Inhaltsverzeichnis
- G. Körperverletzung mit Todesfolge, § 227
- I. Überblick
- II. Tatbestandliche Voraussetzungen
- 1. Kausalität und Fahrlässigkeit
- 2. Spezifischer Gefahrzusammenhang
- a) Anknüpfungspunkt
- b) Unterbrechung des spezifischen Gefahrzusammenhangs durch das Fluchtverhalten des Opfers
- c) Unterbrechung des spezifischen Gefahrzusammenhangs durch ein Eingreifen Dritter
- III. Teilnahme
- IV. Konkurrenzen
G. Körperverletzung mit Todesfolge, § 227
I. Überblick
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§ 227 ist wie § 226 Abs. 1 auch eine Erfolgsqualifikation zur einfachen Körperverletzung gem. § 223. Die Besonderheit bei Erfolgsqualifikationen bestehen darin, dass hinsichtlich der besonderen Folge gem. § 18 Fahrlässigkeit ausreicht.
Da der Strafrahmen der Körperverletzung mit Todesfolge hoch ist (3 bis 15 Jahre), enthält § 227 Abs. 2 eine Strafzumessungsvorschrift für minder schwere Fälle.
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Der Aufbau des § 227 sieht wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Körperverletzung mit Todesfolge, § 227
I. | Tatbestand |
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| 1. | Verwirklichung des Grunddelikts, § 223 |
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| a) | Objektiver Tatbestand |
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| b) | Subjektiver Tatbestand |
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| 2. | Schwere Folge |
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| a) | Eintritt der qualifizierenden Folge: Tod |
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| b) | Kausalität und Fahrlässigkeit |
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| c) | Spezifischer Gefahrzusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge |
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| Anknüpfungspunkt | Rn. 244 |
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| Unterlassen | Rn. 247 |
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| Unterbrechung durch Fluchtverhalten des Opfers | Rn. 248 |
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| Unterbrechung durch Exzesshandlung eines Mittäters | Rn. 243 |
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| d) | zumindest Fahrlässigkeit (§ 18) |
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II. | Rechtswidrigkeit |
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III. | Schuld |
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| subjektiver Fahrlässigkeitsvorwurf |
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II. Tatbestandliche Voraussetzungen
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Erforderlich ist zunächst der Eintritt der schweren Folge. Es ist in der Klausur alsdann zu prüfen, ob zwischen dem Grunddelikt der Körperverletzung und der Folge Kausalität vorliegt.
Darüber hinaus muss wegen des hohen Strafrahmens auch ein spezifischer Gefahrzusammenhang (oder auch Unmittelbarkeitsbeziehung) vorliegen, was bedeutet, dass sich die spezifische Gefährlichkeit des Grunddeliktes in typischer Weise in der schweren Folge niedergeschlagen haben muss (Gedanke der objektiven Zurechnung). Hier werden in der Klausur typischerweise die Probleme liegen.
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Expertentipp
Wiederholen Sie in diesem Zusammenhang das fahrlässige Delikt, insbesondere die Definition der Fahrlässigkeit sowie die objektive Zurechnung, dargestellt im Skript „Strafrecht AT I“.
Schließlich muss gem. § 18 „wenigstens Fahrlässigkeit“ gegeben sein. Die Fahrlässigkeit ist zunächst objektiv zu bestimmen. Wie bei den „normalen“ Fahrlässigkeitsdelikten auch, ist in der Schuld dann der subjektive Fahrlässigkeitsvorwurf zu prüfen.
1. Kausalität und Fahrlässigkeit
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Die Feststellung der Kausalität und Fahrlässigkeit werden Ihnen in der Regel keine Schwierigkeiten bereiten.
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Bei der Kausalität ist danach zu fragen, ob das Grunddelikt nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die konkrete Folge entfiele (conditio sine qua non).
