Handels- und Gesellschaftsrecht

Die innere Organisation der Gesellschaft

V. Die innere Organisation der Gesellschaft

1. Die Grundlagengeschäfte

235

Weder von der Geschäftsführungs- noch von der Vertretungsbefugnis umfasst sind bei allen Gesellschaftsformen die so genannten Grundlagengeschäfte, also Geschäfte, die den Gesellschaftsvertrag selbst und seine Änderungen betreffen. Diese Geschäfte betreffen die einzelnen Gesellschafter in ihrer persönlichen Mitgliedsstellung und sind daher deren Geschäfte und nicht solche der Gesellschaft.

Geschäftsführung und Vertretung sind daher in diesem Bereich nicht möglich. Für Grundlagengeschäfte ist stets ein Beschluss aller Gesellschafter erforderlich. In den Grenzen des Bestimmtheitsgebotes bzw. der gesellschafterlichen Treuepflicht ist es aber zulässig, durch Gesellschaftsvertrag zu bestimmen, dass auch Grundlagengeschäfte durch Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter getätigt werden können.BGH Urteil vom 15.1.2007 (Az: II ZR 245/05), unter Tz. 9 = BGHZ 170, 283 – Otto.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Grundlagengeschäfte sind z.B.

Änderungen des Gesellschaftsvertrages;

die Aufnahme eines neuen Gesellschafters;

eine Änderung der Beitragspflichten;

eine Änderung der Firma;

die Entziehung von Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis (§ 715 Abs. 5 BGB);

die Entscheidung über die Geltendmachung oder den Erlass von Sozialansprüchen der Gesellschaft gegen einzelne Gesellschafter und deren Umsetzung.

2. Sozialansprüche und Sozialverbindlichkeiten

236

Als Sozialansprüche werden alle Ansprüche der Gesellschaft gegen einen Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis, nicht aber solche aus anderen Rechtsbeziehungen mit einem Gesellschafter bezeichnet. Die wichtigsten Sozialansprüche sind der Anspruch der Gesellschaft auf Leistung des Beitrags, auf ordnungsgemäße Geschäftsführung, Ersatzansprüche und der Anspruch auf Unterlassung von Wettbewerb (für die oHG in §§ 117, 118 HGB geregelt).

Diese Sozialansprüche werden grundsätzlich von den geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschaftern geltend gemacht, nachdem die nicht beteiligten Gesellschafter über die Geltendmachung beschlossen haben. Ein derartiger Beschluss ist ein Grundlagengeschäft.

Ausnahmsweise kann jedoch auch einem nicht vertretungs- oder geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter eine Prozessführungsbefugnis und zu diesem Zweck auch Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zustehen, um die Sozialansprüche durchzusetzen, die so genannte actio pro socio.

237

Als Sozialverbindlichkeiten werden alle Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft aus dem Gesellschaftsverhältnis bezeichnet. Die wichtigsten Sozialverbindlichkeiten sind die Aufwendungsersatzansprüche nach §§ 716 Abs. 1 und 2, BGB bzw. § 105 Abs. 3 HGB, die Gewinnbeteiligung nach § 709 Abs. 3 BGB, das Informations- und Kontrollrecht nach § 717 BGB und der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben.

Für alle diese Sozialverbindlichkeiten haften die Gesellschafter nur mit dem Gesellschaftsvermögen, denn eine persönliche Haftung der Gesellschafter liefe im Ergebnis auf eine Erhöhung der Beiträge hinaus, da Mittel dauerhaft für die Gesellschaft gebunden würden. Zu einer Erhöhung sind die Gesellschafter aber nach § 710 Satz 1 BGB nicht verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft nicht mehr liquide ist.

Die gesellschafterliche Treuepflicht kann es gebieten, Ansprüche gegen die Gesellschaft nicht geltend zu machen, wenn ihre Geltendmachung der Gesellschaft schaden könnte.

3. Die actio pro socio

238

Prüfungsschema

Hier klicken zum Ausklappen
Wie prüft man: Zulässigkeit der actio pro socio

I.

Sozialanspruch der Gesellschaft

II.

Geschäftsführende Gesellschafter verweigern Geltendmachung

III.

Treuwidrigkeit der Verweigerung

IV.

Kein Ausschluss der actio pro socio

239

Insbesondere Sozialansprüche, also Ansprüche der Gesellschaft gegen Gesellschafter, müssen intern durchgesetzt werden. Dabei kann es erforderlich werden, dass die Ansprüche der Gesellschaft von anderen, nicht geschäftsführungsbefugten Gesellschaftern geltend gemacht werden.

