Die „Widerspruchslösung“ bezieht sich auf ein strafprozessuales Problem, welches Ihnen geläufig sein sollte, nämlich das Problem des Beweisverwertungsverbots. Es gibt selbstständige Beweisverwertungsverbote und unselbstständige Beweisverwertungsverbote. Letztere setzen eine rechtswidrige Beweisgewinnung voraus. Bei der Erhebung des Beweises ist also irgendetwas schiefgelaufen: ein Zeuge wurde nicht belehrt, eine Durchsuchung erfolgte ohne richterlichen Beschluss, der Blut wurde von der Krankenschwester und nicht vom Arzt abgenommen.
Beweisverwertungsverbote führen nun dazu, dass das Gericht die vom Verbot betroffenen Beweise bei seiner Urteilsfindung nicht berücksichtigen darf. Tut es das gleichwohl und beruht das Urteil dann auf diesem Fehler, so können Verteidigung oder Staatsanwaltschaft erfolgreich Revision einlegen. In der nächsten Instanz wird das Urteil dann aufgehoben und zu einer erneuten Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.
Die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt oder nicht, wird also in der Regel erst in der 2. Instanz geklärt. Dem tritt der BGH mit seiner, vom BVerfG gebilligten „Widerspruchslösung“ entgegen. Er ist der Auffassung, dass „dem verteidigten Angeklagten (und den sonst von einem Beweisverwertungsverbot Betroffenen)….im Interesse der Schonung von Justizressourcen – orientiert am Subsidiaritätsgedanken – die frühestmögliche zumutbare Geltendmachung einer Rechtsverletzung abverlangt (werden kann), um in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Frage des Verwertungsverbots eingehend prüfen und gegebenenfalls Abhilfe schaffen zu können…“
Nach der „Widerspruchslösung“ muss bei einer zunehmenden Zahl von Beweisverwertungsverboten der Verwertung des Beweismittels rechtzeitig widersprochen werden. Diese Pflicht trifft auch den Angeklagten, der ohne Verteidiger an der Hauptverhandlung teilnimmt, sofern er zuvor entsprechend durch das Gericht auf die Möglichkeit des Widerspruchs hingewiesen wurde. Der Widerspruch muss bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erfolgen, also bis spätestens nach dem Ende der Beweisaufnahme. Erfolgt der Widerspruch nicht oder verspätet, so ist eine Rüge des Verfahrensverstoßes in der 2. Instanz präkludiert. Darüber hinaus soll es nicht ausreichen, dass der Widerspruch erhoben wird. Der Widersprechende muss auch die Angriffsrichtung präzisieren und begründen, er muss also ausführen, welches Beweismittel aus welchen Gründen nicht verwertbar sein soll.
Noch nicht abschließend geklärt ist, bei welchen Beweisverwertungsverboten zu widersprechen ist. Folgende „prominente“ Fallgruppen haben sich herausgebildet :
- Unterlassen der gem. § 136 I S. 2-4 StPO erforderlichen Belehrung
- Verstöße bei heimlichen Maßnahmen gem. §§ 100a ff StPO
- Unterlaufen des Richtervorbehaltes bei einer Durchsuchung gem. §§ 102 ff StPO oder einer Maßnahme gem. § 81 Abs. 2 StPO (lesen Sie dazu BGH NJW 2018, 2279)
In der Literatur stößt die Widerspruchslösung auf große Kritik. Es wird eingewandt, dass sie ohne gesetzliche Grundlage der Verteidigung gerichtliche Aufklärungs- und Fürsorgepflichten übertrage und somit das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren verletze.
Expertentipp
In der Klausur müssen sie also bei (Zusatz-) Fragen nach der Begründetheit einer Revision zum einen klären, ob aus einer rechtswidrigen Beweisgewinnung überhaupt ein Verwertungsverbot folgt, als auch zum anderen, ob dieser Verstoß überhaupt gerügt werden kann. Das ist immer dann nicht der Fall, wenn der (unverteidigte und aufgeklärte) Angeklagte oder sein Verteidiger hätten widersprechen müssen, es aber nicht getan haben.