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Die Fahrlässigkeit bestimmt sich nach der objektiven, im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Vorhersehbarkeit der Folge. Die Außerachtlassung der Sorgfalt liegt in der Regel in der Verwirklichung des Grunddelikts, so dass in der Klausur nur noch überprüft werden muss, ob bei Vornahme der vorsätzlichen Körperverletzungshandlung der Eintritt der Folge objektiv vorhersehbar war.
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Bei der subjektiven Sorgfaltspflichtwidrigkeit, die in der Schuld zu prüfen ist, ist festzustellen, dass der Täter aufgrund seiner individuellen Voraussetzungen in der Lage war, das Sorgfaltspflichtwidrige seiner Handlung und den vorhersehbaren Eintritt der Folge zu erkennen. Dies kann z.B. aufgrund einer erheblichen Alkoholisierung fraglich sein.BGH NStZ 2001, 478.
Beispiel
Im bereits dargestellten Salzpuddingfall (Rn. 175) hat der BGH die subjektive Sorgfaltspflichtwidrigkeit der Täterin verneint. Da sie nicht wusste, in welchem Umfang der Pudding versalzen war und zudem auch keine Kenntnisse über die Möglichkeit und die Folgen einer Dehydration hatte, war es ihr nicht möglich, den Eintritt der Folge vorherzusehen.
2. Spezifischer Gefahrzusammenhang
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Die Körperverletzung mit Todesfolge setzt sich aus zwei strafrechtlichen Vorwürfen zusammen: zum einen der vorsätzlichen Körperverletzung und zum anderen der fahrlässigen Verursachung des Todes. Beides könnte über § 223 und § 222 erfasst werden, mit der Folge, dass dem Tatrichter eine Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu maximal 5 Jahren zur Verfügung stünden. § 227 hingegen gibt dem Strafrichter einen Strafrahmen von 3 Jahren bis zu 15 Jahren (vgl. § 38 Abs. 2) an die Hand. Aufgrund dieses hohen Strafrahmens besteht Einigkeit darüber, dass § 227 restriktiv auszulegen ist, weswegen ein spezifischer Gefahrzusammenhang (auch Unmittelbarkeitszusammenhang genannt) zwischen dem Grunddelikt und der Folge bestehen muss. Dieser liegt vor, wenn sich die dem Grunddelikt anhaftende, spezifische Gefährlichkeit in typischer Weise in der Folge niedergeschlagen hat.
Hinweis
Sofern Sie – wie oben angeregt – die objektive Zurechnung wiederholt haben, werden Sie feststellen, dass der Gedanke des Unmittelbarkeitszusammenhangs vergleichbar ist mit jenem der objektiven Zurechnung. In beiden Fällen wird eine Wertung vorgenommen. Bei der objektiven Zurechnung wird danach gefragt, ob der Erfolg „das Werk des Täters“ ist, bei § 227 wird überprüft, ob die Folge „das Werk der Körperverletzung“ ist. Wie bei der objektiven Zurechnung auch, kann der Unmittelbarkeitszusammenhang unterbrochen sein durch z.B. atypische Kausalverläufe oder das Dazwischentreten eines Dritten. Praxis- und klausurrelevant ist vor allem das Dazwischentreten des flüchtenden Opfers.
a) Anknüpfungspunkt
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Bei der Körperverletzung mit Todesfolge ist der Anknüpfungspunkt für die Unmittelbarkeitsbeziehung umstritten.
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Nach der in der Literatur vertretenen Letalitätslehre muss sich die in dem vorsätzlich herbeigeführten Körperverletzungserfolg liegende Gefahr im Tod realisiert haben. Der Tod muss also auf der Art und Schwere der eingetretenen Körperverletzung beruhen.Lackner/Kühl § 227 Rn. 2; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben § 227 Rn. 5. Begründet wird dies vor allem mit der oben dargestellten, beachtlichen Strafandrohung (auch und gerade im Verhältnis zu § 222, der bereits die Gefährlichkeit der Handlung erfasst und den darauf basierenden Erfolg mit nur max. 5 Jahren bestraft) und dem sich daraus ergebenden Erfordernis einer engen Auslegung. Darüber hinaus wird auf den Wortlaut „verletzte Person“ abgestellt.Joecks/Jäger § 227 Rn. 8; Jäger Strafrecht BT Rn. 90.
