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Wesentlicher Teil der Parlamentsautonomie ist Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG, wonach sich der Bundestag eine Geschäftsordnung gibt. Aufgrund der Geschäftsordnungs-Autonomie hat der Bundestag das Recht, seine Organisation und das Verfahren selbst festzulegen. Die Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) enthält verbindliche Rechtsnormen mit Innenwirkung, die die Beziehungen der Abgeordneten untereinander und das Verhältnis des Bundestages zu den anderen Verfassungsorganen ausgestalten. Nach h.M.BVerfGE 1, 144, 148 f. kommt der GOBT die Rechtsnatur einer autonomen Satzung zu, nach a.A. handelt es sich um eine Rechtsvorschrift „sui generis“Vgl. N. Achterberg/M. Schulte in v. Mangold, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Das Bonner Grundgesetz, Art. 40 Rn. 33 ff. Jedenfalls kommt ihr grundsätzlich parlamentsinterne Geltungskraft zu. Entsprechend dem Grundsatz der Diskontinuität gilt sie nur für die jeweilige Wahlperiode und muss bei der Neukonstituierung jedes Bundestags von diesem wieder übernommen werden.
Die GOBT dient der Herstellung und Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments. In diesem verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rahmen kann die GOBT auch Abgeordnetenrechte einschränken bzw. dazu ermächtigen (z.B. Begrenzung der Redezeit, disziplinarische Maßnahmen gegen Abgeordnete bei Verletzung der Ordnung, Einräumung bestimmter parlamentarischer Rechte nur für Fraktionen). Die Verletzung von Statusrechten aus der GOBT kann von Bundestagsmitgliedern gegenüber dem Bundestag im Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden.
Hinweis
Im Gesetzgebungsverfahren führt allein der Verstoß gegen Bestimmungen der GOBT nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Anders liegt es, wenn die GOBT lediglich einen bestehenden Verfassungssatz konkretisiert und in dem Geschäftsordnungsverstoß zugleich ein Verfassungsverstoß liegt.
Beispiel
In § 19 S. 1 GOBT ist normiert, dass die Sitzungen des Bundestages öffentlich sind. Die Regelung ist nur deklaratorischer Art, da sich die Sitzungsöffentlichkeit bereits aus dem Grundgesetz (Art. 42 Abs. 1 S. 1) ergibt. Wird ein Gesetz entgegen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG beschlossen, so ist es deshalb verfassungswidrig und nicht wegen des gleichzeitigen Verstoßes gegen die GOBT.
Beispiel
Nach § 76 Abs. 1 GOBT müssen Gesetzentwürfe, die von Mitgliedern des Bundestages erstellt werden, von einer Fraktion oder von mindestens 5 % der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet sein. Das Grundgesetz enthält in Art. 76 Abs. 1 kein solches formales Erfordernis für Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages. Kommt deshalb ein Gesetz unter Verstoß gegen § 76 Abs. 1 GOBT zustande, so ist es lediglich geschäftsordnungswidrig, aber nicht verfassungswidrig. Sofern das Gesetz auch im Übrigen verfassungsgemäß sein sollte, ist es wirksam zustande gekommen und rechtsverbindlich.