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Davon zu unterscheiden ist der Fall, bei welchem der Täter Karte und PIN zuvor aufgrund einer Täuschung gegenüber dem Kontoinhaber von diesem freiwillig übergeben bekommen hat. Der BGH hat ein unbefugtes Verwenden verneint und ist mit seiner Begründung in die Nähe der computerspezifischen Auslegung gerückt, weswegen das Urteil in der Lit. auf Kritik gestoßen ist. Wie Sie nachfolgend erkennen werden, wird die Frage, welche Prüfungskompetenz ein fiktiver Mitarbeiter hat und wie dementsprechend die Täuschungs- und Irrtumsäquivalenz zu bestimmen ist, unterschiedlich beantwortet.
Beispiel
A erklärt der 80jährigen B am Telefon, dass er ein Mitarbeiter ihrer Sparkasse sei und sie darauf aufmerksam machen müsse, dass es Manipulationen an ihrem Konto gegeben habe. Um den Vorgang aufzuklären, benötige die Sparkasse die EC-Karte. Als besonderen Kundenservice biete er ihr aber an, vorbeizukommen und die Karte abzuholen. B ist hocherfreut und übergibt später die Karte, wobei sie auch den PIN verrät. A begibt sich dann zum nächsten Kontoautomaten und hebt Geld ab.
Der BGHBGH NStZ 2017, 149 ebenso NStZ-RR 2022, 14; Altenhain JZ 1997, 758. hat hier das unbefugte Verwenden verneint, weil er meint, auch ein Bankmitarbeiter würde nur das überprüfen, was auch der Computer überprüft, nämlich ob Karte und PIN übereinstimmten. Der BGH stellt damit nicht auf einen die Interessen der Bank vollumfänglich wahrnehmenden Mitarbeiter, sondern auf einen „Computerähnlich agierenden“ Mitarbeiter ab. Stimmten also Karte und PIN überein, dann ginge dieser Mitarbeiter von einer Berechtigung aus und würde auszahlen. Da A aufgrund der freiwilligen Übergabe berechtigter Kartenbesitzer war, hat der BGH ein täuschungsäquivalentes Verwenden abgelehnt. Er hat zudem ausgeführt, dass das vorangegangene Verhalten einen Betrug gem. § 263 Abs. 1 verwirklicht habe, da in der Übergabe von PIN und Karte bereits eine konkrete schadensgleiche Vermögensgefährdung liege. Der Schaden könne der Höhe nach insofern entweder durch das Saldo des Kontos oder das Tageslimit bestimmt werden.
In der Literatur wurde dieser Auffassung entgegengehalten, dass es bei dieser Auslegung keine klare Abgrenzung mehr zur computerspezifischen Auslegung mehr gebe. Zudem sei zu beachten, dass bei einer Abhebung am Schalter der Bankmitarbeiter sich die Berechtigung durch eine Unterschrift bestätigen lassen würde und sich nicht mit dem Nennen der PIN begnügen würde. Auch überzeuge es nicht, dass bei einer vorausgegangenen Erpressung das nachfolgende Abheben ein unbefugtes Verwenden darstelle, bei einem vorausgegangenen Betrug aber nicht. Dieser Auffassung zufolge werde somit nicht nur konkludent erklärt, man sei berechtigter Kartenbesitzer, sondern auch, dass man zur Abhebung berechtigt sei, was tatsächlich nicht der Fall ist, so dass das Verwenden unbefugt sei. Der ggfs. mitverwirklichte Betrug träte dieser Auffassung zufolge als mitbestrafte Vortat zurück.Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT/2 Rn. 701; Rengier Strafrecht BT I § 14 Rn. 22.
Geschädigt wird in diesen und den vorangegangenen Fällen die Bank, da sie ohne entsprechende Autorisierung an den Nichtberechtigten ausgezahlt hat und die belastende Buchung rückgängig machen muss, § 675u BGB. Die ihr ggfs. zustehenden Ersatzansprüche gegenüber dem Kontoinhaber, z.B. bei grober Fahrlässigkeit, stellen keine Kompensation dar.BGH NStZ 2001, 316; 2008, 396. Da der Kontoinhaber die Belastung allerdings erst entdecken und die Rückbuchung veranlassen muss, kann man auch einen Gefährdungsschaden zu seinen Lasten begründen.Rengier Strafrecht BT I § 14 Rn. 30.