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Die Rechtsprechung sowie Teile der Literatur vertreten hingegen, dass der Wortlaut diese Einschränkung nicht unbedingt stütze und verstehen hingegen unter der Körperverletzung im Sinne des § 227 nicht bloß den Erfolg, sondern darüber hinaus auch die Ausführungshandlung. Begründet wird dies auch damit, dass häufig bereits die vorsätzlich ausgeführte Handlung – wie z.B. bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 - eine tatbestandsspezifische Gefährlichkeit in sich bergen könne, die, ohne dass der Körperverletzungserfolg selbst gefährlich ist, die schwere Folge herbeiführt. Zudem wird auf den Klammerzusatz Bezug genommen, wonach die §§ 223 bis 226 als Grunddelikte mit eingeschlossen sind, demnach also auch deren Absätze 2, die den Versuch unter Strafe stellen, also eine Situation, bei welcher der tatbestandliche Erfolg ausgeblieben ist.BGHSt 14, 110; 31, 96; Sowada Jura 94, 643; Wolter, JuS 81, 168; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 263 sofern es sich um eine gefährliche Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 handelt, andernfalls soll auch nach dieser Auffassung an den Körperverletzungserfolg angeknüpft werden. Der Vorteil dieser Auffassung ist, dass damit auch der erfolgsqualifizierte Versuch des § 227 bestraft werden kann (mehr dazu unter Rn. 250).
Beispiel
A ergreift B im Rahmen einer Auseinandersetzung und schleudert ihn vehement und mit großer Aggression gegen eine Wand. B verliert daraufhin das Gleichgewicht und stürzt eine Steintreppe herunter, an deren Kopf die Auseinandersetzung stattgefunden hat. Unten bleibt er regungslos liegen, da er sich beim Sturz einen tödlichen Genickbruch zugezogen hat.
Hier könnte nur nach der Ansicht der Rechtsprechung und der ihr folgenden Literatur eine Körperverletzung mit Todesfolge vorliegen, da es ausreichen würde, dass die Verletzungshandlung lebensbedrohlich ist und der Tod unmittelbar auf dieser Handlung beruht, insbesondere also keine atypische Folge darstellt. Die Literatur, die eine Gefährlichkeit des Körperverletzungserfolges verlangt, käme zu einer Bestrafung gem. §§ 223, ggfs. 224, und 222, da der Körperverletzungserfolg, also die Prellungen, die B sich durch den Aufprall auf der Wand zuzog, keine tödliche Gefahr, insbesondere nicht die Gefahr des Genickbruchs beinhaltete.
Beispiel
A schlägt ohne Tötungsvorsatz mit einer entsicherten Pistole auf den B ein. Dabei löst sich ein Schuss, der B tödlich verletzt.
Der BGHBGHSt 14, 110. hat § 227 bejaht, da er auf die Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung (Schlagen mit einer entsicherten Pistole) abgestellt hat. Die Letalitätslehre würde wegen § 223 (ev. § 224 Abs. 1 Nr. 1) und gem. § 222 bestrafen.
Beispiel
Im obigen Salzpudding - Fall (Rn. 175) kommen beide Auffassungen zu demselben Ergebnis, da der vorsätzlich herbeigeführte Körperverletzungserfolg in der Aufnahme der Salzmenge und der dadurch ausgelösten Übelkeit und dem Erbrechen liegt. Dieses Risiko hat sich in der Dehydration realisiert.
Expertentipp
Sofern in der Klausur beide Auffassungen zu demselben Ergebnis gelangen, reicht ein Hinweis auf die Letalitätslehre. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen ist nicht erforderlich. Auswirkungen hat der Meinungsstreit aber auch auf die Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs. Dazu mehr unter Rn. 250.
