Aktuell (Januar 2020) steht ein Täter in München vor Gericht, der sich als forschender Medizinprofessor, beschäftigt an einer Universität, ausgegeben hat und Opfer aufgefordert hat, sich – angeblich im Rahmen einer Studie - Stromstöße unterschiedlicher Intensität an unterschiedlichen Stellen am Körper (teilweise auch an den Schläfen) zu versetzen. Die Opfer waren zwar skeptisch in Anbetracht der damit einhergehenden Gefahren, haben aber der vermeintlichen Expertise des „Herrn Professor“ vertraut. Alle Opfer haben die Experimente überlebt. Der Täter hat von diesen Experimenten Videoaufnahmen gefertigt, die ihm zur sexuellen Erregung dienten. Die Opfer nahmen die Handlungen vor, weil der Täter Ihnen Geld versprochen hatte, welches sie jeweils aus unterschiedlichen Gründen dringend benötigten. (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-falscher-arzt-stromschlaege-frauen-prozess-1.4678735)
Angeklagt ist dieser Täter wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft zur Befriedigung des Geschlechtstriebes gem. §§ 211, 212, 22, 23, 25 I 2. Alt. StGB.
Die Tat ist nicht vollendet und, da der Mord ein Verbrechen ist, auch im Versuch strafbar.
Fraglich ist zunächst, ob der Tatentschluss des Täters auf die Tötung seiner Opfer gerichtet war. Dies muss anhand objektiver Kriterien geklärt werden. Ausreichend ist dolus eventualis, d.h. es reicht aus, wenn der Täter die Möglichkeit des Todes erkannt und billigend in Kauf genommen hätte.
Sofern man das bejahen kann, muss geklärt werden, ob die Handlung der Opfer, die sich selbst die Stromstöße versetzten, dem Täter über § 25 I Alt. 2 StGB zugerechnet werden kann. Dann müsste der Täter die Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens und oder Wollens gehabt haben. Eine solche Tatherrschaft muss hingegen verneint werden, wenn die Opfer sich eigenverantwortlich selbst gefährdet hätten.
Die Opfer haben die Handlungen, die zu den Stromstößen führten, selbst ausgeführt, wenn auch nach den Anweisungen des Täters, wobei dieser währenddessen nur per Skype zugeschaltet war. Damit haben sie die gefährdende Bedingung beherrscht und sich zunächst selbst gefährdet. Zu klären wird nun sein, ob das „eigenverantwortlich“ geschah.
Nach der Einwilligungslösung, die vom BGH und auch großen Teilen der Lit. gewählt wird, wird das Opfer als „Opfer seiner selbst“ begriffen. Die Eigenverantwortlichkeit liegt mithin vor, wenn das Opfer einwilligungsfähig war und die Einwilligung frei von Täuschung, Drohung oder Zwang erfolgte. An dieser Stelle wird nun relevant, wie sehr der Täter durch seinen angeblichen Professorenstatus und die dadurch bedingte Täuschung die Opfer beherrschte. Sofern die Opfer um die tödlichen Gefahren dieser Stromstöße wussten, könnten sie eigenverantwortlich gehandelt haben, da sie dann jedenfalls keinen rechtsgutsbezogenen Irrtum hatten. Zu prüfen wäre dann, ob der Motivirrtum, der darin bestand, dass sie glaubten sie nähmen an einer Studie teil, dazu führen kann, eine Tatherrschaft anzunehmen. Dies wird in der Lit. teilweise abgelehnt, der BGH hingegen bezieht Motivirrtümer grds. bei der Beurteilung mit ein, um einen umfassenden Rechtsgüterschutz zu ermöglichen.
Nach der Schuldlösung wird das Opfer als „Täter gegen sich selbst“ verstanden. Eine Eigenverantwortlichkeit scheidet nur unter den Voraussetzungen der §§ 19, 20, 35 StGB und 3 JGG aus. Die Schuldlösung würde vorliegend zur Bejahung der Eigenverantwortlichkeit und damit zur Verneinung der Strafbarkeit des Täters führen.
Wir werden sehen, wie das LG München entscheiden wird. Einstweilen möchten wir Sie auf das Sirius Urteil des BGH verweisen, welches wir im JURACADEMY Club bereits besprochen haben (https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/der-sirius-fall-ein-klassiker-den-sie-kennen-sollten).