238 I StGB setzt voraus, dass der Täter dem Opfer unbefugt und beharrlich in einer der Ziffern 1 – 5 genannten Weise nachstellt. Diese Nachstellung muss geeignet sein, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen.
Hinweis
Das Gesetz sah zunächst vor, dass diese Beeinträchtigung auch tatsächlich eintreten muss (=tatbestandlicher Erfolg). Das hat der Gesetzgeber geändert. Nunmehr muss das Verhalten des Täters nur die „Eignung zur Beeinträchtigung“ aufweisen.
238 I StGB bezweckt damit den Schutz der Handlungs- und Entschlussfreiheit des Nachstellungsopfers im Hinblick auf seine persönliche Lebensgestaltung. Die Norm schützt das Opfer auch vor selbstschädigendem Verhalten, welches als Reaktion auf die Handlungen des Täters z.B. wider Willen seinen Wohnort oder seine Arbeitsstelle aufgibt oder das Haus nicht mehr verlässt.
In der Regel bedrängen Täter des § 238 I StGB ihr Opfer über einen längeren Zeitraum hinweg, suchen es zu Hause und auf der Arbeitsstelle auf, beleidigen und bedrohen es, greifen es teilweise auch körperlich an und nehmen ihm damit jedes Sicherheitsgefühl. Als Folge treten häufig erhebliche psychische Störungen auf, die mitunter auch dazu führen, dass das Opfer der Belastung nicht mehr standhalten kann und sich tötet.
In einem solchen Fall müssen Sie in einer Klausur § 238 III StGB prüfen. Dabei sind folgende Voraussetzungen zu prüfen:
- Eintritt des Todes als schwere Folge
- Kausalität zwischen Grunddelikt und schwerer Folge
- Gefahrspezifischer Zusammenhang
- Wenigstens Fahrlässigkeit gem. § 18 StGB
Der gefahrspezifische Zusammenhang, der in der Klausur zumeist der problematische Punkt ist, ist gegeben, wenn die gerade dem Grunddelikt anhaftende Gefährlichkeit sich in typischer Weise in der Folge realisiert hat. Wann das der Fall ist, ist anhand des jeweiligen Delikts zu klären. Eine generelle Beurteilung ist nicht möglich (BGH NJW 2017, 2211).
Vor dem Hintergrund des geschützten Rechtsguts kann damit auch eine Selbsttötung des Opfers als stärkste Reaktion auf das Handeln des Täters zurechenbar sein. Wie immer dreht sich alles um die Frage, ob der Suizid eine „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ darstellt. In der Regel führt die Nachstellung zu einer krankhaften und behandlungsbedürftigen Depression beim Opfer, aufgrund derer die Einsichtsfähigkeit stark herabgesetzt oder gar aufgehoben ist. Mit der Einwilligungslösung kann dann keine Eigenverantwortlichkeit mehr angenommen werden, die Schuldlösung würde diese gleichfalls unter Hinweis auf § 20 StGB verneinen. Da zudem das Handeln des Opfers nicht atypisch ist, können sowohl der gefahrspezifische Zusammenhang als auch die Fahrlässigkeit gem. § 18 StGB bejaht werden.
Der BGH hat dazu folgendes festgestellt:
„Führt das Opfer einer Nachstellung den tödlichen Erfolg im Sinne des § 238 Abs. 3 StGB durch ein selbstschädigendes Verhalten (Suizid) herbei, ist der tatbestandsspezifische Zusammenhang zwischen Grunddelikt und tödlichem Erfolg bereits dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend war“ (BGH NJW 2017, 2211)