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Strafrecht Allgemeiner Teil 1 - ee) Die hypothetische Einwilligung

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Strafrecht Allgemeiner Teil 1

ee) Die hypothetische Einwilligung

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Bei ärztlichen Heileingriffen muss der Patient über Art, Umfang, Gefahren, Folgen und Ziele der Operation oder sonstigen medizinischen Maßnahme aufgeklärt worden sein, damit die Einwilligung wirksam ist.BGHSt 12, 379.

Beispiel

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Schönheitschirurg A, der sich erst kürzlich niedergelassen hat, überredet die 18-jährige Schülerin S dazu, sich das überflüssige Fett an den Hüften absaugen zu lassen, ohne sie dabei über die möglichen Risiken einer Infektion aufzuklären. Tatsächlich entzündet sich danach das Gewebe, so dass eine weitere Operation notwendig wird.

Eine wirksame Einwilligung liegt hier nicht vor. S ist mit ihren 18 Jahren zunächst einwilligungsfähig. Die Einwilligung leidet jedoch an wesentlichen Willensmängeln, da S nicht vollumfänglich über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt ist und mithin nicht in Kenntnis sämtlicher Umstände gehandelt hat. Die Einwilligung könnte von daher aufgrund eines Irrtums unwirksam sein.

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Eine Besonderheit bei Aufklärungsmängeln im Zusammenhang mit ärztlichen Heileingriffen stellt die vom BGH entwickelte Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung dar, die nicht mit der mutmaßlichen Einwilligung verwechselt werden sollte. Bei der hypothetischen Einwilligung handelt es sich um eine im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht entwickelte Rechtsfigur, mit der Aufklärungsmängel „geheilt“ werden können. Danach sollen Aufklärungsmängel im Rahmen der Einwilligung dann unbeachtlich sein, wenn der Patient auch bei einer den Anforderungen genügenden Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.BGH NStZ 1996, 34; StV 2004, 376; NStZ 2012, 205; vgl. dazu auch den Fall bei Jäger Strafrecht AT Rn. 146c. Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung wenden der BGH und einige Literaturvertreter diese Rechtsfigur auch im Strafrecht an.BGH NStZ 1996, 34; StV 2004, 376; NStZ 2012, 205; Kühl Strafrecht AT § ;9 Rn. 47a.

Hinweis

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Beachten Sie, dass in § 630h Abs 2 S. 2 BGB folgendes geregelt ist: „Genügt die Aufklärung nicht den Anforderungen des § 630e, kann der Behandelnde sich darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.“ Berücksichtigt man das bereits genannte Prinzip der „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“, dann hat man ein weiteres Argument zugunsten der hypothetischen Einwilligung.

Beispiel

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Im obigen Beispiel wäre also zu klären, ob S ihre Einwilligung auch erteilt hätte, wenn sie um das Risiko der Infektion gewusst hätte. Wird dies bejaht, ist die Einwilligung, die sie erteilt hat, wirksam und eine Strafbarkeit des Arztes gem. § 223 scheidet aus.

In einem vergleichbaren Fall starb der Patient während einer Fettabsaugung, weil der Arzt die Verabreichung der Narkotika und das Patienten-Monitoring ohne Unterstützung durch einen Anästhesisten selber durchgeführt hatte, über diesen Umstand den Patienten aber nicht aufgeklärt hatte.BGH NStZ-RR 2007, 340. Da der Patient verstorben war, musste die hypothetische Einwilligung anhand objektiver Umstände ermittelt werden (wie Sie sehen, gibt es hier eine deutliche Parallele zur mutmaßlichen Einwilligung!). Der BGH hat deutlich gemacht, dass sich die Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff nur auf eine lege artis durchgeführte Behandlung beziehen könne, der durchgeführte Eingriff diese Anforderungen aber nicht erfülle. Da es sich zudem nicht um eine lebensrettende, eilbedürfte Operation gehandelt hat, wurde die hypothetische Einwilligung verneint.  

Eine solche „ex post“ Klärung birgt vom psychologischen Ansatz her Probleme, da man hypothetisch nach erfolgter Operation kaum wird klären können, ob man zuvor eingewilligt hätte. Diese Entscheidung wird maßgeblich vom Erfolg der bereits durchgeführten Operation abhängen. Zudem wird mit der hypothetischen Einwilligung die Sperrwirkung der tatsächlichen Einwilligung gegenüber der mutmaßlichen Einwilligung unterlaufen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten geschwächt. Aus diesem Grund wird dieses Rechtsinstitut in der Literatur zum großen Teil abgelehnt.Putzke Rechtspfleger Studienhefte 2012, 65; Sowada NStZ 2012, 1 mit einer ausführlichen Darstellung der Problematik und weiteren Nachweisen; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 599 m.w.N.

Hinweis

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Liegen die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung nicht vor, glaubt aber der Arzt irrig während des Eingriffs, der Patient hätte auch bei Kenntnis sämtlicher Umstände eingewilligt, dann befindet sich der Arzt in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, der nach h.M. über § 16 Abs. 1 analog gelöst wird.

Weiß der Arzt hingegen, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, der Patient mithin nicht eingewilligt hätte, er den Eingriff aber trotzdem aufgrund der Zweckmäßigkeit durchführen dürfe, handelt es sich um einen Erlaubnisirrtum, der über § 17 zu lösen ist.BGH NStZ 2012, 205.

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