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Die Körperverletzung als Grunddelikt kann bei entsprechender Garantenstellung auch durch Unterlassen begangen werden. Demzufolge kommt auch eine Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen gem. §§ 223, 227, 13 in Betracht.
Eine solche liegt ohne weiteres jedenfalls dann vor, wenn der Garant durch das Unterlassen unmittelbar den zum Tode führenden Zustand verursacht, indem er es z.B. unterlässt, ein Kleinkind zureichend zu versorgen, so dass es atrophiert und später stirbt.BGH NStZ 1995, 589 Eine Strafbarkeit kann aber auch dann in Betracht kommen, wenn der Garant es unterlässt, den tödlichen Folgen des vom Opfer selbst geschaffenen Zustands entgegenzuwirken. Dazu folgendes:
Beispiel
A trifft in einem Club auf eine bereits alkoholisierte, aber feierfreudige Gruppe, zu der auch der O gehört und lädt alle zu sich nach Hause ein. Dort konsumiert er auf der Toilette GBL, welches er mittels einer Spritze aus einer PET Flasche entnimmt. Die Flasche stellt er später im Wohnzimmer ab und äußert gegenüber einigen Anwesenden, dass die Flasche GBL enthalte, welches nur in kleinen Konsumeinheiten eingenommen werden dürfte. Von ihm unbemerkt trinkt O aus der Flasche eine nicht näher bekannte aber viel zu hohe Menge, wobei er davon ausgeht, dass es sich um eine ungefährliche, weil verdünnte Dosierung handele. GBL bewirkt in einer zu hohen Dosierung im Laufe der Zeit eine Atemdepression und in Folge eine Unterversorgung des Gehirns. Nach kurzer Zeit wird O müde und legt sich im Schlafzimmer auf das Bett. A schaut immer mal wieder nach O hat dabei aber nicht den Eindruck, O befinde sich in Lebensgefahr. Erst der später ins Schlafzimmer gehende Zeuge Z erkennt den lebensgefährlichen Zustand des O und alarmiert den Notarzt. O verstirbt 4 Tage später an den Folgend es Konsums. („GBL – Fall 2“)
Der BGHBGH NJW 2017, 418 hat hier zunächst eine Körperverletzung durch Unterlassen bejaht, indem er die Verschlechterung des durch das GBL hervorgerufenen Zustands als Gesundheitsschädigung angesehen hat. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung kam hier anders als im „GBL – Fall 1“ (Rn. 112) nicht in Betracht, da das Opfer alkoholisiert war und zudem keine Kenntnis davon hatte, dass sich in der PET Flasche unverdünntes GBL befand. Die Garantenstellung hat er erneut aus dem In-Verkehr-Bringen eines gefahrträchtigen Produkts gesehen. Anknüpfend an dieses Unterlassen hat er dann auch die Voraussetzungen des § 227 bejaht.
Problematisch sind die Fälle, in welchen ein Garant neben einem aktiv handelnden Täter durch sein Unterlassen mitursächlich wird für den Eintritt der schweren Folge. Hier müssen Sie in einer Klausur zunächst die grundlegende Frage klären, ob es überhaupt einen Unterlassungstäter neben einem aktiv handelnden Täter geben kann. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur streitig. Insoweit verweisen wir auf die Ausführungen im Skript Strafrecht AT II.
Hinweis
Nutzen Sie die Gelegenheit und befassen Sie sich erneut mit dieser Problematik. Näheres dazu finden Sie im Skript Strafrecht AT II Rn. 62.
