Insolvenzrecht - Unternehmensinsolvenz - Krisenverlauf aus betriebswirtschaftlicher Sicht

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Insolvenzrecht

Unternehmensinsolvenz - Krisenverlauf aus betriebswirtschaftlicher Sicht

I. Zahlungsunfähigkeit

1. Methoden zur Ermittlung

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Merke

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§ 17 Abs. 2 InsO besteht aus zwei Sätzen und beinhaltet zwei Methoden zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit.


Die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ist allgemeiner Eröffnungsgrund (§ 17 Abs. 1 InsO). Sie berechtigt alle insolvenzfähigen Schuldner (§ 11 InsO), einen Insolvenzantrag zu stellen, egal ob es sich um eine Einzelunternehmerin, einen Verbraucher oder eine GmbH handelt. Dabei stellt § 17 Abs. 2 InsO zwei verschiedene Methoden zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung.Vgl. nur BGH NZI 2016, 588 Rn. 14; NZI 2016, 222 Rn. 11; NZI 2016, 134 Rn. 17.

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Nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Ob das der Fall ist, wird anhand einer Liquiditätsbilanz ermittelt (sog. betriebswirtschaftliche oder rechnerische Methode). Diese (erste) Methode ist primär für den Schuldner relevant, der anhand der Liquiditätsbilanz rechnerisch überprüfen kann, ob sein Unternehmen zahlungsunfähig ist. In diesem Fall erfolgt die Prüfung ex-ante. Die rechnerische Methode kann aber auch ex-post eingesetzt werden, um rückblickend festzustellen, ob der Schuldner an einem bestimmten Stichtag zahlungsunfähig war.BGH NJW 2018, 1089 Rn. 10 ff.; näher Ampferl/Kilper NZI 2018, 191 ff. Hingegen ist die in § 17 Abs. 2 S. 2 InsO genannte Zahlungseinstellung (= zweite Methode) stets eine ex-post Methode. Hier wird anhand des Geschäftsgebarens des Schuldners unter Heranziehung von Indizien nachträglich festgestellt, ob der Schuldner seine Zahlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt eingestellt hatte. Die Methode ist vor allem relevant, wenn es um Haftungsansprüche (z.B. § 15b InsO oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO) oder Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters (§§ 129 ff. InsO) geht.

2. Betriebswirtschaftliche Methode

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Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist das der Fall, wenn es dem Schuldner nicht gelingt, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen.BGH NJW 2018, 1089 Rn. 10, 31 ff.; NZI 2017, 64 Rn. 17; NJW 2013, 940, 941; NZI 2007, 579, 58. Das ist in drei Schritten abzuprüfen. 

3. Zahlungseinstellung

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Die Zahlungsunfähigkeit kann auch auf andere Weise als durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz festgestellt werden. Nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO wird die Zahlungsunfähigkeit (widerlegbar) vermutet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Die Zahlungseinstellung knüpft an das nach außen hervortretende Zahlungsverhalten des Schuldners an. Für die beteiligten Verkehrskreise muss sich aufgrund von Indizien (Beweisanzeichen) der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. BGH NZI 2022, 733 Rn. 27; NZI 2020, 520 Rn. 12; NZI 2018, 34 Rn. 12; NZI 2017, 64 Rn. 18. Die Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen Indiz, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer Indizien gefolgert werden. BGH NZI 2022, 733 Rn. 28; NJW 2018, 1089 Rn. 65; NZI 2018, 114 Rn. 8; NZI 2017, 64 Rn. 18; NZI 2016, 837 Rn. 14; NZI 2016, 454 Rn. 7; NZI 2016, 222 Rn. 12; NZI 2016, 134 Rn. 18; NZI 2015, 717 Rn. 13.

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Nach Ansicht des BGH hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, wenn er fällige Verbindlichkeiten in erheblichem Umfang hat, die bis zur Insolvenzeröffnung nicht beglichen wurden. BGH NZI 2022, 733 Rn. 41; NZI 2020, 520 Rn. 12; NZI 2018, 34 Rn. 12; NZI 2017, 64 Rn. 19; NZI 2016, 588 Rn. 14; NZI 2015, 369 Rn. 15. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit in beträchtlicher Höhe kann die Zahlungseinstellung begründen. BGH NZI 2022, 733 Rn. 27; NZI 2020, 520 Rn. 12; NZI 2019, 812 Rn. 21; NZI 2018, 264 Rn. 18; NZI 2018, 34 Rn. 12; NZI 2017, 64 Rn. 19; NZI 2016, 588 Rn. 14; NZI 2014, 232, 234. Als weitere Indizien zieht der BGH die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge über ein halbes Jahr, BGH NZI 2022, 733 Rn. 31; NZG 2020, 70 Rn. 19; NZI 2016, 134 Rn. 21. eine dauernd schleppende Zahlungsweise (Löhne, Steuern etc.) trotz Vollstreckungsdrohungen, BGH NZI 2022, 733 Rn. 32; NZI 2016, 736 Rn. 22 f.; NZI 2016, 222 Rn. 15, 25; NZI 2013, 932, 933. das monatelange Schweigen auf Rechnungen und Mahnungen eines Gläubigers BGH NZI 2018, 264 Rn. 13 ff.; NZI 2016, 266 Rn. 12. sowie das Unterlassen von Zahlungen, die für die Aufrechterhaltung eines Unternehmens existentiell sind, heran. BGH NZI 2016, 736 Rn. 24; NZI 2013, 932, 933. Die Bitte um Stundung oder Ratenzahlung ist ein Indiz für die Zahlungseinstellung, wenn der Schuldner diese mit der Erklärung verbindet, andernfalls seine fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können. BGH NZI 2018, 264 Rn. 20; NZI 2017, 64 Rn. 19; NZI 2016, 736 Rn. 21; NZI 2016, 222 Rn. 17. Da es sich bei § 17 Abs. 2 S. 2 InsO um eine widerlegbare Vermutung handelt, kann der Schuldner Gegenbeweise vorbringen, indem er mittels einer Liquiditätsbilanz nachweist, dass eine Liquiditätslücke von weniger als 10 % bestand. BGH NJW 2018, 1089 Rn. 66; NZI 2016, 588 Rn. 30; ferner BGH NZI 2019, 850 Rn. 9. Die nach außen in Erscheinung getretene Zahlungseinstellung endet, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hat. BGH NZI 2022, 397 Rn. 17; NZI 2020, 170 Rn. 23; NZI 2018, 114 Rn. 10; NZI 2017, 64 Rn. 25. Hierfür genügt es nicht, einzelne Gläubiger zu befriedigen; vielmehr muss der Schuldner seine Zahlungen gegenüber allen Gläubigern aufnehmen.

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