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E. Schuld
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Ebenso wie bei den Fahrlässigkeitsdelikten wird auch bei den unechten Unterlassungsdelikten die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als besonderer Entschuldigungsgrund angesehen.BGH NStZ 1984, 164; JR 1994, 510. Nach herrschender Meinung ist die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in der Schuld und nicht schon im Tatbestand, wie bei dem echten Unterlassungsdelikt des § 323c zu prüfen.BGHSt 6, 46; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1218.
Danach kann im Einzelfall von einem Schuldvorwurf abgesehen werden, wenn
• | der Täter eigene Interessen preisgeben muss und |
• | ihm diese Preisgabe nicht zuzumuten ist. BGH NStZ 1994, 29; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1040. |
Ob dem Täter ein normgerechtes Verhalten zugemutet werden kann oder nicht, hängt nicht nur von der bei ihm vorliegenden Interessenlage sondern vor allem auch von der Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung ab. Je schwerwiegender die Gefahr ist, desto mehr eigene Interessen hat der Täter preiszugeben.
Beispiel
Ehemann E kann sein cholerisches Temperament nicht zügeln, so dass es regelmäßig zu schweren Misshandlungen der Töchter kommt. Seine Frau F unterlässt es, ihn durch eine Anzeige davon abzuhalten, weil sie glaubt, auf A als Verdiener des Familieneinkommens nicht verzichten zu können.
Hier kommt eine von F begangene Körperverletzung durch Unterlassen in Betracht. Das normgemäße Verhalten war ihr in Anbetracht der schweren Misshandlungen der Töchter zumutbar.BGH NStZ 1984, 164.
Expertentipp
In der Klausur müssen Sie mithin eine Abwägung vornehmen, so dass im Ergebnis vieles vertretbar ist. Achten Sie darauf, dass Sie lebensnah und nachvollziehbar argumentieren.