A Sachverhalt:
Der Beklagte bot Ende März/Anfang April 2012 einen Pirelli-Radsatz für einen Audi A6 mit einem Startpreis von 1 € auf der Internet-Plattform eBay zum Verkauf an. Er beendete die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger Höchstbietender mit einem Gebot von 201 €. Nach den seinerzeit geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay kam ein Kaufvertrag mit dem Höchstbietenden auch bei vorzeitiger Beendigung der Auktion zustande, es sei denn, der Anbieter war zur Rücknahme des Angebots "gesetzlich" berechtigt. Der Beklagte hat geltend gemacht, der Radsatz sei aus der Garage des Zeugen R. entwendet worden, wovon er, der Beklagte, erst unmittelbar vor dem Abbruch der Auktion erfahren habe. Ein Nachweis dieser Tatsachen ist nicht gelungen. Der Kläger hatte seit dem Jahr 2009 in großem Umfang Gebote bei eBay-Auktionen abgegeben. Mit E-Mail vom 4. April 2012 forderte der Kläger den Beklagten vergeblich auf den angebotenen Radsatz, dem er zuletzt einen Wert von mindestens 1.701 € zugemessen hatte, gegen Zahlung von 201 € herauszugeben. Mit Schreiben vom 24. Januar 2013 trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und forderte Schadensersatz.
In den Jahren 2013/2014 hat der Kläger in sehr großer Anzahl an Auktionen mit einem außergewöhnlich hohen Gesamtbetrag der insgesamt abgegebenen Gebote (etwa 14.000 Auktionen mit einem Gesamtbetrag von mehr als 52 Millionen Euro) teilgenommen und nach seinen im Jahr 2014 selbst gemachten Angaben in etwa 100 Fällen Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat.
Kann dem Anspruch des Klägers der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden?
B Leitsatz
„Bei der Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internet-Plattform eBay, der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, können abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als "Abbruchjäger" zulassen, nicht aufgestellt werden. Es hängt vielmehr von einer dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien einen solchen Schluss tragen.“
C Lösung:
I Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung von 1500 € könnte sich aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 ergeben. Fraglich ist, ob diesem Anspruch die Einrede des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden kann.
Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben.
Hinweis
Dem BGH kam hier eine beschränkte Prüfungskompetenz zu. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt sowie den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat und ob seine Wertung gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (Senatsurteile vom 15. März 2017 - VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474 Rn. 20; vom 4. Februar 2015 - VIII ZR 154/14, BGHZ 204, 145 Rn. 16 mwN).
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Bieters bei Internetauktionen kommt dann in Betracht, wenn seine Absicht von vornherein nicht auf den Erfolg des Vertrages, sondern auf dessen Scheitern gerichtet ist, er also den angebotenen Gegenstand gar nicht erwerben will, sondern auf den Abbruch der Auktion abzielt, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (sogenannter Abbruchjäger).
Es lassen sich keine abstrakten, verallgemeinerungsfähigen Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als "Abbruchjäger" in diesem Sinne zuließen, aufstellen. Es hängt vielmehr von der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien einen solchen Schluss tragen.
Hinweis
Für die Klausur bedeutet dies den Sachverhalt intensiv auszuwerten und alle Umstände des Einzelfalls in die Argumentation einzubeziehen. Sodann dürfte (fast) jedes Ergebnis vertretbar sein.
1 Abbruchjäger oder Schnäppchenjäger
Es ist unschädlich, dass ein Bieter sich als sogenannter Schnäppchenjäger betätigt, der bei Internetauktionen gezielt auf Waren bietet, die zu einem weit unter Marktwert liegenden Mindestgebot angeboten werden. Ebenso wenig ist es missbilligenswert, wenn ein solcher Bieter sein Höchstgebot auf einen deutlich unter dem Marktwert der Ware liegenden Betrag begrenzt. Denn es macht gerade den Reiz einer solchen Internetauktion aus, dass der Bieter die Chance hat den Auktionsgegenstand zu einem Schnäppchenpreis zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt durch den Mechanismus des Überbietens einen für ihn vorteilhaften Preis zu erzielen.
An der Beurteilung dieser Ausgangslage ändert sich auch dann nichts, wenn ein Bieter sich in einer Vielzahl von Fällen solche für den Verkäufer riskanten Auktionsangebote zunutze macht, um ein für ihn günstiges "Schnäppchen" zu erzielen, weil allein die Quantität eines von der Rechtsordnung im Einzelfall gebilligten Vorgehens in der Regel nicht zu dessen Missbilligung führt.
„Ohne Erfolg macht die Revision (unter Bezugnahme auf ein vom Landgericht Darmstadt [Urteil vom 21. November 2014, 24 S 53/14] aufgehobenes Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 16. Juli 2014, 62 C 26/14) geltend, ein Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beklagten sei bereits aus der Vielzahl seiner Gebote zu ziehen, weil bei normalem Verlauf der Auktionen nicht damit gerechnet werden könne, dass er die Gesamtsumme seiner Gebote tatsächlich werde aufbringen können. Insoweit hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung - rechtsfehlerfrei - darauf abgestellt, dass die Gesamtsumme der gebotenen Geldbeträge schon deswegen unerheblich ist, weil ein Bieter bei der Abgabe von weit unter dem Marktwert liegenden Höchstgeboten regelmäßig überboten wird, bei der Auktion dann nicht zum Zuge kommt und demzufolge auch den angebotenen Preis nicht zu entrichten hat.
