Kommunalrecht Baden-Württemberg

Der Bürgermeister

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B. Der Bürgermeister

 

I. Rechtsstellung

166

Die Rechtsstellung des Bürgermeisters in der Gemeinde statuiert § 42 GemO:

„Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Gemeindeverwaltung. Er vertritt die Gemeinde“.

Gemäß § 23 GemO ist der Bürgermeister neben dem Gemeinderat das zweite Organ der Gemeinde. Er hat in der Regel den Status eines hauptamtlichen Beamten auf Zeit.

Beamtenrechtlich gelten für ihn die in den §§ 134 ff. LBG geregelten Besonderheiten. Lediglich in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern ist er nicht hauptamtlich tätig, sondern lediglich Ehrenbeamter auf Zeit (§ 42 Abs. 2 GemO). In Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern kann jedoch durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass er hauptamtlicher Beamter auf Zeit ist.

II. Aufgaben

167

Aufgrund der vom Gesetzgeber gewählten Kompetenzverteilung zwischen Gemeinderat und Bürgermeister (Rn. 145) ist der Bürgermeister nur für diejenigen Angelegenheiten zuständig, für die eine positive Zuweisung besteht. Der Bürgermeister ist gemäß seiner Doppelstellung als Vorsitzender des Gemeinderats einerseits und Leiter der Gemeindeverwaltung andererseits demnach generell auf zwei verschiedenen Aufgabenfeldern tätig.

1. Aufgaben als Vorsitzender des Gemeinderats

a) Vorbereitung und Einberufung der Sitzung, Verhandlungsleitung, Vollzug der Beschlüsse

168

Als Vorsitzender des Gemeinderats bereitet der Bürgermeister die Sitzungen vor (§ 43 Abs. 1 GemO). Er ruft den Gemeinderat schriftlich mit angemessener Frist ein und teilt die Verhandlungsgegenstände mit (§ 34 Abs. 1 GemO). Ihm obliegt darüber hinaus die Eröffnung, Leitung und Schließung der Sitzungen; zudem handhabt er die Ordnung und übt das Hausrecht aus (§ 36 GemO). Schließlich ist der Bürgermeister für den Vollzug der vom Gemeinderat gefassten Beschlüsse zuständig (§ 43 Abs. 1 GemO).

Hinweis

Die vorgenannten Rechte und Pflichten werden im sachlichen Zusammenhang mit der Gemeinderatssitzung in Teil 11 erläutert.

b) Recht/Pflicht zum Widerspruch

169

Abweichend von der grundsätzlich bestehenden Pflicht, die Beschlüsse des Gemeinderats zu vollziehen, muss der Bürgermeister Beschlüssen widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Dies gilt auch dann, wenn er zunächst selbst im Sinne des Beschlusses gestimmt hat, er aber in der Folge die Rechtswidrigkeit feststellt oder für gegeben hält (bezüglich der Beurteilung der Rechtswidrigkeit gilt ein subjektiver Maßstab).

BeckOK KommunalR BW/Behrendt GemO § 43 Rn. 12, 13. Ist er der Ansicht, dass Beschlüsse nachteilig für die Gemeinde sind, kann er ihnen widersprechen (§ 43 Abs. 2 GemO). Die Widerspruchspflicht des Bürgermeisters ist Ausdruck der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und soll verhindern, dass sehenden Auges rechtswidrige Beschlüsse gefasst und durch die Verwaltung umgesetzt werden.

170

Der Widerspruch des Bürgermeisters muss unverzüglich (also ohne schuldhaftes Zögern – § 121 BGB), spätestens aber binnen einer Woche nach Beschlussfassung erfolgen. Erklärungsempfänger sind die Gemeinderäte, also alle Ratsmitglieder, gleich, ob sie an dem Beschluss beteiligt waren oder nicht. Erklärt der Bürgermeister den Widerspruch gleich in der Sitzung, muss eine gesonderte Erklärung an die nicht anwesenden Räte zusätzlich erfolgen.

