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Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung, also gegen eine Baugenehmigung, des Vorhabens gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB haben keine aufschiebende Wirkung. Der Bauherr kann also mit der Verwirklichung seines Vorhabens auch dann beginnen, wenn der Nachbar einen förmlichen Rechtsbehelf eingelegt hat.
S. vertiefend Huber NVwZ 2004, 915.Ob das Entfallen der aufschiebenden Wirkung gemäß § 212a Abs. 1 BauGB auch für den Bauvorbescheid gilt, ist umstritten.
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Teilweise wird von einem Entfallen der aufschiebenden Wirkung gemäß § 212a Abs. 1 BauGB auch im Falle eines Bauvorbescheids ausgegangen.
Neuffer Das neue Baurecht, § 10 BauGB-MaßnahmenG Rn. 2 für die wortlautgleiche Vorgängervorschrift des § 212a Abs. 1 BauGB. Hierfür wird angeführt, dass der Bauvorbescheid hinsichtlich der in ihm entschiedenen Einzelfragen die Baurechtsbehörde und im Falle seiner Bestandskraft auch den Nachbarn binde. Damit sei über die betreffenden Fragen abschließend entschieden. § 212a Abs. 1 BauGB zwecke weiterhin eine generelle Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens. Ohne das Entfallen der aufschiebenden Wirkung könne keine beschleunigte Vorabklärung von Einzelfragen zum Bauvorhaben erfolgen.Herrschend wird diese Frage verneint.
VGH Baden-Württemberg VBlBW 199,7 105; Battis/Krautzberger/Löhr-Battis BauGB § 212a Rn. 2; Ferner/Kröninger/Aschke-Kirchmeier BauGB § 212a Rn. 6; Jäde UPR 1991 50, 59. Hierfür spricht der Wortlaut des § 212a Abs. 1 BauGB, der von einer „Zulassung“ spricht. Bei einem Bauvorbescheid handelt es sich jedoch um einen ausschließlich feststellenden Verwaltungsakt,Ferner/Kröninger/Aschke-Kirchmeier BauGB § 212a Rn. 6. den verfügenden Teil, nämlich die Gestattung des Bauens, enthält ein Bauvorbescheid nicht.VGH Baden-Württemberg VBlBW 1997, 105. Alleine auf der Grundlage eines Bauvorbescheids darf nicht gebaut werden, weshalb kein Bedürfnis für ein Entfallen der aufschiebenden Wirkung gegeben sei.VGH Baden-Württemberg VBlBW 1997, 105. Weiterhin ist § 212a BauGB eine Ausnahmevorschrift vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 1 VwGO, weshalb eine enge Auslegung zu erfolgen hat.VGH Baden-Württemberg VBlBW 1997, 105; VGH Baden-Württemberg ZfBR 1996, 170.Beispiel
S hat von der Baurechtsbehörde die Genehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich erteilt bekommen. Landwirt T ist Eigentümer eines benachbarten Grundstücks im Außenbereich. Auf seinem Grundstück betreibt er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Form eines Schweinezuchtbetriebes. T geht berechtigterweise davon aus, dass sein stark immissionsträchtiger Betrieb durch immissionsschutzrechtliche Regelungen derart reglementiert wird, dass seine Existenz in ernster Gefahr sei. Aus diesem Grund will T die Verwirklichung des Vorhabens verhindern.
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Um im Beispiel das Vorhaben des S zu verhindern, muss T zunächst regelmäßig erfolglos Widerspruch gemäß §§ 68 ff. VwGO eingelegt haben.
Hinweis
Ob ein Antrag nach § 80a Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO schon vor Einlegung des Widerspruchs zulässig ist, ist umstritten.
Vgl. Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 992 m.w.N.Dann kann er eine Anfechtungsklage einlegen, diese hat jedoch gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung. Wenn T die Verwirklichung des Bauvorhabens zumindest vorläufig verhindern möchte, muss er bei der Baurechtsbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 Hs. 1, 80 Abs. 4 VwGO stellen. Ein derartiger Antrag kann auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden.
Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 992. Ferner kann er vorläufigen Rechtsschutz beim zuständigen Verwaltungsgericht, auch vor Erhebung der Anfechtungsklage, vgl. § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO, erlangen.Hinweis
Bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung ist umstritten, ob vorläufiger Rechtsschutz durch eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80a Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
BVerwG NVwZ 1995, 903; VGH Baden-Württemberg NVwZ 1991, 1000. oder durch eine Aussetzung gemäß § 80a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGOBudroweit/Wuttke JuS 2006, 876, 878. zu erfolgen hat.Ersteres ist in Baden-Württemberg verbreiteter. Hierfür spricht zunächst, dass bei einer Aussetzung nach § 80a Abs. 3 S. 1 i.V.m.
T kann, abhängig davon, welcher Auffassung Sie folgen, entweder einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach §§ 80a Abs. 3 S. 1 Var. 3 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 1, 80 Abs. 4 VwGO oder einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß §§ 80a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 VwGO stellen.
Expertentipp
Achten Sie unbedingt auf eine exakte Terminologie: In den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 VwGO wird gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage angeordnet. Im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO hingegen wird diese gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO wiederhergestellt. Der Grund dafür liegt darin, dass in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung wegen des gesetzlich geregelten Entfallens der aufschiebenden Wirkung niemals eintreten konnte. Im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO hingegen ist eine besondere Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgt, so dass für eine juristische Sekunde ein Widerspruch oder eine Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hätte haben können.
Denken Sie bei der dieser Prüfung unbedingt an den Streitstand, ob ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht voraussetzt, dass der Nachbar zuvor wegen der Verweisung in § 80a Abs. 3 S. 2 auch auf § 80 Abs. 6 VwGO erfolglos einen Antrag nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 6 VwGO (sog. Aussetzungsantrag) bei der Behörde stellen muss.
S. Kintz Öffentliches Recht im Assessorexamen Rn. 497. Es geht um die Frage, ob es sich bei der Verweisung in § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO auch auf § 80 Abs. 6 VwGO um eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung handelt.Vgl. Kopp/Schenke VwGO § 80a Rn. 21, § 80 Rn. 148. Dieser Streit ist ohne Bedeutung, wenn dem Nachbarn keine Abschrift der Baugenehmigung zugestellt worden ist und er erst mit dem Baubeginn von der Existenz der Baugenehmigung erfährt, denn dann droht die „Vollstreckung“ i.S.d. § 80 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 VwGO (s. hierzu Übungsfall Nr. 4).Kintz Öffentliches Recht im Assessorexamen Rn. 497.