fertigstellung der Wohnung ein in etwa vergleichbarer anderer Wohnraum zur Verfügung steht und ihm die Kosten der Anmietung ersetzt werden. Denn dann kann von einer fühlbaren Beeinträchtigung der zentralen Lebensführung regelmäßig nicht ausgegangen werden [...].
b) Eine Nutzungsausfallentschädigung kann hingegen nicht versagt werden, wenn dem Erwerber während des Verzugs lediglich Wohnraum zur Verfügung stand, der mit dem erworbenen Wohnraum nicht vergleichbar ist, sondern eine deutlich geringere Qualität besitzt [...]. Dabei kann dahinstehen, ob entsprechende Überlegungen für die Nutzungsausfallentschädigung bei Kraftfahrzeugen eine Rolle spielen könnten [...]. Der Wohnwert einer Wohnung hat eine andere Bedeutung für die Lebensführung als die Nutzungswerte anderer Gegenstände. Insbesondere ist er mit dem Nutzungswert von Kraftfahrzeugen nicht vergleichbar. Die Wohnung ist regelmäßig der zentrale Mittelpunkt im Leben. Das gilt nicht nur für die Wohnung an sich, sondern auch in der konkreten Ausgestaltung. Ihr misst die Verkehrsanschauung eine derartige Bedeutung zu, dass es nicht gerechtfertigt wäre, eine Nutzungsentschädigung allein deshalb zu versagen, weil dem Geschädigten während der Zeit des Entzugs oder der Vorenthaltung ein anderer Wohnraum zur Verfügung steht, wenn dieser nicht in etwa gleichwertig ist. Der Geschädigte ist vielmehr auch dann in seiner zentralen Lebensführung fühlbar beeinträchtigt, wenn er deutlich minderwertigeren Wohnraum zur Verfügung hat, z.B. eine deutlich kleinere Wohnung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Wohnraum - gemessen an den für die Wohnraumförderung oder für die sozialrechtliche Unterstützung geltenden Maßstäben - noch ausreichend ist. Eine derartige Betrachtung würde sich an für die Bewertung des konkret erlittenen Vermögensschadens ungeeigneten Kriterien orientieren und vor allem unberücksichtigt lassen, dass sich die Bewertung des Schadens im Falle eines vertraglichen Anspruchs an dem Vertrag zu orientieren hat. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, diese Wertung zu korrigieren, zumal nicht erkennbar ist, dass der Bauträger insoweit schutzwürdig wäre. Denn auch insoweit würde er davon profitieren, dass der Erwerber regelmäßig praktisch gezwungen ist, in der minderwertigeren Wohnung zu verbleiben oder sich aus verständlichen Gründen für die Übergangszeit mit einer kleineren Wohnung zufrieden zu geben. Daran kann dem Erwerber schon deshalb gelegen sein, weil er infolge des Erwerbs der neuen Wohnung finanziell beschränkt ist. Er muss aber auch in die Überlegung einbeziehen, dass er eventuelle Kosten von dem säumigen Bauträger nicht zurückholen kann, weil dieser möglicherweise nicht in der Lage ist, ihn finanziell zu befriedigen.
c) Es kommt deshalb entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob dem Erwerber ein noch angemessener Wohnraum zur Verfügung stand. Maßgeblich ist allein, ob dieser Wohnraum dem vorenthaltenen Wohnraum in etwa gleichwertig ist. Allenfalls dann, wenn dem Erwerber eine besonders luxuriöse Wohnung entzogen oder vorenthalten wird, die nach der Verkehrsauffassung nicht mehr allein dazu dient, die jeweiligen, individuellen Wohnbedürfnisse zu befriedigen, sondern Ausdruck einer Liebhaberei oder eines besonderen Luxus ist, kann eine andere Betrachtungsweise gerechtfertigt sein.
d) Bei der Beurteilung, ob eine vorhandene Wohnung in etwa gleichwertig ist, ist eine objektivierte, typisierende Betrachtungsweise geboten [...]. Den Klägern stand mit ihrer bisherigen und von ihnen weiter genutzten Wohnung kein in etwa gleichwertiger Wohnraum zur Verfügung. Diese besitzt eine Grundfläche von 72,6 qm, während die erworbene Altbauwohnung eine solche von 136,3 qm aufweist und daher fast doppelt so groß ist.“
Somit ist eine Nutzungsausfallentschädigung grundsätzlich zu bejahen.