Ade § 43 Rn 3. § 43 Abs. 2 S. 3 GemO ordnet ausdrücklich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an, so dass die Beschlüsse zunächst nicht vollzogen werden dürfen. Mit dem Widerspruch ist gleichzeitig eine neue Sitzung unter Nennung der Widerspruchsgründe anzuberaumen, in der erneut über die Angelegenheit zu beschließen ist; diese Sitzung muss spätestens drei Wochen nach der ersten Sitzung stattfinden (§ 43 Abs. 2 S. 4 GemO). Ist der auf den Widerspruch hin ergangene Beschluss des Gemeinderats – es hat eine neue Sachentscheidung und nicht eine Entscheidung über den Widerspruch zu erfolgen – aus Sicht des Bürgermeisters erneut rechtswidrig, muss er nochmals widersprechen und unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen. Bestätigt diese den Beschluss, muss ihn der Bürgermeister vollziehen. Rechtsschutz gegen eine solche Bestätigung besteht nicht, da die Gemeinde nicht in ihren Rechten verletzt wird. Stellt die Aufsicht hingegen eine Rechtswidrigkeit fest, kann sie von ihren Aufsichtsmitteln Gebrauch machen (hierzu Rn. 328 ff.). Gegen eine aufsichtsrechtliche Verfügung ist sodann Rechtsschutz gem. § 125 GemO möglich; ob die Gemeinde ein entsprechendes Rechtsmittel einlegt, entscheidet der Gemeinderat.

171

Lässt der Bürgermeister die Widerspruchsfrist verstreichen oder findet die Sitzung nicht binnen der 3-Wochen-Frist statt oder unterlässt der Bürgermeister die Mitteilung der Widerspruchsgründe bei Einladung (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO) und kann deshalb kein Beschluss in der Sache erfolgen, ist der Widerspruch gegenstandslos.

BeckOK KommunalR BW/Behrendt GemO § 43 Rn. 19. Hält er den Beschluss dennoch für rechtswidrig, darf er ihn nicht vollziehen, da er an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden ist. Er muss seine Ansicht dem Gemeinderat mitteilen und notfalls die Rechtsaufsicht einschalten, wenn der Gemeinderat auf seinem Beschluss beharrt.

172

Eine Abweichung von dem geschilderten Verfahren besteht dann, wenn der Bürgermeister von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht, weil er den Beschluss für nachteilig für die Gemeinde hält. In diesem Fall muss der Bürgermeister den Beschluss vollziehen, wenn der Gemeinderat ihn in der zweiten Sitzung bestätigt. Die Möglichkeit zur Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde besteht in diesem Fall nicht, da die Frage nach der Nachteilhaftigkeit eine solche der Zweckmäßigkeit ist, die von der Rechtsaufsichtsbehörde gerade nicht überprüft werden kann, da ihr nur die Kontrolle der Rechtmäßigkeit obliegt (zur Aufsicht Rn. 318 ff.).

Das Widerspruchsrecht des Bürgermeisters gilt ebenfalls für Beschlüsse von beschließenden Ausschüssen. Im Falle einer Verhinderungsvertretung steht dem allgemeinen Vertreter das Widerspruchsrecht zu; im Falle der beauftragten Vertretung (§ 40 Abs. 3 GemO) gilt dies nur, wenn es von der Beauftragung mit umfasst ist.

Ade § 43 Rn. 4. Eine Besonderheit besteht insoweit, als über den Widerspruch der Gemeinderat entscheidet (§ 43 Abs. 3 GemO).

2. Aufgaben als Leiter der Gemeindeverwaltung – § 44 GemO

a) Überblick

173

Der Bürgermeister leitet die Gemeindeverwaltung und regelt deren innere Organisation. Er ist für die sachgemäße Erledigung der Aufgaben und den ordnungsgemäßen Gang der Verwaltung verantwortlich.

Zuständig ist der Bürgermeister für die Geschäfte der laufenden Verwaltung sowie für die sonstigen Aufgaben, die ihm aufgrund Gesetzes obliegen oder vom Gemeinderat übertragen wurden (§ 44 Abs. 2 GemO). Weiter besteht eine eigene Zuständigkeit des Bürgermeisters für Weisungsaufgaben (§ 44 Abs. 3 GemO). Von besonderer Bedeutung ist die in § 43 Abs. 4 GemO verankerte Eilentscheidungskompetenz des Bürgermeisters. § 44 Abs. 4 GemO bestimmt schließlich eine beamtenrechtliche Zuständigkeit.

b) Geschäfte der laufenden Verwaltung

174

Geschäfte der laufenden Verwaltung sind solche, die für die Gemeinde weder von grundsätzlicher Bedeutung sind noch erhebliche finanzielle Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt haben und die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehren.

