Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal folgendes: es gibt Rechtsmittel, die den Eintritt der Rechtskraft hemmen. Dazu gehören die Berufung gem. §§ 312ff StPO und die Revision gem. §§ 333ff StPO. Sind diese Rechtsmittel frist- und formgerecht eingelegt – und ggfs. begründet – worden, kann die Strafe zunächst nicht vollstreckt werden.
Ist jedoch der Täter rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden, kann diese Entscheidung nur noch mit einem Rechtsmittel angefochten werden, welches die Rechtskraft durchbricht. Hierzu zählen im Strafrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §§ 44 StPO, die Urteilsverfassungsbeschwerde gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gem. §§ 359ff StPO.
Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zu unterscheiden zwischen der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten gem. § 359 StPO und zuungunsten des Verurteilten gem. § 362 StPO (bei einem Strafbefehl nach § 373a StPO).
Bei einem Vergleich der beiden Normen fällt auf, dass neue Tatsachen oder Beweismittel zwar eine Wiederaufnahme zugunsten, nicht aber zuungunsten des Verurteilten begründen können. Da aber insbesondere der DNA-Beweis in den letzten Jahren größere Bedeutung erlangt hat, soll nun (noch vor Ende der Legislatur in 2021 und somit vor der Bundestagswahl im September 2021) auch § 362 StPO um eine Nr. 5 ergänzt werden, wonach eine Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten ebenfalls bei neuen Tatsachen oder Beweisen möglich sein soll. Beschränkt werden soll diese Möglichkeit aber auf die Verfolgung wegen Mordes gem. § 211 StGB oder andere Tötungsdelikte nach dem Völkerstrafrecht, bei denen eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erwarten ist.
Hinweis
Mit Datum vom 30.12.2021 ist nun § 362 Nr. 5 StPO in Kraft getreten. Am 20. April 2022 hat das OLG Celle sich mit der Verfassungskonformität der Norm auseinandergesetzt. Wir haben diese Entscheidung bei BGH&Co (https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/wiederaufnahme-zuungunsten-verurteilten-verfassungskonform) besprochen.