Sachverhalt:
Gemeinde G hat die Streu- und Räumpflichten wirksam durch Satzung auf die Anlieger übertragen. Die Satzung erlaubt die Übertragung der Pflichten auf Dritte. Anlieger A überträgt die Pflichten wirksam an den professionellen Hausmeister H. H arbeitet jedoch schlampig. An einem kalten Tag rutscht Passant P aus und bricht sich den Arm.
Hat P einen deliktischen Anspruch gegen H?
Welche Besonderheit ist in diesem Fall zu beachten? Teste Dich selbst, würdest Du in der Klausur positiv auffallen?
Lösung
A. Vertragliche Ansprüche
Ein Vertragsverhältnis zwischen P und H besteht nicht.
B. Deliktische Ansprüche
I. Anspruch des P gegen H aus § 823 I
1. Verletzung eines Rechtsguts
P wurde durch den Sturz an seinem Körper und an seiner Gesundheit verletzt.
2. Handlung des H
Eine Verletzungshandlung kann durch aktives Tun oder Unterlassen erfolgen. Die Abgrenzung zwischen beiden Bereichen erfolgt nach dem Schwerpunkt des vorwerfbaren Verhaltens. Im vorliegenden Fall liegt der Schwerpunkt auf dem Unterlassen der Räumung.
Unterlassen ist dann tatbestandsmäßig, wenn eine Handlungspflicht besteht. Eine solche könnte sich aus vertraglich übertragener VSP ergeben.
Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, hat die Pflicht, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden anderer zu verhindern.
Hinweis
Sobald in der Klausur die Verkehrssicherungspflicht angesprochen wird, sollte eine Definition folgen.
Der Eigentümer (hier A) ist - insoweit von seinem Eigentum Gefahren für andere ausgehen - verpflichtet die zum Eigentum gehörigen Flächen verkehrssicher zu halten. Im vorliegenden Fall gilt es zu beachten, dass Eigentümer des Gehwegs nicht der Eigentümer des Hausgrundstücks (A), sondern die Gemeinde ist.
Demnach oblag die Verkehrssicherungspflicht ursprünglich der Gemeinde.
Dieser hat jedoch laut Sachverhalt ihre Verkehrssicherungspflicht wirksam auf A übertragen.
A wiederum hat laut Sachverhalt diese Pflicht wirksam auf H übertragen.
Hinweis
In der Klausur wird regelmäßig ein Auszug aus der vertraglichen Abrede enthalten sein. Es gilt sodann sauber auszulegen wem die Streu- und Räumpflichten übertragen wurden.
Demnach bestand eine Verkehrssicherungspflicht des H Kraft rechtsgeschäftlicher Übertragung. Eine solche Übertragung war zudem gemäß der Satzung zulässig. Demnach war das Unterlassen des H tatbestandsmäßig.
Hinweis
In diesem Zusammenhang wäre in der Klausur – bei Handeln Dritter - an die Zurechnung nach § 278 oder § 31 analog zu denken.
3. Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert.
Hinweis
Schreibe an dieser Stelle nicht nur, „die Rechtswidrigkeit wird indiziert“.
4. Verschulden
H handelte fahrlässig gemäß § 276 Abs. 2 und demnach schuldhaft.
Hinweis
Bei § 823 Abs. 1 ist ein Eingehen auf § 276 Abs. 1 nicht veranlasst. § 823 Abs. 1 selbst legt den Verschuldensmaßstab bereits fest (lese insoweit den Beginn von § 823 Abs. 1)
5. Schaden
Durch den Sturz ist ein adäquat kausaler Schaden entstanden. Äußere dich zur Kausalität stets knapp, wenn diese offensichtlich gegeben ist.
6. Ersatzfähigkeit
Die Ersatzfähigkeit etwaiger Behandlungskosten ergibt sich aus § 249 II 1 und die Ersatzfähigkeit von Schmerzensgeld aus § 253 II.
II. Ergebnis
P kann von H Ersatz der o.g. Schäden aus § 823 I BGB verlangen.
Im vorliegenden Grundfall waren demnach die Erörterung des Unterlassens und die der Verkehrssicherungspflicht zentral.
Wesentlich interessanter wird der Fall mit Blick auf den Eigentümer. Muss dieser in einer solchen Konstellation haften? Die wiederum hier enthaltene Besonderheit wird nur von ganz wenigen Bearbeitern erkannt. Wer sich in dieser Konstellation abheben will muss sehr genau arbeiten! Dies erörtern wir im Falltraining zu VSP Teil 2.