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b) Schutzgut „öffentliche Ordnung“
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Gemäß § 8 Abs. 1 PolG NRW bzw. § 14 Abs. 1 OBG können die Polizei und die Ordnungsverwaltung auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung tätig werden. Die öffentliche Ordnung bildet neben der öffentlichen Sicherheit ein zweites, eigenständiges Schutzgut im Rahmen der Gefahrenabwehr (vgl. auch Wortlaut des § 8 Abs. 1 PolG NRW bzw. des § 14 Abs. 1 OBG: öffentliche Sicherheit oder Ordnung).
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Definition
Öffentliche Ordnung
Öffentliche Ordnung meint die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird.
Bei den in der Definition angesprochenen ungeschriebenen Regeln handelt es sich weder um Rechtsnormen noch um Gewohnheitsrecht, sondern um gesellschaftliche Ordnungsnormen. Diese werden in den Verhaltenskodex aufgenommen, wenn dies der Auffassung der Mehrheit entspricht. Die Aufnahme in den Verhaltenskodex bedeutet jedoch nicht, dass die Auffassung der Mehrheit „Abweichlern“, also Minderheiten oder Randgruppen, die ein „abweichendes Verhalten“ praktizieren, entgegengehalten und aufgezwungen wird. Vielmehr geht es darum, dass nach Auffassung der Mehrheit gemeinwohlunverträgliche Verhaltensweisen der Abweichler nach objektiven Kriterien begründet werden.
Vgl. zum Ganzen Götz/Geis Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht § 11 Rn. 4.253
Im Vergleich zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die Bedeutung des Schutzguts der öffentlichen Ordnung gering. Dementsprechend hat das Schutzgut der öffentlichen Ordnung heute nur noch Auffangfunktion. Für die verminderte Bedeutung dieses Schutzguts werden drei Ursachen genannt:
Vgl. auch Götz/Geis Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht § 11 Rn. 5. die Liberalisierung der gesellschaftlichen moralischen und ethischen Auffassungen, die zunehmende Normierung vieler ordnungsrechtlich relevanter Lebensbereiche (vgl. z.B. nur die Vorschriften des StGB und §§ 116 ff. OWiG) und das Verfassungsrecht, das den Schutz der öffentlichen Ordnung nicht mehr unbeschränkt als Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen zulässt. Demgemäß hat das Schutzgut der öffentlichen Ordnung heute nur noch wenige praktisch relevante Anwendungsbereiche. Dazu gehören vor allem der herrschenden Sexualmoral widersprechende Verhaltensweisen, nicht gemeinverträgliche Benutzung des öffentlichen Raums der Städte und Gemeinden und dem öffentlichen (inneren) Frieden widersprechende extremistische Verhaltensweisen.Beispiel
Gewerbsmäßige Vorführung des Geschlechtsverkehrs,
Vgl. BVerwGE 64, 280. Peep-Show,Vgl. BVerwGE 64, 274; 84, 314. „Damen-Schlamm-Catch oben ohne“,Vgl. VGH Bayern NVwZ 1984, 254. Betrieb eines Bordells neben einer Schule,Vgl. VGH BW VBlBW 1984, 178. aggressives Betteln,Vgl. BayVGH NVwZ 1999, 560. exzessiver Alkoholgenuss,Vgl. VGH BW VBlBW 1999, 101. Übernachten am Flussufer,Vgl. VGH BW NVwZ-RR 1992, 246 unter Hinweis auf hygienische Missstände. Hissen der Reichskriegsflagge bzw. einer Flagge des Kaiserreichs,Vgl. OVG NRW NJW 1994, 2909; VGH BW NJW 2006, 635. Tötungsspiele wie etwa Pinball, Laserdrome etc.,Vgl. hierzu OVG NRW NWVBl. 1995, 473; 2001, 94 (bestätigt durch BVerwG GewArch. 2007, 247). Zwergenweitwurf.Vgl. VG Neustadt/Wstr. NVwZ 1993, 98.Hinweis
Soweit Verstöße gegen die öffentliche Ordnung auch unter §§ 116 ff. OWiG, insbesondere § 118 OWiG, subsumiert werden können, liegt bereits ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit vor. Das gilt vor allem für Fälle der Verletzung des öffentlichen Anstandes, das früher eines der wichtigsten Teilschutzgebiete der öffentlichen Ordnung bildete.
Vgl. Götz/Geis Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht § 11 Rn. 26.