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Insolvenzrecht - 8. Anfechtung nach §134 InsO

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Insolvenzrecht

8. Anfechtung nach §134 InsO

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Unentgeltliche Leistungen des Schuldners sind gem. § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, sofern sie in den letzten vier Jahren vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen wurden („Schenkungsanfechtung“). BeckOK InsR/Raupach InsO § 134 Rn. 1; Bork NZI 2018, 1. Die Anfechtung nach § 134 InsO bietet den Vorteil, dass es keine subjektiven Tatbestandsmerkmale gibt und der Anfechtungszeitraum relativ lang ist. Unter „unentgeltlichen Leistungen“ sind zunächst Schenkungen (§ 516 BGB) oder Spenden zu subsumieren, wobei billige Gelegenheitsgeschenke nach § 134 Abs. 2 InsO ausgenommen sind. Die Wertgrenze beträgt bei Einzelgeschenken 200 EUR, auf das Jahr kumuliert maximal 500 EUR. BGH NZI 2016, 359 Rn. 35; Braun/de Bra InsO § 134 Rn. 46.

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Der Anwendungsbereich des § 134 InsO ist nicht auf Schenkungen beschränkt. Unterschieden wird zwischen Zwei-Personen-Verhältnissen und Drei-Personen-Verhältnissen. Nach Ansicht des BGH ist eine Leistung im Zweipersonenverhältnis „unentgeltlich“, wenn dem Leistenden nach den Vereinbarungen kein entsprechender Gegenwert zufließen soll (z.B. Scheingeschäfts § 117 BGB). BGH NZI 2022, 522 Rn. 10; NZI 2022, 71 Rn. 50; NZI 2021, 973 Rn. 11; NZI 2021, 883 Rn. 9; NZI 2021, 729 Rn. 11; NZI 2021, 26 Rn. 9; NZI 2020, 422 Rn. 12; NJW 2019, 2923 Rn. 83; NJW 2019, 1446 Rn. 10. Erbringt der Empfänger eine objektiv gleichwertige Gegenleistung, die nicht synallagmatisch verbunden sein muss, liegt eine entgeltliche Leistung vor. BGH NZI 2018, 800 Rn. 38; Bork NZI 2018, 1, 3. Für die Beurteilung, ob die Gegenleistung gleichwertig ist, kommt es auf die objektive Wertrelation an. BGH NZI 2021, 26 Rn. 10; NZI 2018, 491 Rn. 11. Ist die Leistung objektiv nicht werthaltig, berücksichtigt der BGH sogar subjektive Vorstellungen der Parteien. So wird Entgeltlichkeit bejaht, wenn beide Parteien zum Zeitpunkt des Leistungsaustausches gutgläubig von der Werthaltigkeit der Gegenleistung ausgegangen sind. BGH NZI 2021, 26 Rn. 10; NJW 2019, 2923 Rn. 62; NZI 2017, 68 Rn. 22; krit. Bork NZI 2018, 1, 8. Leistungsstörungen (z.B. Verzug mit der Gegenleistung) bewirken keine „Unentgeltlichkeit“, da der Schuldner die Gegenleistung oder zumindest Schadensersatz verlangen kann. BGH NZI 2021, 26 Rn. 23; NZI 2018, 746 Rn. 17.

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Sind Leistungen auf nichtige Verträge unentgeltlich? Nach h.M. ist eine Anfechtung nach § 134 InsO ausgeschlossen, wenn der Schuldner die Leistung ohne Rechtsgrund erbracht hat und ihm deswegen gegen den Empfänger ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB (als „Gegenleistung“) zusteht. BGH NZI 2022, 563 Rn. 11; NZI 2021, 973 Rn. 12; NZI 2021, 883 Rn. 10; NZI 2021, 30 Rn. 10. Die rechtsgrundlose Leistung wird somit als entgeltliche Leistung angesehen. Leistet der Schuldner jedoch in Kenntnis des fehlenden Rechtsgrunds, schließt § 814 BGB den Anspruch aus § 812 BGB aus, so der Empfänger die Leistung unentgeltlich erhält. BGH NZI 2022, 425 Rn. 16; NZI 2021, 30 Rn. 10; Lütcke NZI 2021, 979 (Anm. zu BGH NZI 2021, 973). Gleiches gilt im Fall der Kondiktionensperre des § 817 S. 2 BGB. BGH NZI 2021, 973 Rn. 12; NZI 2021, 883 Rn. 10; NZI 2021, 30 Rn. 11; NJW 2019, 2923 Rn. 66.

