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Polizei- und Ordnungsrecht Baden-Württemberg - C Geschichtliche Entwicklung des allgemeinen Polizeirechts

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Polizei- und Ordnungsrecht Baden-Württemberg

C Geschichtliche Entwicklung des allgemeinen Polizeirechts

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Das heute geltende Polizeirecht in Baden-Württemberg – wie in den anderen Ländern auch – ist nicht verständlich, ohne wenigstens im Ansatz die geschichtliche Entwicklung in ihren Grundzügen zu beleuchten. Die Betrachtung muss damit auch darauf gerichtet sein, woher der Begriff „Polizei“ geschichtlich stammt. Seinen Ursprung hat er in dem aus dem Griechischen stammenden Wort „politeia“, das mehrdeutig ist und an sich sowohl „Verfassung des Staates“, „Zusammenwirken der Staatsorgane“ als auch „Zusammenspiel der Staatsfunktionen“ bedeutet und damit bereits früh einen Bezug zu dem heutigen hoheitlichen Handeln aufwies.Boldt/Stolleis in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, A Rn. 39; Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 9. Im Lateinischen wurde der griechische Begriff dann zu „politia“ gewendet.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 9. Im deutschen Rechtsraum wurde dann etwa ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Begriff „Policey“ gebräuchlich, mit dem vor allem die „gute Ordnung des Gemeinwesens“ und weniger eine bestimmte behördliche Tätigkeit gemeint war („gute Policey“). Es handelte sich, da an eine gegliederte staatliche Ordnung im heutigen Verständnis noch nicht zu denken war, vor allem um die Schaffung eines Rahmens für unterschiedlichste Lebensbereiche, zu denen etwa der Wirtschaftsverkehr, die ständische Gliederung, die Berufsausübung, das allgemeine Verhalten, das Vertragswesen oder das Erbrecht zählten und die gleichsam die Grundlage der drei großen Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 bildeten.Würtenberger/Heckmann/Tanneberger Polizeirecht in Baden-Württemberg, § 1 Rn. 2; Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 9.

 

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Mit der Herausbildung des absolutistischen Staates änderte sich ab etwa Mitte des 17. Jahrhunderts auch das Polizeiverständnis. Das den Landesfürsten zustehende „ius politiae“ etablierte eine polizeiliche absolute Herrschaft.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 10. Dabei war die polizeiliche Tätigkeit auf alle Lebensbereiche bezogen und umfasste insbesondere die gesamte innere Verwaltung, einschließlich des Kirchen- und Erziehungswesens.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 10. Der solcherart errichtete Polizeistaat war somit auch auf die Wohlfahrtspflege ausgerichtet („wohlfahrtsstaatliche Polizei“) und sollte neben der Sicherstellung der inneren Ordnung dafür sorgen, dass auch die Wirtschaftsordnung des Fürsten sichergestellt wird, und zwar insbesondere durch die konstante Erhebung von Steuern.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 10 (kameralistisches Verständnis). Für das Zeitalter des Absolutismus ist zusammenfassend zu bemerken, dass dieses durch eine Allzuständigkeit der Polizei geprägt ist und daher als Polizeistaat zu charakterisieren ist.

 

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Mit der Aufklärung erfuhr das Polizeirecht eine Veränderung insoweit, als es zu einer Durchbrechung der Allzuständigkeit der Polizei kam. Dieser Prozess reicht bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein. Insbesondere wurde die Polizei nach und nach auf die Aufgabe der Gefahrenabwehr beschränkt.Kingreen/Poscher Polizei- und Ordnungsrecht, § 1 Rn. 5. Erste Ansätze fanden sich hierzu im Allgemeinen Preußischen Landrecht (ALR) von 1794, insbesondere in § 10 Abs. 2 S. 17 ALR, der es als „Amt der Polizey“ ansah, die „nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung (…) zu treffen (…)“. Zu einem wirklichen Wandel von einem Polizeistaat obrigkeitsstaatlicher Prägung und zu einer rechtsstaatlich gebundenen Polizei kam es freilich erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Idee des liberalen Rechtsstaats.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 12 f. Zuvor war es zu einer Ausprägung besonderer „Fachpolizeien“ gekommen, etwa der Armen-, Gesundheits- und Medizinal-, Bahn-, Verkehrs-, Gewerbe- und Kriminalpolizei, was in geschichtlicher Perspektive illustriert, dass es auch heute noch vielfältige Zweige des besonderen Polizeirechts gibt. Der liberale Rechtsstaat führte allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem zu einer rechtsstaatlichen Einhegung der Polizei und ihrer Tätigkeit. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hatte auch die Polizei erfasst, und die in etwa gleichzeitige Etablierung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit führte dazu, dass das polizeiliche Handeln einer gerichtlichen Kontrolle unterstellt wurde.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 13. In diesem Kontext ist vor allem das richtungsweisende sog. „Kreuzberg-Urteil“PrOVGE 9, 353 ff.; vgl. auch VBlBW 1993, 271 ff. des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.6.1882 zu nennen, mit dem jedenfalls in Preußen die wohlfahrtsstaatliche Polizei zugunsten einer an rechtsstaatliche Grundsätze gebundenen Polizei aufgegeben wurde, die fortan ausschließlich zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden durfte. Diese rechtsstaatliche Linie wurde schließlich später auch normativ umgesetzt, und zwar durch das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz vom 1.6.1931.    

