Grundrechte

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs - Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

3. Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

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Steht nicht der Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts durch einen parlamentarischen Rechtsetzungsakt, sondern durch einen Rechtsanwendungsakt, d.h. durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative (z.B. Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsakt oder gerichtliche Entscheidung), in Rede, verläuft die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung anders. Im Vordergrund der Prüfung steht hier die Frage, ob die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative, d.h. der Rechtsanwendungsakt, verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Wegen des rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes muss die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative ihrerseits auf einem verfassungsmäßigen Parlamentsgesetz beruhen und selbst verfassungsgemäß sein. Es empfiehlt sich, diese Prüfung in drei Schritten vorzunehmen:

Expertentipp

Beachten Sie, dass gerade hier Prüfungsschemata lediglich eine Orientierungshilfe bieten und keinesfalls starr angewendet werden dürfen, denn gerade bei der Überprüfung von Rechtsanwendungsakten kommt es maßgeblich auch darauf an, wer welchen Rechtsanwendungsakt überprüft. Im Verfassungsrecht steht die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Maßnahmen zur Prüfung an. Prüft z.B. das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG eine gerichtliche Entscheidung, gilt zudem ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab, weil das Bundesverfassungsgericht gerichtliche Entscheidungen lediglich auf die Verletzung sog. spezifischen Verfassungsrechts überprüft (s.u. Rn. 766). Im Verwaltungsrecht geht es dagegen um die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Exekutive. Für die Lösung dieser Fälle gibt es Prüfungsschemata, die den Besonderheiten dieser Prüfung Rechnung tragen, indem sie zu Ihrer Gedächtnisunterstützung zusätzliche Prüfungspunkte enthalten.

Vgl. allgemein in diesem Zusammenhang auch Augsberg/Viellechner JuS 2008, 407. Achten Sie auf diese Unterschiede!Vgl. zum Ganzen auch Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 400.

a) Grundrechtsschranken

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Ihre Prüfung beginnen Sie mit der Frage nach den Grundrechtsschranken (vgl. dazu bereits oben Rn. 135 ff.). Sie untersuchen, ob das möglicherweise verletzte Freiheitsrecht einschränkbar ist, d.h., ob es aufgrund eines formellen Gesetzes durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative eingeschränkt werden kann.

b) Verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage für die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

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Kann das möglicherweise verletzte Grundrecht aufgrund eines formellen Gesetzes durch eine Maßnahme der Exekutive oder der Judikative eingeschränkt werden, benennen Sie nun die formell-gesetzliche Grundlage, auf der die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative beruht.

Beispiel

Die Stadt Köln widerruft die dem W zum Betrieb einer Gaststätte erteilte Erlaubnis wegen Unzuverlässigkeit. Der Widerruf ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NW, der auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 GastG ergeht.

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Die gesetzliche Grundlage muss verfassungsgemäß sein. An dieser Stelle prüfen Sie die (formelle und materielle) Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage, auf der die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative beruht. Insoweit kann auf die Ausführungen oben (Rn. 141) verwiesen werden.

Expertentipp

Wenn die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative auf einem gängigen, seit langem angewendeten formellen Gesetz beruht (z.B. einer landesrechtlichen Spezial- oder Generalermächtigung), wird die Verfassungsmäßigkeit der formell-gesetzlichen Grundlage in aller Regel nicht problematisch sein. Anders kann sich für Sie die Situation in der Fallbearbeitung darstellen, wenn etwa eine Maßnahme der Exekutive auf einem materiellen Gesetz (Rechtsverordnung; Satzung) beruht, das gerade erlassen wurde. Hier sollten Sie die Angaben im Sachverhalt aufmerksam studieren, ob sich Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der materiell-gesetzlichen Grundlage ergeben. Beachten Sie, dass Sie in diesem Falle eine doppelte Prüfung vornehmen müssen: Nicht nur die materiell-gesetzliche Grundlage für die Maßnahme der Exekutive muss verfassungsgemäß sein; vielmehr muss auch das materielle Gesetz selbst auf einer verfassungsgemäßen formell-gesetzlichen Grundlage beruhen (denken Sie in diesem Zusammenhang bei Rechtsverordnungen auf Bundesebene an Art. 80 GG und bei Rechtsverordnungen auf Landesebene an die entsprechende landesrechtliche Bestimmung [z.B. Art. 70 Verf. NW])!

c) Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

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Die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative muss ihrerseits verfassungsgemäß sein. Dies prüfen Sie in drei Schritten:

aa) Verfassungskonforme, vor allem grundrechtskonforme, Anwendung und Auslegung der gesetzlichen Grundlage

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Die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative ist verfassungsgemäß, wenn sie die formell-gesetzliche Grundlage verfassungskonform, insbesondere grundrechtskonform, anwendet und auslegt. Der Sache nach prüfen Sie also, ob sich die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative im Rahmen der formell-gesetzlichen Grundlage hält.