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Im Dreipersonenverhältnis kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner selbst einen Ausgleich für seine Leistung erhalten hat, sondern ob der Empfänger eine Gegenleistung erbringen musste. BGH NZI 2022, 522 Rn. 10; NZI 2020, 422 Rn. 12; NZI 2018, 800 Rn. 26. Typischer Fall ist die Leistung auf fremde Schuld. Verliert der Leistungsempfänger aufgrund der Leistung eine werthaltige Forderung gegen einen Dritten, ist dies als „Gegenleistung“ und damit als entgeltliche Leistung zu bewerten. Demgegenüber ist die Tilgung einer fremden Schuld anfechtbar, wenn die gegen den Dritten gerichtete Forderung wertlos war. BGH NZI 2022, 522 Rn. 10; NZI 2016, 398 Rn. 10; NZI 2016, 80 Rn. 6. Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner des Schuldners als „wahrer“ Empfänger, nicht der „tatsächliche“ Empfänger. BGH NZI 2020, 422 Rn. 12.

Beispiel

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Lin (L) schließt mit Max (M) einen Darlehensvertrag über 1 Mio. EUR. Vereinbarungsgemäß überweist (L) das Darlehen direkt an die MODEHAUS GmbH, die das Darlehen sechs Monate vor Insolvenzeröffnung an (L) zurückzahlt. (L) hat mit der Rückzahlung ihren Anspruch gegen Max (M) aus dem Darlehensvertrag (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) verloren. Dieser Verlust stellt eine Gegenleistung dar, so dass die Leistung der MODEHAUS GmbH an (L) nicht unentgeltlich ist. Eine Ausnahme besteht, wenn die Forderung gegen Max (M) auf Rückzahlung des Darlehens nicht werthaltig ist. Das ist der Fall, wenn Max (M) selbst insolvent und zur Rückzahlung des Darlehens nicht in der Lage ist.

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Im Prozess trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 134 InsO. BGH NZI 2022, 425 Rn. 14; NZI 2022, 71 Rn. 51; NZI 2021, 26 Rn. 11; NZI 2017, 393 Rn. 8. Die Beweislast, dass die Leistung bereits länger als vier Jahre vor dem Eröffnungsantrag erbracht wurde, liegt bei dem Empfänger (Wortlaut: „. . . es sei denn . . .“). Rechtsfolge der Anfechtung ist die Pflicht des Anfechtungsgegners, die empfangene Leistung zurück zu gewähren. § 143 Abs. 2 S. 1 InsO beschränkt die Rückgewährpflicht. So kann sich der Empfänger auf den Wegfall der Bereicherung berufen (§ 818 Abs. 3 BGB), etwa wenn ihm durch das „Geschenk“ Kosten entstanden sind. BGH NZI 2016, 359 Rn. 41. Hingegen ist der Empfänger weiterhin bereichert, wenn er durch den Verbrauch des Geschenks notwendige Ausgaben erspart hat. Handelt der Schuldner bösgläubig (§ 143 Abs. 2 S. 2 InsO), bleibt es bei der Regelung des § 143 Abs. 1 InsO. Probleme ergeben sich, wenn die Leistung nur teilweise unentgeltlich ist (z.B. Verkauf zum „Spottpreis“). Hier ist vorrangig der Wertüberschuss der schuldnerischen Leistung zurückzuerstatten. BGH NZI 2021, 26 Rn. 20; MüKoInsO/Kayser/Freudenberg InsO § 134 Rn. 42. Bei Unteilbarkeit der Leistung (z.B. Grundstücksübertragung) kann der Verwalter die gesamte Leistung Zug um Zug gegen Rückgewähr der erbrachten Gegenleistung verlangen. BGH NZI 2021, 26 Rn. 20; Uhlenbruck/Borries/Hirte InsO § 134 Rn. 34a.

Beispiel

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Die MODEHAUS GmbH verkauft ihrem Gesellschafter Fred (F) drei Jahre vor Insolvenzeröffnung ein Grundstück für 100 000 EUR. Der wahre Wert EUR beträgt 300 000 EUR. Der Insolvenzverwalter kann entweder die Wertdifferenz über 200 000 EUR oder die Herausgabe des Grundstücks von Fred (F) Zug um Zug gegen Zahlung von 100 000 EUR verlangen.

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