BGH Urteil vom 16.11.1978 – III ZR 81/77; VGH BW Urteil vom 5.11.1984, NVwZ 1986, 226. Nur wenn diese Komponenten vereint sind, kann ein solches Geschäft vorliegen. Rechtstechnisch handelt es sich bei dem Begriff des „Geschäfts der laufenden Verwaltung“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Die Zuständigkeit des Bürgermeisters für diese Geschäfte ist eine ausschließliche. Der Gemeinderat darf sich hierin nicht einmischen, weder dadurch, dass er versucht, diese Angelegenheiten an sich zu ziehen noch durch eine Erteilung von Weisungen o.ä.

175

Was zu den Geschäften der laufenden Verwaltung gehört, ist nicht immer unproblematisch festzustellen und muss individuell für jede Gemeinde in Abhängigkeit ihrer Größe und Finanzkraft bestimmt werden. Was für eine Stadt mit mehreren 100 000 Einwohnern und einem entsprechenden Haushaltsvolumen Geschäft der laufenden Verwaltung ist, kann in einer kleinen, ländlich geprägten Gemeinde ohne weiteres in die Zuständigkeit des Gemeinderats fallen. Eine Kompetenz, den Begriff des „Geschäfts der laufenden Verwaltung“ zu definieren (etwa durch Wertgrenzen in der Hauptsatzung), hat weder der Gemeinderat noch der Bürgermeister. Bestehen Zweifel, ob eine Angelegenheit Geschäft der laufenden Verwaltung ist, hat die zugunsten des Gemeinderats bestehende Zuständigkeitsvermutung Vorrang.

Beispiel

(1)

Wenngleich die Geschäfte der laufenden Verwaltung gemeindebezogen individuell bestimmt werden müssen und daher abstrakt kaum positiv zu definieren sind, wird etwa der Abschluss von Kaufverträgen für die Beschaffung von Büroartikeln von geringem Wert unabhängig von der Gemeindegröße regelmäßig als ein Geschäft der laufenden Verwaltung anzusehen sein.

(2)

Abhängig von der Gemeindegröße und dem finanziellen Volumen des Geschäfts können Geschäfte der laufenden Verwaltung sein: der Kauf von Grundstücken, Dienstfahrzeugen etc.

(3)

Keine Geschäfte der laufenden Verwaltung sind aus gesetzeslogischen Gründen diejenigen, die in § 39 Abs. 2 GemO genannt sind, da diese kraft Gesetz ausschließlich im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats liegen.

Expertentipp

Die Frage, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliegt, kann z.B. dann klausurrelevant werden, wenn es um die Frage der Rechtmäßigkeit eines VAs geht. Sodann ist bei der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit beim Prüfungspunkt „Zuständigkeit“ zu thematisieren, ob der Bürgermeister oder aber der Gemeinderat zuständig war. Hier muss Ihnen dann der Sachverhalt Anhaltspunkte liefern, mit Hilfe derer Sie beurteilen können, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung vorlag (= Zuständigkeit Bürgermeister) oder nicht (= Zuständigkeit Gemeinderat oder ggf. Ausschuss).

Möglich ist auch eine Konstellation, in der sich Gemeinderat und Bürgermeister über die Einhaltung der jeweiligen Kompetenzen streiten. Sodann ist bei der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Kommunalverfassungsstreitverfahrens (Rn. 387 ff.) zu prüfen, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung vorlag oder nicht.

c) Übertragene Aufgaben

176

Expertentipp

Bitte beachten Sie, dass durch die Festlegung der Wertgrenzen lediglich Zuständigkeiten des Gemeinderats auf den Bürgermeister übertragen werden können und nicht etwa der unbestimmte Rechtsbegriff des „Geschäfts der laufenden Verwaltung“ definiert werden kann. Dies wäre – wie oben (Rn. 174) genannt – nicht möglich.