Fraglich ist aber, wie es sich auswirkt, dass die K niemals Besitz an der Wohnung hatten, sodass hier der Entzug und damit die Nutzungsausfallentschädigung verneint werden könnte. Dies führt jedoch nach dem BGH nicht dazu, dass der Anspruch ausgeschlossen ist: „a) Dem Umstand, dass der Geschädigte noch nicht im Besitz der erworbenen Wohnung war, diese ihm also nicht entzogen, sondern nur vorenthalten worden ist, kommt keine Bedeutung zu. Von der Rechtsordnung wird im Rahmen des Schadensersatzes nicht nur das Interesse am Bestand geschützt [...], sondern auch das Interesse, eine geschuldete Sache zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zu erhalten und sie ab diesem Zeitpunkt auch nutzen zu können. Es stellt sich deshalb nur die Frage, ob ein Vermögensschaden allein dadurch entstehen kann, dass der Erwerber die erworbene Wohnung im Verzugszeitraum nicht nutzen kann. Das ist zu bejahen. Denn die Möglichkeit, eine erworbene Wohnung nutzen zu können, hat nach der Verkehrsanschauung einen Vermögenswert, der sich in objektiv messbaren Kriterien ausdrückt. Eine erworbene Wohnung hat, nicht anders als eine bereits in Besitz genommene Wohnung, die Funktion, die Wohnbedürfnisse des Erwerbers zu befriedigen. Vermögensrechtlich macht es keinen Unterschied, ob eine Wohnung nicht mehr oder noch nicht genutzt werden kann. Denn in beiden Fällen wird dem Geschädigten die Nutzung einer für seine Lebensführung zentral bedeutsamen Sache unmöglich gemacht.
b) Vielmehr ist es in diesem und vergleichbaren Fällen geradezu geboten, den Erwerber durch Zuerkennung einer Nutzungsausfallentschädigung vor ungerechtfertigten Nachteilen zu schützen. Gerät ein Bauträger in Verzug mit der Errichtung einer Wohnung, so kann sein Vertragspartner regelmäßig in erhebliche Schwierigkeiten geraten. Er muss nämlich sein Wohnbedürfnis nun entgegen der vertraglich abgesicherten Disposition anderweitig sichern. Regelmäßig wird er Schwierigkeiten haben, eine andere, der erworbenen Wohnung gleichwertige Wohnung zu finden. Denn er weiß in der Regel nicht, wann der Verzug beendet sein wird und ob es sich überhaupt lohnt, eine andere Wohnung zu beziehen. Insbesondere Vermieter werden nicht geneigt sein, unter diesen Voraussetzungen Mietverhältnisse einzugehen. Zudem ist der vorübergehende Umzug in eine andere, vergleichbare Wohnung regelmäßig wegen der damit verbundenen Kosten und Umstände unzumutbar. Der Erwerber wird faktisch gezwungen, entweder - so dies überhaupt möglich ist - in seiner Wohnung zu verbleiben oder einen anderen Behelf zu akzeptieren. Es wäre ein unbefriedigendes Ergebnis, wenn dem sich im Verzug befindlichen Bauträger diese Zwangssituation des Erwerbers insoweit zugute käme, als er dem Erwerber lediglich die Kosten für die weiterbenutzte Wohnung erstatten müsste. Diese Sichtweise würde die berechtigte Erwartung des Erwerbers, eine andere, häufig deutlich bessere Wohnung nutzen zu können, praktisch schutzlos stellen. Ähnliche Erwägungen haben den Großen Senat für Zivilsachen bewogen, eine Nutzungsausfallentschädigung beim deliktisch bedingten Entzug einer eigenwirtschaftlich genutzten Sache anzuerkennen [...]. Für die vertragliche Vorenthaltung einer Sache in den Fällen des Verzugs mit der Übergabe einer noch herzustellenden Wohnung gilt nichts anderes. Ansonsten bestünde ein nicht überbrückbarer Wertungswiderspruch zu den Fällen, in denen der Erwerber die Wohnung bereits eine Weile genutzt hat, sich der Mangel sodann zeigt und der Erwerber deshalb die Wohnung nicht mehr nutzen kann. In diesen Fällen ist eine Nutzungsausfallentschädigung zu [...]. Es gibt keinen Anlass, diesen Fall anders zu beurteilen als den Fall, in dem der Mangel bereits vor Übergabe der Wohnung zutage tritt und der Erwerber deshalb von vornherein nicht in der Lage ist, die Wohnung zu nutzen [...].
4. Ein Erwerber kann daher grundsätzlich Schadensersatz auch dann verlangen, wenn ihm durch die nicht rechtzeitige Vertragserfüllung die Nutzung von Wohnraum vorenthalten wird, dessen ständige Verfügbarkeit für seine eigene wirtschaftliche Lebenshaltung von zentraler Bedeutung ist.“
V. Ergebnis
Mithin K hat gegen B im Ergebnis einen Anspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB.
Anmerkung: Zur weiteren Vertiefung der Problematik des Falles kann auf die Urteilsanmerkung von Hille (NJW 2014, 1376) verwiesen werden. Dieser setzt sich mit der – gerade für das Examen wichtigen – Frage auseinander, inwieweit der Bauträger eine Nutzungsausfallentschädigung durch AGB ausschließen kann. Auch die Urteilsanmerkung von Bub/von der Osten (FD-MietR 2014, 357760 (beck-online) ist insoweit interessant, als dass eine kurze Abgrenzung dahingehend erfolgt, dass z.B. für eine Ferienwohnung keine Nutzungsausfallentschädigung zu leisten ist. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie auch in unseren ExO`s und im GuKO ZR I. Eine Leseprobe aus unserem Skript finden Sie hier: http://www.juracademy.de/web/skript.php?id=37291.