Inhaltsverzeichnis
I. Überblick
193
Zu den wesentlichen Akteuren in der Gemeinde gehören in erster Linie die bei den Kommunalwahlen unmittelbar gewählten Organe (vgl. Rn. 113). Nach dem Demokratieprinzip sind diese unmittelbar demokratisch legitimiert und müssen daher auch entsprechend hervorgehobene Kompetenzen haben. Es handelt sich hierbei primär um den Rat und den Bürgermeister.
Konsequenterweise normiert denn auch § 40 Abs. 2 S. 1 GO:
Die Bürgerschaft wird durch den Rat und den Bürgermeister vertreten.
Man spricht insoweit von einem Zwei-Säulen-Modell in der nordrhein-westfälischen Gemeindeverfassung
Vgl. VG Aachen Urteil vom 28.6.2001 – 4 K 1787/00 –, NVwZ-RR 2002, 214., d.h. dass der Gesetzgeber neben dem Rat mit dem direkt gewählten Bürgermeister eine zweite gleichwertige Säule demokratisch legitimierter Repräsentanz der Bürgerschaft errichtet hat.194
Auch unmittelbar demokratisch legitimiert ist in kreisfreien Städten die Bezirksvertretung. Zur Herstellung größerer Bürgernähe ist das Gebiet der kreisfreien Städte in Bezirke unterteilt (§ 35 Abs. 1 GO). Die Bezirksvertretungen vertreten die in den jeweiligen Stadtbezirken wohnhaften Bürger. Sie sind deshalb nur für solche Angelegenheiten zuständig, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht (§ 37 Abs. 1 S. 1 GO).
195
Sowohl der Bürgermeister als Vorsitzender des Rates wie auch die einzelnen Ratsmitglieder haben bestimmte Rechte und Pflichten, die auch ihr internes Zusammenspiel bestimmen können.
Beispiel
Der Bürgermeister hat die Sitzungen zu leiten und die Ordnung in den Sitzungen zu handhaben (§ 51 Abs. 1 GO).
Die Ratsmitglieder haben das Recht auf ungestörte Ausübung ihres Mandates (§ 43 Abs. 1 GO).
Aus ihrer Mandatsausübungsfreiheit kann ein Störungsbeseitigungsanspruch folgen, wenn der Bürgermeister erhebliche Störungen in einer Ratssitzung nicht abstellt (z.B. Plakate werden in der Sitzung hochgehalten).
196
Innerhalb des Rates und der Bezirksvertretungen können sich die Ratsmitglieder bzw. Mitglieder der Bezirksvertretung zu Fraktionen und Gruppen zusammenschließen. Es handelt sich um jeweils freiwillige Vereinigungen, die auf der Grundlage grundsätzlich politischer Übereinstimmung zu möglichst gleichgerichtetem Wirken gebildet werden (§ 56 Abs. 1 S. 1 GO und § 56 Abs. 1 S. 3 GO). Neben den Fraktionen und Gruppen gibt es Ratsmitglieder, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören („Einzelmandatsträger“).
197
Weitere Untergliederungen des Rates sind die Ausschüsse. Diese werden nach den Vorschriften der Gemeindeordnung gebildet und zusammengesetzt und bereiten die Beschlüsse des Rates vor. Teilweise können Ausschüsse kraft gesetzlicher Anordnung bzw. kraft Übertragungsbeschluss des Rates Entscheidungskompetenzen haben.
Beispiel
Der Wahlausschuss teilt das Wahlgebiet in Wahlbezirke ein (§ 4 Abs. 1 KWahlG NRW).
Der Rat überträgt einem Ausschuss die Entscheidung über eine bestimmte Angelegenheit, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Rates fällt (§ 41 Abs. 2 S. 1 GO).
198
Der Bürgermeister hat innerhalb der Gemeinde eine Doppelstellung. Zum einen ist er Mitglied und Vorsitzender des Rates (§ 40 Abs. 2 S. 2 und S. 4 GO) und zum anderen Chef der Verwaltung (§§ 62 ff. GO). Als Vorsitzender des Rates leitet er die Sitzungen und vertritt den Rat nach außen. Da er auch Mitglied kraft Gesetzes ist, hat der Bürgermeister – außer in den Fällen des § 40 Abs. 2 S. 6 GO – im Rat Stimmrecht. Als Chef der Verwaltung ist er insbesondere Dienstvorgesetzter des Verwaltungspersonals, leitet und verteilt die Geschäfte und ist gesetzlicher Vertreter der Gemeinde. Der Bürgermeister wird bei der Leitung der Sitzungen und bei der politischen Repräsentation vertreten durch die ehrenamtlichen Stellvertreter nach § 67 GO. Im Übrigen wird er von seinem (hauptamtlichen) Vertreter im Amt nach § 68 GO vertreten.