Nach h.M. erfolgt die Abgrenzung unabhängig von der Art der Garantenstellung nach den Kriterien der Tatherrschaft. Sofern man zu dem Ergebnis kommt, dass der Garant Tatherrschaft innehat, kommt auch hier eine Strafbarkeit gem. §§ 223, 227, 13 in Betracht. Etwas verwirrend erscheint die BGH-Rechtsprechung zu diesem Thema insbesondere zu den Voraussetzungen des (Körperverletzungs-) Vorsatzes des unterlassenden Garanten. Dazu folgendes
Beispiel
Der Ehemann E der A entwickelt bald nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine heftige Eifersucht gegen das Kind und ist gleichzeitig mit der Versorgung des Säuglings überfordert. Aus Eifersucht, Frustration und Wut heraus beginnt er damit, den Säugling körperlich zu misshandeln. Als es ihm in der Nacht nicht gelingt, den schreienden Säugling zu beruhigen, beschließt er, ihn zu töten und misshandelt ihn im Laufe von 3 Stunden wiederholt. Obwohl A das laute Geschrei des Kindes hört und erkennt, dass E dieses „quält“, gibt sie sich schlafend und greift nicht ein, um ihrem Mann zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dabei nimmt sie billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt erhebliche Schmerzen zufügt. E sieht sich durch das Nichteingreifen in seinem Entschluss bestärkt und tötet alsdann das Kind.
Hatte der BGHBGH NJW 1995, 2045 in einem ähnlich gelagerten Fall zuvor noch ausgeführt, dass der Vorsatz des Garanten in Fällen dieser Art auf eine Körperverletzung gerichtet sein müsse, die nach Art, Ausmaß und Schwere den Tod des Opfers befürchten lasse, so hat er es im obigen Beispiel genügen lassen, dass sich der Vorsatz des Garanten bei einer Unterlassungstat nach § 227 StGB nur auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen muss und im Übrigen die tödliche Folge nur vorhersehbar sein muss.BGH NStZ 2017, 410
Hinweis
Damit nähert sich der BGH in dieser besonderen Konstellation, in welcher ein Unterlassenstäter neben einem aktiv handelnden Täter den Erfolg (mit-) herbeiführt, einer in der Literatur vertretenen Auffassung an, wonach nur dann an die Handlung angeknüpft werden dürfe, wenn diese eine gefährliche gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 sei und sich dementsprechend der Vorsatz des Täters auf die Begehung einer das Leben abstrakt gefährdenden Handlung bezöge.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 273 Interessanterweise verlangt der BGH aber beim aktiv handelnden Täter keinen entsprechenden Vorsatz. Hier reicht es aus, wenn der Täter einen beliebigen Körperverletzungsvorsatz hat.Zur Problemdarstellung m.w.N.: Engländer NStZ 2018, 135
b) Unterbrechung des spezifischen Gefahrzusammenhangs durch das Fluchtverhalten des Opfers
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Denkbar ist, dass die Folge erst dadurch eintritt, dass das Opfer aus Furcht vor der nur versuchten oder vor weiteren Körperverletzungen die Flucht ergreift und dabei zu Tode kommt. Es muss dann im Einzelfall entscheiden werden, ob es sich bei der Flucht um eine vorhersehbare Reaktion des Opfers handelt, die ihre Ursache in der spezifischen Gefährlichkeit des Grunddelikts hat.
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Grundsätzlich entspringen Fluchtreaktionen, Ausweichbewegungen und Abwehrmaßnahmen bei Körperverletzungen dem elementaren Selbsterhaltungstrieb des Menschen. In der Regel agiert ein durch den Angriff des Täters eingeschüchtertes Opfer unfrei, so dass sein Verhalten, sofern es nachvollziehbar ist, keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung darstellt und dem Täter zuzurechnen ist.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 266; Rengier Jura 86, 143; BGH NJW 1992, 1708; BGH NStZ 2008, 278
Diese Zurechnung ist allerdings nur dann möglich, wenn man mit dem BGH und Teilen der Literatur als Anknüpfungspunkt der Zurechnung die Handlung ausreichen lässt.