Beispiel

K will sich ein neues Einfamilienhaus bauen. Die Behörde lehnt den Bauantrag des K mit der Begründung ab, die Entscheidung über die Baugenehmigung stehe in ihrem Ermessen und dieses habe sie – aus nicht nachvollziehbaren – Gründen dahingehend ausgeübt, dass dem K die Baugenehmigung zu versagen sei. K fühlt sich in seinem Grundrecht auf Baufreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verletzt.

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In unserem Beispiel (Rn. 164) ist zu prüfen, ob sich die Versagung der Baugenehmigung im Rahmen der gesetzlichen Grundlage hält. Nach den einschlägigen landesrechtlichen Regelungen in den Landesbauordnungen (z.B. § 74 Abs. 1 BauO NW 2018) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Bei der Baugenehmigung handelt es sich um ein sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das Bauen ist zunächst verboten. Wegen der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Baufreiheit erwächst dem Bauherrn aber ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn sein Bauvorhaben alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Baugenehmigung erfüllt. Dies hat die Baubehörde bei K verkannt. Sie hat eine Ermessensentscheidung getroffen, obgleich sie zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war (vgl. z.B. Wortlaut des § 74 Abs. 1 BauO NW 2018: „ist zu erteilen“). Die Versagung der Baugenehmigung hält sich demnach nicht im Rahmen der gesetzlichen Grundlage und ist damit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

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Das Prinzip der verfassungskonformen Auslegung ist besonderer Ausdruck der objektiven Bedeutung der Grundrechte. In der Praxis hat der Rechtsanwender häufig verschiedene Möglichkeiten, wie er ein Gesetz auslegt. Welche Auslegungsvariante der Rechtsanwender zu wählen hat, ist von Verfassungs wegen bestimmt. Bestehen mehrere Auslegungsvarianten, von denen eine Variante verfassungsgemäß und eine andere Variante verfassungswidrig ist, muss sich der Rechtsanwender für die verfassungsgemäße Auslegungsvariante des Gesetzes entscheiden.

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 8c.

Beispiel

§ 14 VersG ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass bei Spontanversammlungen die Anmeldepflicht entfällt und bei Eilversammlungen der Anmeldezeitraum dahingehend zu verkürzen ist, dass die Eilversammlung anzumelden ist, sobald die Teilnehmer die Möglichkeit hierzu haben.

Vgl. BVerfGE 85, 69.

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Nichts anderes gilt für die grundrechtskonforme Auslegung als Sonderfall der verfassungskonformen Auslegung. Hier ist bei mehreren verfassungsgemäßen Auslegungsvarianten diejenige Variante zu wählen, die den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts am weitestgehenden beachtet.

Vgl. Kingreen/Poscher Grundrechte Rn. 8a f.

bb) Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative

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Wendet die Exekutive oder die Judikative die formell-gesetzliche Grundlage verfassungskonform, insbesondere grundrechtskonform, an, untersuchen Sie in einem nächsten Schritt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Exekutive oder der Judikative. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen oben (Rn. 143 ff.) verwiesen werden. Im Gegensatz zur Legislative sind die Exekutive und die Judikative jedoch an das geltende Recht gebunden. Sie besitzen daher vor allem keinen vergleichbaren Gestaltungsspielraum, wie ihn die Legislative hat.

cc) Bestimmtheitsgrundsatz

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Erweist sich die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative als verhältnismäßig, untersuchen Sie in einem letzten Prüfungsschritt, ob die Maßnahme dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügt. Danach muss erkennbar sein, welcher Eingriff durch die Maßnahme der Exekutive oder der Judikative zugelassen oder vorgenommen wird.

Hinweis

Bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzbereich von Freiheitsrechten durch Gesetz gehört die Bestimmtheitsprüfung dagegen üblicherweise zur materiellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes (s.o. Rn. 141).

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