Neben den Geschäften der laufenden Verwaltung kann der Gemeinderat dem Bürgermeister Angelegenheiten zur Erledigung in eigener Verantwortung übertragen. Eine solche Übertragung kann – einzelfallbezogen – durch Beschluss des Gemeinderats erfolgen. Sollen dem Bürgermeister Aufgaben zur dauerhaften Erledigung übertragen werden, bedarf es hierfür einer Regelung in der Hauptsatzung (§ 44 Abs. 2 S. 2 GemO). In der Praxis erfolgt eine entsprechende Übertragung von Zuständigkeiten über in der Hauptsatzung festgelegte Wertgrenzen.

Beispiel

Eine Formulierung in der Hauptsatzung könnte lauten: „Der Bürgermeister ist zuständig für die Anschaffung von beweglichem Vermögen bis zum Wert von XY €. Über die Anschaffung von Gegenständen, die diesen Wert übersteigen entscheidet der Gemeinderat.“

Dabei dürfen nicht alle Angelegenheiten, für die der Gemeinderat zuständig ist, auf den Bürgermeister übertragen werden. Ausgeschlossen hiervon sind die in dem Katalog des § 39 Abs. 2 GemO genannten Aufgaben (§ 44 Abs. 2 S. 3 GemO), wie etwa der Beschluss von Satzungen, die Übernahme freiwilliger Aufgaben oder die Übertragung von Aufgaben auf den Bürgermeister. Strukturell unterscheidet sich die dauerhafte Übertragung von Aufgaben auf den Bürgermeister von der dauerhaften Übertragung auf beschließende Ausschüsse: Bei letzterer kann sich der Gemeinderat über die Hauptsatzung ein Weisungsrecht oder die jederzeitige Möglichkeit des „An-sich-ziehens“ der Materie vorbehalten. Ein solcher Vorbehalt ist bei der Übertragung auf den Bürgermeister in § 44 Abs. 2 GemO nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass der Bürgermeister nach Übertragung der Aufgaben frei von Einflüssen des Gemeinderats entscheidet. Dieser kann nur für die Zukunft und nur durch Änderung der Hauptsatzung die Kompetenz auf sich zurückübertragen.

d) Weisungsaufgaben

177

Expertentipp

Zur Erinnerung: Erledigt der Bürgermeister Weisungsaufgaben für das Land, ist die Körperschaft, der dieses Handeln zugeordnet wird (= Beklagter i.S.d. § 78 VwGO) dennoch die Gemeinde und nicht etwa das Land.

Weisungsaufgaben (Rn. 54 ff.) erledigt der Bürgermeister in eigener Zuständigkeit, soweit spezialgesetzlich nichts anderes bestimmt ist; lediglich der Erlass von Satzungen und Rechtsverordnungen ist im Zusammenhang mit den Weisungsaufgaben regelmäßig dem Gemeinderat vorbehalten, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (§ 44 Abs. 3 GemO).

Beispiel

§ 21 S. 2 PolG normiert, dass Polizeiverordnungen (gem. § 107 Abs. 4 S. 2 PolG Pflichtaufgabe nach Weisung) vom Bürgermeister erlassen werden. Gemäß § 23 Abs. 2 PolG stehen diese jedoch unter dem Zustimmungsvorbehalt des Gemeinderats, wenn sie länger als einen Monat gelten sollen.

e) Eilentscheidungskompetenz – § 43 Abs. 4 GemO

178

Eine besondere Zuständigkeit des Bürgermeisters resultiert aus § 43 Abs. 4 GemO. Dort wird dem Bürgermeister eine sog. Eilentscheidungskompetenz für dringende Angelegenheiten des Gemeinderats, deren Erledigung nicht bis zu einer form- und fristlos einberufenen Gemeinderatssitzung (§ 34 Abs. 2 GemO) Aufschub dulden, eingeräumt. Unter welchen Voraussetzungen eine Dringlichkeit gegeben ist, definiert der Gesetzgeber nicht. Jedoch wird man dies dann annehmen dürfen, wenn durch die Aufschiebung bis zur nächsten außerordentlichen Sitzung erhebliche Nachteile für die Gemeinde entstehen würden. Mithin müssen für eine Eilentscheidung also zwei Aspekte kumulativ gegeben sein, nämlich die Dringlichkeit und ein erheblicher Nachteil im Falle der Aufschiebung einer Entscheidung, wobei ein Nachteil auch in der Nichtwahrnehmung eines (erheblichen) Vorteils liegen kann. Hingegen lässt sich die Dringlichkeit nicht alleine dadurch rechtfertigen, dass während der sitzungsfreien Zeit des Gemeinderats („Sommerpause“) Entscheidungen zu treffen sind. Umstritten ist, ob die beiden für eine Eilentscheidung maßgeblichen Kriterien objektiv oder lediglich subjektiv, also nach Einschätzung des Bürgermeisters, vorliegen müssen.