Beispiel
B hat bereits mehrere Schläge mit dem Baseballschläger eingesteckt. Als A zu einem weiteren Schlag ausholt, läuft B auf die hinter ihm liegende, stark befahrene Straße und wird dort von einem vorbeifahrenden Auto überfahren. Er stirbt an den Folgen des Unfalls. Die Schläge mit dem Baseballschläger haben lediglich einige Knochenbrüche verursacht.
Hier könnte sich A wegen § 227 strafbar gemacht haben. Die vorsätzliche Körperverletzung liegt in dem Schlagen mit dem Baseballschläger. Dieses Schlagen war auch kausal für den eingetretenen Tod, da B nicht auf die Straße gelaufen wäre, wenn A nicht auf ihn eingeschlagen hätte. Problematisch ist jedoch der Unmittelbarkeitszusammenhang. Fraglich ist, ob sich die der Körperverletzung innewohnende Gefahr in der Folge niedergeschlagen hat. Verlangt man als Anknüpfungspunkt den Körperverletzungserfolg, so ist schon aus diesem Grund der Unmittelbarkeitszusammenhang zu verneinen, da der Erfolg in den Knochenbrüchen lag. Diese bargen jedoch nicht das Risiko des Todes durch Überfahren. Stellt man hingegen auf die Körperverletzungshandlung ab, so stellt sich die Frage, ob diese denn das tatsächlich eingetretene Risiko in sich barg. Der Unmittelbarkeitszusammenhang könnte aufgrund eines eigenverantwortlichen Dazwischentretens des A unterbrochen sein. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Flucht ein elementarer Selbsterhaltungstrieb ist und dass B erheblichen Gefahren aufgrund des Baseballschlägers ausgesetzt war, die Grund zu der Annahme geben, dass er in Panik auf die Straße gelaufen ist. Aufgrund dessen kann nicht von einer Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung gesprochen werden. Da A auch fahrlässig gehandelt hat, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 227 gegeben.
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Denkbar ist ferner, dass das Opfer schon durch die versuchte Körperverletzung derart in Panik versetzt wird, dass es bei dem Bestreben, dem Angriff zu entgehen, zu Tode kommt. Es handelt sich dann um den erfolgsqualifizierten Versuch. Das Grunddelikt ist also im Versuch stecken geblieben, die schwere Folge ist aber eingetreten.
Der erfolgsqualifizierte Versuch ist dabei vom Versuch der Erfolgsqualifikation zu unterscheiden.
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Eine Versuch der Erfolgsqualifikation liegt vor, wenn der Täter bei Verwirklichung des Grunddelikts die schwere Folge zumindest billigend in Kauf nimmt, so z.B. wenn der Täter einer Körperverletzung billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer in Folge des Schlages das Sehvermögen verliert, diese Folge allerdings ausbleibt, wobei der Erfolg des Grunddelikts eintreten oder ebenfalls ausbleiben kann. Dieser Versuch ist möglich, da § 18 nur davon spricht, dass die Folge „wenigstens“ fahrlässig herbeigeführt worden sein muss. Daraus folgt, dass der Täter diesbezüglich auch mit dolus eventualis handeln kann.
Expertentipp
Nimmt der Täter bei § 227 den tatsächlich ausbleibenden Tod mit dolus eventualis in Kauf, dann liegt versuchter Totschlag vor, den der versuchte § 227 verdrängt, so dass eine Prüfung überflüssig ist. Bei § 226 Abs. 1 hingegen kann der Versuch der Erfolgsqualifikation relevant werden. In einem solchen Fall müssen Sie im Tatentschluss feststellen, dass dieser auf die Verwirklichung der Nrn. 1–3 gerichtet war. Sofern der Täter dolus directus 1. oder 2. Grades hatte, liegt kein Versuch der Erfolgsqualifikation gem. Abs. 1, sondern ein Versuch der Qualifikation gem. Abs. 2 vor!
