Beide Formen der Einwilligung sind ausdrücklich nicht im Gesetz geregelt. § 228 StGB setzt die Möglichkeit eines Rechtsgüterverzichts nur voraus und erweitert die Voraussetzungen bei Körperverletzungsdelikten. Sowohl die tatsächliche als auch die mutmaßliche Einwilligung sind also Gewohnheitsrecht zugunsten des Täters.
Hinweis
In § 1901a BGB hat der Gesetzgeber mit der Patientenverfügung nun eine besondere Form der Einwilligung geregelt. Sofern es sich um eine medizinische Behandlung handelt, regelt Abs. 1 die ausdrückliche Einwilligung und Abs. 2 die mutmaßliche Einwilligung in den Abbruch der Behandlung
Die allgemeinen Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung sind die folgenden:
- Disponibles Rechtsgut
- Einwilligung wurde vor der Tat ausdrücklich oder konkludent erteilt und besteht zum Tatzeitpunkt noch fort
- Einwilligungsfähigkeit desjenigen, der auf den Schutz des Rechtsguts verzichtet
- Die Einwilligung muss frei von Täuschung, Drohung und Zwang zustande gekommen sein
- Der Täter muss in Kenntnis und (h.M.) aufgrund der Einwilligung gehandelt haben
Neben der ausdrücklich oder konkludent erteilten Einwilligung gibt es die mutmaßliche Einwilligung. Die mutmaßliche Einwilligung basiert auf zwei Prinzipien:
- Prinzip der Geschäftsführung ohne Auftrag: Das Handeln des Täters liegt im materiellen Interesse des Betroffenen
- Prinzip des mangelnden Interesses: Der Rechtsgutsträger hat an der Rechtsgutserhaltung kein Interesse.
Die Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung sind die folgenden:
- Disponibles Rechtsgut
- Subsidiarität der mutmaßlichen gegenüber der erklärten Einwilligung
- Übereinstimmung mit dem hypothetischen Willen des Rechtsgutsträgers
- Keine Sittenwidrigkeit gem. § 228
- Der Wille, im Sinne des Einwilligungsberechtigten zu handeln und eine gewissenhafte Prüfung des hypothetischen Willens
Hinweis
Daneben gibt es noch die hypothetische Einwilligung, die aber nur beim ärztlichen Heileingriff in Betracht kommt. Hier kann es passieren, dass die Aufklärung des Patienten fehlerhaft war, was grundsätzlich dazu führt, dass dessen Wille nicht „frei von Täuschung“ gefasst wurde. Die Einwilligung wäre dann unwirksam. In § 630h II 2 BGB wird aber deutlich gemacht, dass sich der Behandelnde bei einem Aufklärungsfehler darauf berufen darf, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt.
Eine mutmaßliche Einwilligung kommt also grundsätzlich nicht in Betracht, wenn eine tatsächliche Einwilligung hätte eingeholt werden können oder aber verweigert wurde.
Wie sieht die Situation nun beim Diebstahl gem. § 242 StGB aus?
Zunächst ist festzustellen, dass der Rechtsgüterverzicht des Eigentümers an 2 Stellen geprüft werden kann:
- Zum einen wie immer bei der Rechtswidrigkeit als möglicher Rechtfertigungsgrund
- Teilweise wird die Einwilligung aber auch schon bei der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung im subjektiven Tatbestand Diese Rechtswidrigkeit liegt dann nicht vor, wenn die erstrebte Zueignung nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, was unstreitig dann der Fall ist, wenn der Täter einen fälligen und einredefreien Anspruch auf Übereignung hat, der in der Regel nach dem Zivilrecht zu bestimmen sein wird. Teilweise wird aber schon hier der Rechtsgüterverzicht des Eigentümers diskutiert (Schönke/Schröder-Bosch § 242, Rn. 59). Sofern dieser Rechtsgüterverzicht nur irrig angenommen wird, kommt ein Irrtum gem. § 16 I StGB in Betracht.
Die Besonderheit beim Diebstahl ist nach h.M., dass das oben beschriebene Subsidiaritätsdogma der mutmaßlichen Einwilligung gegenüber der tatsächlichen Einwilligung dann durchbrochen ist, wenn die mutmaßliche Einwilligung auf dem Prinzip des mangelnden Interesses beruht. (so Jäger JA 2020, 393 m.w.N. - a.A. Rengier Strafrecht AT § 23 Rn. 57) Sofern angenommen werden kann, dass der Eigentümer keinen Wert legt auf das Einholen einer tatsächlichen Einwilligung, weil z.B. das Eigentum wirtschaftlich wertlos ist oder geworden ist, soll die mutmaßliche Einwilligung zur Straflosigkeit des Täters führen.
Mit dieser Frage musste sich auch das OLG Zweibrücken (FD-BeckRS 2022, 20727) befassen. Ein Polizist, der während seines Dienstes mit der Sicherung eines verunfallten LKWs befasst war, hatte sich von einem Mitarbeiter einer, von der Eigentümerin der Ladung beauftragten Bergungsfirma Käserollen im Wert von insgesamt 369 € herausgeben lassen und diese dann teilweise verschenkt und teilweise behalten. Dem Polizisten war bekannt, dass die Eigentümerin ein Bergungsunternehmen und einen Havariekommissar beauftragt hatte und am nächsten Tag entscheiden wollte, wie mit den Käserollen zu verfahren ist.
Da es keinen Anhaltspunkt für eine Eigentumsaufgabe gem. § 959 BGB gab, waren die Käserollen fremde bewegliche Sachen, die der Eigentümerin, die über den Unfall informiert worden war und dementsprechend auch wusste, wo sich ihr Eigentum befand auch gegen ihren Willen weggenommen wurden. Bei der im subjektiven Tatbestand zu prüfenden, objektiven Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung hat das OLG nun darüber nachgedacht, ob eine mutmaßliche Einwilligung angenommen werden kann. Aufgrund der Beauftragung des Bergungsunternehmens und des Havariekommissars kann man aber ein mangelndes Interesse der Eigentümerin am Erhalt ihrer Eigentümerposition nicht begründen.
Die Rechtswidrigkeit ist ein objektives Tatbestandsmerkmal, so dass gem. § 15 StGB der Täter diesbezüglich auch Vorsatz haben muss. Ein Irrtum gem. § 16 I StGB käme im vorliegenden Fall aber nur dann in Betracht, wenn der Polizist sich Umstände vorgestellt hätte, die zu einer mutmaßlichen Einwilligung führen könnten. Da dies nicht der Fall ist, ist § 242 StGB verwirklicht. Darüber hinaus hat sich der Polizist auch gem. § 244 I Nr. 1a StGB strafbar gemacht, da er bewaffnet war.