Hinweis

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Zum Hintergrund: Die „Kreuzberg-Entscheidung“ des PreußOVG hatte die Überprüfung einer Polizeiverordnung sowie ein auf diese Verordnung gestütztes Bauverbot aus ästhetischen Gründen zum Gegenstand, für die es aber an einer entsprechenden Rechtsgrundlage fehlte.

 

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In den süddeutschen Staaten – so in Baden (31.10.1863) und Württemberg (27.12.1871) – wurde die Bindung der Polizei an Recht und Gesetz sowie deren Beschränkung auf die Aufgabe der Gefahrenabwehr durch den Erlass sog. Polizeistrafgesetzbücher normiert. Darin kommt zwar noch ein strafzentriertes Verständnis des Polizeirechts zum Ausdruck, indem vor allem bestimmte Handlungen unter Strafe gestellt wurden und die Polizeibehörden zum Erlass von strafbewehrten Rechtsverordnungen ermächtigt wurden; in der Tendenz zeigt aber auch die Kodifizierung des Polizeirechts in Baden und Württemberg, dass die rechtsstaatliche Bindung stärker in den Mittelpunkt rückte und zudem eine Beschränkung der Polizei auf die Gefahrenabwehr zu verzeichnen ist.Würtenberger/Heckmann/Tanneberger Polizeirecht in Baden-Württemberg, § 1 Rn. 10.  

 

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Während der Übergang des Polizeirechts liberal-rechtsstaatlicher Prägung von der Monarchie in die Weimarer Republik im Wesentlichen ohne Brüche vollzogen wurde, hat die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in der Folge zu einem abrupten Schlussstrich in der rechtsstaatlichen Entwicklung des Polizeirechts geführt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verbunden war eine Ideologisierung und Umdeutung des Polizeirechts im Sinne der nationalsozialistischen Gewaltideologie sowie eine Herauslösung der Polizei aus der allgemeinen inneren Verwaltung.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 18. Die Polizei wurde der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen und mit der „Parteipolizei“ der NSDAP, der sog. Schutzstaffel (SS), verbunden. Im Jahre 1936 kam es schließlich zur Gründung der sog. Geheimen Staatspolizei (Gestapo), und im Jahre 1939 wurden Polizei und SS im sog. Reichssicherheitshauptamt zusammengefasst und damit vollkommen „gleichgeschaltet“ und dem „Führerprinzip“ untergeordnet.Würtenberger/Heckmann/Tanneberger Polizeirecht in Baden-Württemberg, § 1 Rn. 14 f.; Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 20.
Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft setzte nach dem Zweiten Weltkrieg die Neuorganisation der Polizei unter rechtsstaatlichen Bedingungen und den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes und der Landesverfassungen in den Ländern ein, nachdem das allgemeine Polizeirecht als Gefahrenabwehrrecht nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung in die ausschließliche Länderzuständigkeit verlagert worden war (siehe dazu unten näher Rn. 23 ff.).
Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft setzte nach dem Zweiten Weltkrieg die Neuorganisation der Polizei unter rechtsstaatlichen Bedingungen und den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes und der Landesverfassungen in den Ländern ein, nachdem das allgemeine Polizeirecht als Gefahrenabwehrrecht nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung in die ausschließliche Länderzuständigkeit verlagert worden war (siehe dazu unten näher Rn. 23 ff.).

 

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Die Länder verfolgten dabei unterschiedliche Systeme der Polizeiorganisation und der polizeilichen Aufgabenbestimmung, die sich am Einfachsten mit der Unterscheidung zwischen dem Trenn- bzw. Einheitsprinzip erklären lassen. Als übergeordnete Vorgabe ist jedenfalls in den westlichen Alliiertenzonen das Ziel der Entpolizeilichung der Verwaltung anzusehen. Die Polizei sollte dabei auf Vollzugsaufgaben begrenzt sein und dem Schutz der Bürger dienen. Alle übrigen Aufgaben sollten der Ordnungsverwaltung überlassen bleiben. Die Länder, in denen zur Umsetzung dieser Entpolizeilichung gesetzgeberische Maßnahmen getroffen wurden, trennen grundsätzlich zwischen Polizeiaufgaben und ordnungsbehördlichen Aufgaben. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass in diesen Ländern teilweise nach wie vor für den Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr für die Polizei einerseits und die Ordnungsbehörden andererseits unterschiedliche Gesetze gelten.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 23. Diesem Trennsystem folgten Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Demgegenüber verblieb es in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Bremen bei dem polizeilichen Einheitsprinzip, was in der Konsequenz zu einer weniger konsequenten Entpolizeilichung als in den Ländern mit Trennsystem führte.Zeitler/Trurnit Polizeirecht Baden-Württemberg, Rn. 24. Die Unterscheidung zwischen Trenn- bzw. Einheitssystem hat noch heute eine gewisse Relevanz, wenn es darum geht, den Polizeibegriff institutionell-organisatorisch zu bestimmen, wie nachfolgend darzustellen sein wird.

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