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Die Vertreter der Letalitätslehre müssen eine Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs ablehnen.Lackner/Kühl § 227 Rn. 2; Joecks/Jäger § 227 Rn. 15. Die andere Auffassung knüpft an die Handlung an und fragt danach, ob sich deren spezifische Gefährlichkeit in der Folge realisiert hat. Der erfolgsqualifizierte Versuch ist hiernach mithin möglich.
Beispiel
Der von mehreren gewalttätigen Skinheads verfolgte A tritt in Todesangst mit dem Fuß eine Glasscheibe ein, um sich vor seinen Peinigern, die ihn zusammenschlagen wollen, in Sicherheit zu bringen. Bei diesem Versuch sowie bei dem nachfolgenden Durchsteigen der Türe schlitzt sich A die Hauptschlagader am Fuß auf und verblutet („Gubenfall“).
Die Vertreter der Letalitätstheorie müssten eine Strafbarkeit gem. §§ 223, 22, 23, 227 ablehnen, da ein vorsätzlich herbeigeführter Körperverletzungserfolg, dessen Gefahr sich hätte realisieren können, nicht eingetreten ist. Der BGHBGH Urteil vom 9.10.2002 Az 5 STR 42/02 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. hat sich mit der Versuchsstrafbarkeit auseinandergesetzt, da ihm als Anknüpfungspunkt die Handlung und damit auch das unmittelbare Ansetzen ausreicht, musste sich dann aber fragen, ob sich das durch das unmittelbare Ansetzen zur Körperverletzung geschaffene Risiko verwirklicht hat, da die Verletzung eingetreten ist, als das Opfer durch die Glasscheibe trat. In Anbetracht des aggressiven Angriffs mehrerer Beteiligter und der dadurch ausgelösten Todesangst hat der BGH aber eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers abgelehnt. In der Verfolgung des Opfers und der versuchten Körperverletzung lag mithin das Risiko, dass das Opfer beim Fluchtversuch ums Leben kommt.
c) Unterbrechung des spezifischen Gefahrzusammenhangs durch ein Eingreifen Dritter
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Denkbar ist, dass der Tod erst durch das Verhalten eines Dritten herbeigeführt wird. Häufig begegnen Ihnen hier Konstellationen, in denen Mittäter gemeinsam eine Körperverletzung begehen, bei der dann einer der Mittäter entgegen dem Tatplan eine Handlung ausführt, die zum Tod des Opfers führt (Mittäter - Exzess). Erneut geht es die Frage, inwieweit der Körperverletzungshandlung (!) das Risiko anhaftet, dass einer der Beteiligten über das vereinbarte Ziel hinausschließt und das Opfer tötet.
Nach Auffassung des BGHBGH NStZ 2021, 735 ist immer dann ein Zurechnung möglich, wenn
das Opfer durch die Körperverletzung in eine Lage gerät, in der es den nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert ist oder
dem gemeinschaftlich begangenen Angriff nach den tatsächlichen konkreten Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnt.
Beispiel
A, B und C, allesamt der rechtsradikalen Szene angehörend, schlagen und treten gemeinsam auf den unterlegenen X ein. Im Zuge der intensiver werdenden Misshandlungen springt A aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses auf den Kopf des X, der gerade gezwungen worden war, in die Kante eines Schweinetrogs zu beißen. Mit diesem Sprung haben B und C nicht gerechnet („Schweinetrogfall“).
A hat sich wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen gem. § 211 strafbar gemacht. B und C haben sich zunächst, mangels Tötungsvorsatzes, nicht des mittäterschaftlich begangenen Mordes sondern der gemeinschaftlich begangenen, schweren Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 strafbar gemacht. Darüber hinaus hat der BGHBGH NStZ 2005, 93; anders BGH NStZ 2021, 735 beide wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 227, 25 Abs. 2 verurteilt. Der gefährlichen Körperverletzungshandlung haftet nach Auffassung des BGH im konkreten Fall die Gefahr der Eskalation an. Genau diese Gefahr hat sich in dem vorsätzlichen Sprung des A auch realisiert. Aus diesem Grund kommt auch kein, den Unmittelbarkeitszusammenhang unterbrechendes Dazwischentreten des A in Betracht, da A nicht „dazwischen“ getreten ist, sondern, veranlasst durch B und C, die Gefahr weiterentwickelt hat.