199
Zum hervorgehobenen Verwaltungspersonal gehören die Beigeordneten, die vom Rat für die Dauer von acht Jahren gewählt werden (§ 71 GO). Der Rat bestellt einen Beigeordneten zum allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters nach § 68 Abs. 1 S. 1 GO (Vertreter im Amt).
200
Die gemeindlichen Organe und Organteile unterliegen bei der Ausübung ihrer Kompetenzen untereinander dem Grundsatz der Organtreue. Die Pflicht zur Organtreue wurzelt in dem verfassungsrechtlichen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme sowie in dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Sie kann aber weder zu einem Verstoß noch zu einer Verdrängung von gesetzlich eingeräumten Kompetenzen führen.
Definition
Definition: Aus dem Grundsatz der Organtreue
Aus dem Grundsatz der Organtreue folgt die Unzulässigkeit rechtsmissbräuchlichen Handelns und die Pflicht zur Berücksichtigung der Auffassung des anderen Organs bei der eigenen Entscheidungsfindung. Umgekehrt sind Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfahrensgestaltung eines Gemeindeorgans von dem dadurch betroffenen Organ in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen.
Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der Rechtsverletzung treuwidrig und deshalb unzulässig.
OVG NRW Urteil vom 2.5.2006 – 15 A 817/04 –, EildStNRW 2007, 132, 135.Beispiel
Ratsmitglied A rügt die seines Erachtens mangelhafte Vorbereitung eines Ratsbeschlusses durch den dafür nach § 62 Abs. 2 S. 1 GO verantwortlichen Bürgermeister. In der Ratssitzung hat er einen entsprechenden Vertagungsantrag des Beschlussgegenstandes wegen mangelnder Vorbereitungsmöglichkeit und Sachinformation allerdings nicht gestellt. Der Rat hat in der Sache gegen die Stimme des A mehrheitlich beschlossen. Erst nach Ablauf der Ratssitzung erhebt er eine entsprechende Klage beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, festzustellen, dass der Ratsbeschluss wegen der mangelhaften Vorbereitung durch den Bürgermeister rechtswidrig ist.
Die Klage ist im Ergebnis bereits wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Organtreue abzuweisen.
OVG NRW Beschluss vom 25.6.2007 – 15 B 634/07 –, KommJur 2007, 374. Dieser begründet die Obliegenheit von Ratsmitgliedern, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer anstehenden Beschlussfassung aufgrund einer vermeintlich unzureichenden Beschlussvorbereitung in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen. Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der Rechtsverletzung treuwidrig und deshalb unzulässig. A hätte also einen förmlichen Vertagungsantrag im Rat stellen müssen. Wäre dieser vom Rat mehrheitlich abgelehnt worden, so hätte er dagegen im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits Klage erheben können. Dabei wäre verwaltungsgerichtlich überprüft worden, ob der Bürgermeister den Beschluss wirklich unzureichend vorbereitet hat und A damit durch die verweigerte Vertagung des Tagesordnungspunktes in seiner Mandatsausübungsfreiheit aus § 43 Abs. 1 GO verletzt worden ist.Beispiel
Die Fraktion F ist mit einem bestimmten angekündigten Verhalten des Bürgermeisters ihr gegenüber nicht einverstanden. Anstatt dem Bürgermeister ihre Bedenken mitzuteilen und gegebenenfalls einen konkreten Antrag zu stellen, beauftragt sie selbstständig einen Rechtsanwalt mit der Prüfung und verlangt von der Gemeinde eine Kostenerstattung, nachdem dieser eine Rechnung für seine Beratung übersandt hat. Die Gemeinde verweigert dies.
Die gegen die Gemeinde gerichtete Leistungsklage ist unbegründet, da der Fraktion der Kostenerstattungsanspruch nicht zusteht. Eine Kostenerstattung in einer internen Auseinandersetzung zweier Gemeindeorgane bzw. Organteile ist beschränkt auf die dem Grunde und der Höhe nach notwendigen Kosten. Hiervon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, da nach dem Grundsatz der Organtreue einem Funktionsträger in aller Regel zugemutet werden kann, die Entscheidung des zuständigen Gemeindeorgans abzuwarten, die seine organschaftlichen Befugnisse betrifft.