Für objektiv: BeckOK KommunalR BW/Behrendt GemO § 43 Rn. 30 m.w.N.; für subjektiv: Ade § 43 Rn. 5. Für eine objektive Betrachtung spricht, dass der Bürgermeister im Falle der Eilentscheidung über Angelegenheiten entscheidet, die der Gesetzgeber für den „Normalfall“ dem Gemeinderat vorbehalten hat. Praxisnäher dürfte indes die subjektive Betrachtungsweise sein, da dem Bürgermeister in den Fällen des § 43 Abs. 4 GemO wenig Zeit für eine umfassende Prüfung bleiben dürfte.

In Fällen besonderer Dringlichkeit entscheidet der Bürgermeister an Stelle des Gemeinderats (§ 43 Abs. 4 GemO). Die Gemeinde ist folglich an die Entscheidung gerade so gebunden, wie wenn sie vom Gemeinderat selbst getroffen worden wäre. Eine Beschränkung der Aufgaben, die von der Eilentscheidungskompetenz umfasst sind, gibt es ausweislich des klaren Wortlauts des § 43 Abs. 4 GemO nicht. Insoweit kann der Bürgermeister bei Vorliegen der Voraussetzungen des Eilentscheidungsrechts auch über Angelegenheiten entscheiden, die ihm im Normalfall aufgrund §§ 44 Abs. 2, 39 Abs. 2 GemO nicht übertragen werden dürfen. Hierzu gehört nach zustimmungswürdiger Ansicht auch der Erlass von Satzungen, wenngleich dies nicht unumstritten ist.

Für die Möglichkeit, Satzungen erlassen zu können: Gern Rn. 205; Ehlers NWVBl 1990, 49. Eine andere Ansicht vertritt z.B. Waibel Rn. 87 m.w.N. Zumeist wird aber ein Satzungserlass durch den Bürgermeister am Merkmal der Dringlichkeit scheitern. Über die Gründe für die Eilentscheidung und die Erledigung hat der Bürgermeister den Gemeinderat unverzüglich (§ 121 BGB) zu informieren. Einer Bestätigung der Eilentscheidung durch den Gemeinderat bedarf es nicht.BeckOK KommunalR BW/Behrendt GemO § 43 Rn. 33.

Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend, wenn es sich eine Ausschussangelegenheit handelt (§ 43 Abs. 4 S. 3 GemO).

f) Unterrichtungspflicht – § 43 Abs. 5 GemO

179

Ungeachtet der bereits bestehenden Möglichkeiten des Gemeinderats oder Teilen hiervon, sich vom Bürgermeister über bestimmte Angelegenheiten unterrichten zu lassen (§ 24 Abs. 3 und 4 GemO), statuiert § 43 Abs. 5 GemO die Pflicht des Bürgermeisters, den Rat zu informieren. Sachlich bezieht sich die Unterrichtungspflicht einerseits auf wichtige, die Gemeinde und ihre Verwaltung betreffende Angelegenheiten. Die Informationspflicht ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Gemeinderat das Hauptorgan der Gemeinde ist und u.a. auch die Aufgabe hat, Missstände in der Verwaltung durch den Bürgermeister beseitigen zu lassen (§ 24 GemO). Die Unterrichtungspflicht entfällt nicht deshalb, weil es sich um eine außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Gemeinderats liegende Angelegenheit handelt. Andererseits muss bei wichtigen Planungen möglichst frühzeitig über die Vorstellungen der Gemeindeverwaltung und den Stand berichtet werden. Der Gesetzgeber will hierdurch die Einflussnahmemöglichkeit des Gemeinderats sicherstellen, die nicht durch einen Wissens- und Planungsvorsprung der Verwaltung geschmälert werden darf. Unterliegen Angelegenheiten der Geheimhaltung, ist statt des Gemeinderats der Beirat nach § 55 GemO zu informieren.