Expertentipp
Bei der Prüfung des § 227 müssen Sie mithin 2 Fragen nacheinander klären:
1. Was ist der Anknüpfungspunkt für den Zurechnungszusammenhang - Handlung oder Erfolg? Folgen Sie der Letalitätslehre, haben sich einige der zuvor genannten Probleme schnell erledigt. Folgen Sie hingegen dem BGH und anderen Literaturvertretern, dann stellt sich Frage
2. Wird der Zurechnungszusammenhang durchbrochen durch die Handlung des Opfers oder eines Dritten? Bei diesem Punkt geht es um eine Bewertung des Risikos der Körperverletzungshandlung und damit um eine lebensnahe, am Sachverhalt orientierte Argumentation. Wie immer ist hier mit guten Begründungen vieles vertretbar.
III. Teilnahme
254
Sind an der Körperverletzung mit Todesfolge mehrere beteiligt, so ist gem. § 29 für jeden Beteiligten separat zu prüfen, ob ihm hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt. Auch bei der Anstiftung/Beihilfe muss mithin zum Zeitpunkt der Erbringung des Teilnehmerbeitrages der Eintritt der schweren Folge für den Teilnehmer vorhersehbar sein.
Beispiel
Nehmen Sie an, dass im obigen Baseballschlägerfall (Rn. 249) A von seiner Freundin F angestiftet wurde, den B mit einem Baseballschläger gehörig zu verprügeln.
In der Klausur müsste nun geprüft werden, ob F sich wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben kann. Die vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat ist § 227, der gem. § 11 Abs. 2 als Vorsatztat anzusehen ist. Zu dieser Tat hat F den A bestimmt. Bezüglich des Grunddelikts der §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 1 hatte F auch Vorsatz. Hinsichtlich der Folge braucht sie keinen Vorsatz zu haben, da andernfalls die Anforderungen an ihre Strafbarkeit höher wären als jene an den Haupttäter, bei dem Fahrlässigkeit ausreicht. Im subjektiven Tatbestand müssen Sie also differenzieren: Fraglich ist nämlich, ob Sie hinsichtlich der Folge fahrlässig gehandelt hat, als sie A anstiftete. In der Anstiftung liegt unproblematisch ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ob es für einen Dritten jedoch objektiv vorhersehbar war, dass B aus Furcht vor weiteren Schlägen auf die viel befahrene Straße läuft, dort vom Auto erfasst wird und verstirbt, hängt davon ab, ob der Tatort und die Umstände der Tat zum Zeitpunkt der Anstiftung feststanden. Ist dies zu bejahen, so liegt eine Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge vor.
IV. Konkurrenzen
255
§ 227 verdrängt den § 222 und die §§ 223, 224 und 226 im Wege der Gesetzeskonkurrenz. § 227 wird verdrängt von den §§ 211, 212.
Hat der Täter zunächst mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt und dann mit Tötungsvorsatz und lässt sich nicht mehr feststellen, ob der Tod die Folge der Körperverletzungs- oder der Tötungshandlung ist, kommt ausnahmsweise Tateinheit in Betracht.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 339.
Expertentipp
In der Klausur sollten Sie zunächst mit den Tötungsdelikten beginnen, sofern es Anhaltspunkte für einen dolus eventualis gibt. Sofern Sie den Vorsatz verneint haben, prüfen Sie nicht im Anschluss § 222, sondern beginnen mit der Prüfung der Körperverletzungsdelikte, die in § 227 mündet. Ist § 227 einschlägig, muss § 222 nicht mehr geprüft werden.