Er muss bei einem normalen Verlauf der Auktionen daher gerade nicht damit rechnen, die Gesamtsumme seiner Angebote auch aufbringen zu müssen. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, zielt seine Vorgehensweise stattdessen in einer den Internetauktionen immanenten und nicht zu missbilligenden Weise darauf ab, bei einer geringen Anzahl von Auktionen, dann aber zu einem für ihn aufbringbaren "Schnäppchenpreis", zum Zuge zu kommen.“
„Aus demselben Grund kann insoweit auch nicht von einem Vortäuschen einer tatsächlich nicht vorhandenen Leistungsfähigkeit des Klägers als Bieter ausgegangen werden. Das Berufungsgericht hat im Gegenteil vielmehr festgestellt, dass der Kläger die Artikel, auf die er - erfolgreich - geboten hat, auch jeweils abgenommen hat. Zudem hat er nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen in einigen Fällen - nach einem vorzeitigen Abbruch der Auktion - sogar im Vergleichswege einen höheren als den von ihm gebotenen Preis dafür gezahlt. Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe die Beiziehung anderer Prozessakten versäumt, in denen der Kläger als Anspruchsteller aufgetreten sei, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.“
Ebenfalls unbeachtlich ist der Vortrag der Revision, dass der Kläger für eine Vielzahl der erworbenen Gegenstände kein erkennbares Erwerbsinteresse aufweist. Ob der Kläger den Radsatz für Dritte oder sich selbst erwerben wollte, diesen verschenken bzw. gewinnbringend veräußern wollte, stellt ein bloßes Kaufmotiv dar, welches keine zuverlässigen Rückschlüsse auf eine fehlende Erwerbsabsicht des Klägers zulässt.
Auch ist hier keine Vergleichbarkeit zur vom Senat ausnahmsweise angenommenen Sittenwidrigkeit im Senatsurteil vom 24. August 2016 VIII ZR 182/15 gegeben.
„Dort wurde insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass seinerzeit neben dem Mitbieten bei einer Vielzahl von Auktionen zusätzliche besonders zu missbilligende Umstände im Verhalten des damaligen Bieters hinzutraten. So hat dieser Bieter bei einer nachfolgenden, ihm bekannt gewordenen Auktion über denselben Gegenstand nicht mitgeboten, seine (vermeintlichen) Ansprüche an einen Zeugen abgetreten und dieser seinen Schadensersatzanspruch anschließend erst sehr spät gerichtlich geltend gemacht, als er davon ausgehen konnte, dass der Gegenstand bereits an einen Dritten veräußert worden war. Diese Besonderheiten liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Denn anders als in dem vorgenannten Senatsurteil zugrundeliegenden Fall, in dem der dortige Käufer davon ausgehen konnte, dass der Verkäufer lange Zeit nach der Auktion den angebotenen Gegenstand anderweitig veräußert hatte und er deshalb Schadensersatz statt der Leistung geltend machen konnte, schied hier eine zwischenzeitliche anderweitige Veräußerung des angebotenen Radsatzes bereits deshalb aus, weil der Beklagte einen Diebstahl des Radsatzes geltend gemacht hatte. Damit war auch eine anderweitige, etwa schutzwürdige Disposition des Beklagten im Vertrauen auf das Ausbleiben weiterer Forderungen im hier vorliegenden Fall zwischen erstmaliger Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs und einer gerichtlichen Durchsetzung in einem Zeitraum von über zwei Jahren nicht berührt.“
Nachträgliche Umstände waren dabei nicht zu berücksichtigen.
„Die Revision sieht zwar ein maßgebliches Indiz für ein Vorgehen des Klägers als "Abbruchjäger" darin, dass er in den Jahren 2013/2014 - also in einem deutlich nach der Internet-Auktion vom März/April des Jahres 2012 liegenden Zeitraum - in einer sehr großen Anzahl von Auktionen mit einem außergewöhnlich hohen Gesamtbetrag der insgesamt abgegebenen Gebote (etwa 14.000 Auktionen mit einem Gesamtbetrag von mehr als 52 Millionen Euro) teilgenommen und nach seinen im Jahr 2014 selbst gemachten Angaben in etwa 100 Fällen Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat. Dies hat das Berufungsgericht hier jedoch rechtsfehlerfrei - auch im Hinblick auf die sonstigen Indizien in der Gesamtschau aller Umstände - nicht für ausschlaggebend erachtet, weil das spätere Verhalten des Klägers keine Rückschlüsse auf eine etwa fehlende Erwerbsabsicht im Zeitpunkt der Internet-Auktion im vorliegenden Fall zulässt, zumal der Kläger die von ihm ersteigerten Gegenstände jeweils abgenommen hat.“
2 Zwischenergebnis
Die Gesamtabwägung führt dazu, dass vorliegend nicht von einem Abbruchjäger, sondern vielmehr von einem Schnäppchenjäger auszugehen ist.
II Ergebnis
Dem Anspruch des Klägers kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegengehalten werden.