g) Personalrechtliche Zuständigkeit

180

§ 44 Abs. 4 GemO statuiert:

„Der Bürgermeister ist Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Gemeindebediensteten.“

Hieraus resultiert das generelle Weisungsrecht gegenüber den gemeindlichen Bediensteten und zwar unabhängig davon, ob es sich bei diesen um Beamte oder Angestellte handelt. Darüber hinaus hat der Bürgermeister in seiner Rolle als Dienstvorgesetzter die beamtenrechtlichen Entscheidungen bezüglich der Gemeindebeamten zu treffen. Zu beachten ist allerdings die Regelung des § 24 Abs. 2 GemO und die dort festgelegte Kompetenz des Gemeinderats.

h) Vertretung der Gemeinde

181

Gemäß § 42 Abs. 1 S. 2 GemO vertritt der Bürgermeister die Gemeinde nach Außen. Er ist ihr gesetzlicher Vertreter. Die Vertretungsmacht des Bürgermeisters ist allumfassend und unbeschränkbar. Die von ihm abgegeben Willenserklärungen berechtigen und verpflichten im Bereich des Zivilrechts die Gemeinde folglich selbst dann, wenn im Innenverhältnis der Gemeinderat zuständig ist und dieser keinen entsprechenden Beschluss gefasst hat. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Bürgermeister die Vertretungsbefugnis erkennbar missbraucht oder in den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens mit dem Vertragspartner.

Hinweis

Bitte unterscheiden Sie die Vertretungsmacht (= das rechtliche Können) von der Vertretungsbefugnis (= rechtliches Dürfen). Die Vertretungsmacht wird in § 42 Abs. 1 S. 1 GemO normiert. Die Vertretungsbefugnis ergibt sich indes aus den oben geschilderten Zuständigkeitsregelungen.

Beispiel

Unterzeichnet der Bürgermeister der kleinen, finanzschwachen Gemeinde G einen Kaufvertrag für seinen neuen Dienst-Ferrari, ohne dass hierzu ein Beschluss des Gemeinderats vorliegt, so ist dieses Geschäft nach außen hin wirksam, wenngleich im Innenverhältnis aufgrund des wirtschaftlichen Werts des Geschäfts der Gemeinderat zuständig gewesen wäre.

182

Im Bereich des öffentlich-rechtlichen Handelns ist zu unterscheiden: Erlässt der Bürgermeister außerhalb seiner Zuständigkeit einen VA, ist dieser rechtswidrig; gleiches gilt für Satzungen. Öffentlich-rechtliche Verträge im Subordinationsverhältnis sind nach § 59 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG nichtig. Für koordinationsrechtliche Verträge gilt das zum Zivilrecht ausgeführte.

183

Formelle Voraussetzung einer wirksamen Verpflichtung der Gemeinde ist gem. § 54 GemO die Abgabe einer schriftlichen, durch den Bürgermeister unterzeichneten Erklärung. Erklärungen in elektronischer Form müssen mit einer dauerhaft überprüfbaren Signatur versehen sein. Das Formerfordernis gilt gem. § 54 Abs. 4 GemO nicht für Geschäfte der laufenden Verwaltung oder für solche, die – im Vertretungsfall – aufgrund einer dem Formerfordernis gerecht werdenden Vollmacht durch einen Dritten (= Vertreter des Bürgermeisters) eingegangen wurden.

184

Wird die Form des § 54 GemO verletzt, so sind die Rechtsfolgen unterschiedlich, je nach dem, ob eine öffentlich-rechtliche oder eine zivilrechtliche Verpflichtung vorliegt. In Bezug auf öffentlich-rechtliche Verträge führt ein Verstoß gegen § 54 GemO ohne weiteres zu deren Unwirksamkeit (vgl. § 59 LVwVfG i.V.m. § 125 BGB). Bei zivilrechtlichen Verträgen gilt indes etwas anderes: da dem Landesgesetzgeber die Regelungskompetenz für zivilrechtliche Formvorschriften fehlt, kann § 125 BGB nicht unmittelbar zur Anwendung kommen. Ein Verstoß gegen § 54 Abs. 1 GemO führt daher nicht zur Formnichtigkeit des Geschäfts. Jedoch soll § 54 Abs. 1 GemO insoweit als Zuständigkeitsregelung zu verstehen sein. Nur wenn das kommunalrechtliche Formerfordernis beachtet wurde, ist eine wirksame Vertretung der Gemeinde zu bejahen. Fehlt es an der Schriftform, ist die Vertreterhandlung gemäß § 177 BGB schwebend unwirksam, da eine wirksame Stellvertretung nicht vorliegt.

