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Liegen im Einzelfall die Voraussetzungen für mehr als ein Zwangsmittel vor, so steht es vorbehaltlich spezialgesetzlicher Vorgaben (z.B. § 58 Abs. 1 AufenthG: Abschiebung) im Ermessen der Behörde, welches von diesen sie anwendet. Eingeschränkt wird dieses Auswahlermessen jedoch durch den in § 9 Abs. 2 VwVG (§ 19 Abs. 2 LVwVG BW, Art. 29 Abs. 3 bay. VwZVG, § 58 VwVG NRW) ausdrücklich normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rn. 245). Danach muss das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Es ist möglichst so zu bestimmen, dass der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden (z.B. kein Verbringen des verbotswidrig abgestellten Pkw auf den Fahrzeughof, wenn die Störung auch durch ein bloßes Umsetzen des Pkw auf einen freien Parkplatz in unmittelbarer Nähe beseitigt werden kann). Was speziell das Verhältnis des Zwangsgelds zur Ersatzvornahme anbelangt (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 VwVG, Art. 32 S. 2 bay. VwZVG), so wird teilweise
Nachweise bei Erichsen/Rauschenberg Jura 1998, 31 (35), die wie Horn Jura 2004, 447 (451) selbst eine a.A. vertreten (Zwangsgeld kann u.U. kostenintensiver sein als Ersatzvornahme). davon ausgegangen, dass Ersteres gegenüber Letzterem freiheitsschonender und damit vorrangig sei. Als schwerwiegender Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützte persönliche Freiheit des Vollstreckungsschuldners (vgl. § 16 Abs. 1 S. 2 VwVG) darf die Ersatzzwangshaft nur in Ausnahmefällen angeordnet werden.Beispiel
Unter Verstoß gegen § 12 Abs. 3 Nr. 5 StVO parkte Autofahrer A seinen Pkw vor einer Bordsteinabsenkung, an der ein Fußweg einmündet. Da der Wagen den Durchgang für die Fußgänger blockierte, veranlasste die zuständige Behörde das Abschleppen des Fahrzeugs durch ein privates Unternehmen und machte anschließend per Bescheid die Kosten für das Beiseiteräumen des Fahrzeugs gegenüber A geltend. Dieser erhebt in zulässiger Weise Widerspruch gegen den Kostenbescheid, da er – was sachlich zutrifft – auf dem Armaturenbrett des Fahrzeugs einen ca. 10 × 10 cm großen Zettel mit der Aufschrift „Bei Störung bitte anrufen, komme sofort!“ und der Rufnummer seines Mobiltelefons ausgelegt hatte. Auf eine telefonische Nachricht hin hätte er sein Fahrzeug in weniger als einer halben Minute entfernt. Hat A mit diesem Einwand Erfolg?
Nein. Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt zwar auf der einen Seite ein bloßer Verstoß etwa gegen das Verbot des Gehweg-Parkens allein nicht ohne Weiteres eine Abschleppmaßnahme und auch allein eine Berufung auf eine bloße Vorbildwirkung des fehlerhaften Verhaltens und auf den Gesichtspunkt der Generalprävention ist insoweit nicht ausreichend. Auf der anderen Seite kann aber nicht zweifelhaft sein, dass regelmäßig ein Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge im Fall der Behinderung von anderen Verkehrsteilnehmern geboten erscheint. Auch der Teilaspekt der Erreichbarkeit des Fahrzeugführers und einer hieraus möglicherweise abzuleitenden Verpflichtung, den Fahrzeugführer zu einer Selbstvornahme der Störungsbeseitigung zu veranlassen, rechtfertigt hier keine andere Betrachtungsweise. Insoweit trifft trotz der allgemeinen Verbreitung von Mobiltelefonen unverändert zu, dass einem durch die hinter der Windschutzscheibe des Kraftfahrzeugs angebrachte Adresse und Telefonnummer veranlassten Nachforschungsversuch regelmäßig schon die ungewissen Erfolgsaussichten und nicht abzusehenden weiteren Verzögerungen entgegenstehen. Im Übrigen darf eine rechtmäßige Abschlepppraxis in zulässiger Weise auch spezial- und generalpräventive Zwecke verfolgen. Soweit zuständige Behörden die Erfahrung gemacht haben sollten oder zukünftig machen, dass Verkehrsteilnehmer zunehmend dazu übergehen, mit Hilfe von entsprechenden Angaben unter Inkaufnahme von Bußgeldern, aber in Erwartung eines hieraus folgenden „Abschlepp-Schutzes” Verkehrsverstöße zu begehen, die andere Verkehrsteilnehmer behindern, stünde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer Abschlepppraxis, die solche Missstände zurückzudrängen sucht, nicht entgegen.
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Gegenüber wem die Verwaltungsvollstreckung stattfinden darf, ist im VwVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass richtiger Vollstreckungsschuldner derjenige ist, der durch den zu vollstreckenden Verwaltungsakt (Grundverfügung; Rn. 335 f.) verpflichtet wird.
Mosbacher in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, Vor §§ 6-18 VwVG Rn. 8.