Dies erfolgt im Wege der actio pro socio (lat. Anspruch zugunsten der Gesellschaft). Der klagende Gesellschafter macht hierbei einen fremden Anspruch – den der Gesellschaft – im eigenen Namen geltend, seine Klage muss auf Leistung an die Gesellschaft lauten. Ausgeschlossen ist das Klagerecht, wenn seine Geltendmachung selbst treuwidrig ist, etwa wenn die unterbliebene Geltendmachung sachlich gerechtfertigt ist, wenn die Gesellschaft selbst den Anspruch bereits geltend macht oder lediglich mangels ausstehender Entscheidung des geschäftsführenden Gesellschafters noch nicht geltend macht oder wenn ein Gesellschafter neben der Gesellschaft auf Leistung an diese klagt, nur um die Prozesskosten zu erhöhen.BGH Versäumnisurteil vom 22.1.2019 (Az: II ZR 143/17), unter Tz. 14 = NJW-RR 2019, 742.

Ungeklärt ist, ob ein pflichtwidriges Unterlassen auch dann vorliegt, wenn die Nichtgeltendmachung auf einem Gesellschafterbeschluss beruht, und ob zunächst dieser Gesellschafterbeschluss angefochten werden muss.

Unklar ist weiter das Schicksal der actio pro socio im Falle einer späteren Klageerhebung durch die Gesellschaft.

Mit Einführung des § 715b BGB durch das MoPeG ist die actio pro socio für die GbR erstmals kodifiziert worden. Da sie dem Schutz der Minderheitsgesellschafter vor einem Unterlassen der Verfolgung von Ansprüchen gegen die Mehrheitsgesellschafter dient, kann sie gesellschaftsvertraglich weder beschränkt noch ausgeschlossen werden, § 715b Abs. 2 BGB.

Auf Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte findet die actio pro socio nur Anwendung, wenn der Dritte an der pflichtwidrigen Unterlassung mitwirkte oder diese kannte, § 715b Abs. 1 S. 2 BGB.

In der Publikumsgesellschaft sind Ansprüche der Gesellschaft gegen ihren organschaftlichen Vertreter angesichts der Vielzahl der Gesellschafter regelmäßig schwierig durchzusetzen. Daher können sie dort in entsprechender Anwendung von § 46 Nr. 8 Hs. 2 GmbHG, § 147 Abs. 2 S. 1 AktG auch durch einen besonderen Vertreter geltend gemacht werden, der von den übrigen Gesellschaftern zu bestellen ist. Regelmäßig ist der Beirat besonderer Vertreter.BGH Beschluss vom 7.6.2010 (Az: II ZR 210/09), unter Tz. 13 ff. = ZIP 2010, 2345, 2346 f.

Mit diesen Online-Kursen bereiten wir Dich erfolgreich auf Deine Prüfungen vor

Einzelkurse

€19,90

    Einzelthemen für Semesterklausuren & die Zwischenprüfung

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer des jeweiligen Kurses inklusive
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen einzelner Rechtsgebiete
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • 19,90 € (einmalig)
Jetzt entdecken!

Kurspakete

ab €17,90mtl.

    Gesamter Examensstoff in SR, ZR, Ör für das 1. & 2. Staatsexamen

  • Lernvideos & Webinar-Mitschnitte
  • Lerntexte & Foliensätze
  • Übungstrainer aller Einzelkurse mit über 3.000 Interaktive Übungen & Schemata & Übungsfällen
  • Integrierter Lernplan
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Dozenten
  • ab 17,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Klausurenkurse

ab €29,90mtl.

    Klausurtraining für das 1. Staatsexamen in SR, ZR & ÖR mit Korrektur

  • Video-Besprechungen & Wiederholungsfragen
  • Musterlösungen
  • Perfekter Mix aus leichteren & schweren Klausuren
  • Klausurlösung & -Korrektur online einreichen und abrufen
  • Inhalte auch als PDF
  • Erfahrene Korrektoren
  • ab 29,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!

Übungstrainer

€9,90mtl.

    Übungsaufgaben & Schemata für die Wiederholung

  • In den Einzelkursen & Kurspaketen inklusive
  • Perfekt für unterwegs
  • Trainiert Definitionen, Schemata & das Wissen aller Rechtsgebiete
  • Über 3.000 Interaktive Übungen zur Wiederholung des materiellen Rechts im Schnelldurchlauf
  • 9,90 € (monatlich kündbar)
Jetzt entdecken!