Dies ist, wenngleich dogmatisch fraglich, doch die h.M., vgl. etwa KBK § 54 Rn. 14.

3. Wahl des Bürgermeisters

a) Wahlverfahren

185

Der Bürgermeister wird von den Bürgern in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl nach dem Prinzip der Mehrheitswahl gewählt (zu den Wahlgrundsätzen vgl. Rn. 151). Jeder Wahlberechtigte hat dabei eine Stimme. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinen kann (§ 45 Abs. 1 GemO). Kann keiner der Bewerber mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinen, findet frühestens am zweiten und spätestens am vierten Sonntag nach der Wahl eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern statt, die die meisten Stimmen erhalten haben. 

Ade § 45 Rn. 2.

Aus der Stichwahl geht der Bewerber als Gewinner hervor, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Im (unwahrscheinlichen) Fall der Stimmgleichheit entscheidet das Los (§ 45 Abs. 2 GemO).

b) Wählbarkeit

186

Als Bürgermeister wählbar sind Deutsche i.S.d. Art. 116 GG oder Unionsbürger, die vor der Zulassung ihrer Bewerbung um das Amt des Bürgermeisters in der Bundesrepublik wohnen. Die Bewerber müssen am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben, § 46 GemO. Anders als bei der Wahl zum Gemeinderat müssen die Bewerber um das Amt des Bürgermeisters nicht Bürger der Gemeinde sein (vgl. den Unterschied von § 45 Abs. 1 zu §§ 14, 12 GemO). Nicht wählbar ist, wer von der Wählbarkeit zum Gemeinderat nach § 28 Abs. 2 GemO ausgeschlossen ist. Ebenfalls nicht wählbar ist, wer als Beamter aufgrund eines Urteils aus dem Dienst entfernt oder wegen besonderer Straftaten verurteilt worden ist (siehe im Einzelnen § 46 Abs. 2 GemO). Wenngleich nicht wählbare Bewerber nicht auf dem Stimmzettel erscheinen, sind die für sie abgegebenen Stimmen gültig, d.h. sie werden bei der Ergebnisermittlung mitberücksichtigt, was im Hinblick auf die Bestimmung der Mehrheit entscheidend sein kann.

Die Regelungen über die Ungültigkeit von Stimmen in den §§ 23, 24 KomWG sind abschließend und enthalten die fehlende Wählbarkeit nicht als Ungültigkeitsgrund.

Beispiel

Werden bei einer Wahl 10 000 Stimmen abgegeben, wovon 100 auf nicht wählbare Bewerber entfallen, werden für das Erreichen der Mehrheit dennoch 5001 und nicht lediglich 4951 Stimmen benötigt.

187

Hinderungsgründe bestehen nach § 46 Abs. 3 und 4 GemO für Bedienstete der Rechtsaufsichtsbehörden (auch obere und oberste), des Landkreises oder des Landratsamts sowie für planmäßige Beamte oder sonstige Bedienstete der Gemeinde. Liegt ein Hinderungsgrund vor, hat dies nicht etwa zur Folge, dass der Bewerber nicht wählbar ist. Er ist im Falle eines Wahlsiegs bis zur Ausräumung des Hindernisses lediglich nicht in der Lage, sein Amt anzutreten.

Hinweis

Bitte differenzieren Sie: liegt bei einem Bewerber um das Amt des Bürgermeisters ein Hinderungsgrund vor, so führt dies nicht dazu, dass er nicht wählbar ist. Erreicht er die erforderliche Mehrheit, so gilt er als gewählt. Sodann ist zu prüfen, ob der Hinderungsgrund ausräumbar ist (z.B. durch die Auflösung des den Hinderungsgrund begründenden Beschäftigungsverhältnisses). Ist hingegen ein Bewerber nicht wählbar, kann er unter keinen Umständen zum Bürgermeister gewählt werden und demnach das Amt niemals antreten, selbst wenn er eine entsprechende Mehrheit erreicht hätte.

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