Inhaltsverzeichnis
IV. Der Kostenerstattungsanspruch aus § 439 Abs. 2
Prüfungsschema
Wie prüft man: Anspruch aus § 439 Abs. 2
I. | Anspruchsentstehung |
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| 1. | Nacherfülllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 entstanden (siehe oben vor Rn. 205) |
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| 2. | Umfang der Kostenerstattung |
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| Kostenerstattung bei Selbstvornahme | Rn. 260 |
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| Sachverständigenkosten | Rn. 262 |
II. | Rechtsvernichtende Einwendungen |
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| 1. | Ausschluss der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 4 oder § 275 |
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| 2. | Sonstige allgemeine Einwendungen |
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III. | Durchsetzbarkeit |
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| 1. | Fälligkeit |
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| 2. | Einreden |
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1. Eigene Anspruchsgrundlage
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Nach § 439 Abs. 2 muss der Verkäufer sämtliche „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen“ Kosten tragen.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine klarstellende Kostenzuweisung, sondern um eine eigene Anspruchsgrundlage, die parallel zum Nacherfüllungsanspruch entsteht und diesen voraussetzt.BGH Urteil vom 30.4.2014 (Az: VIII ZR 275/13) = NJW 2014, 2351 ff; Urteil vom 13.4.2011 (Az: VIII ZR 220/10) unter Tz. 23 ff., 37, 44 = NGHZ 189, 196 ff. = NJW 2011, 2278 ff. Dessen Voraussetzungen sind somit vorab zu prüfen (siehe Rn. 205 ff.).
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Der Erstattungsanspruch kann außerhalb des Verbrauchsgüterkaufes (§ 476 Abs. 1!) vertraglich ausgeschlossen werden, allerdings nicht durch AGB (vgl. § 309 Nr. 8 b cc).
2. Umfang
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Der Erstattungsanspruch aus § 439 Abs. 2 soll die Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung für den Käufer gewährleisten, will aber an den Rechten und Pflichten der Parteien, insbesondere dem Recht zur zweiten Andienung nichts ändern.
BGH Urteil vom 30.4.2014 (Az: VIII ZR 275/13) = NJW 2014, 2351 ff.; Lorenz NJW 2014, 2319, 2321.260
Die Kostentragung bezieht sich daher auf Aufwendungen des Käufers, allerdings nur soweit sie zum Zwecke der Nacherfüllung durch den Verkäufer erforderlich waren. Bei systematischer Betrachtung erfasst § 439 Abs. 2 nicht diejenigen Positionen welche von Abs. 1 schon erfasst sind.
Der Erstattungsanspruch aus § 439 Abs. 2 besteht aufgrund der gesetzlichen Systematik nämlich nur, wenn dadurch das Recht der zweiten Andienung des Verkäufers gewahrt bleibt. Denn § 439 Abs. 2 berechtigt den Käufer nicht zu einer Kostenerstattung in denjenigen „Selbstvornahmefällen“, in denen der Käufer dem Verkäufer keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gewährt hat, obwohl dies erforderlich war und ein Schadensanspruch statt der Leistung deswegen mangels Fristsetzung ausgeschlossen ist.BGH NJW 2008, 2837; Grüneberg-Weidenkaff § 439 Rn. 13. Solche Selbstvornahmekosten sind nicht „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlich“ i.S.d. § 439 Abs. 2.
Lässt der Käufer einen Mangel selber beseitigen, richtet sich die Kostenerstattung nach h.M. ausschließlich nach den kaufrechtlichen Schadensersatzansprüchen.BGHZ 162, 219; Grüneberg-Weidenkaff § 437 Rn. 57 f; siehe dazu auch Übungsfall Nr. 3 Rn. 359 f. Dabei kommt regelmäßig nur ein Anspruch wegen Schadensersatzes statt der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 in Betracht. Die Fristsetzung kann nach §§ 440, 281 Abs. 2 oder § 475d entbehrlich sein (siehe Rn 231).
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Lässt der Käufer auf seine Kosten in der Werkstatt seines Verkäufers einen Defekt am Kaufgegenstand beheben, so z.B., da die Parteien einen Reparaturvertrag abgeschlossen haben, und stellt sich hinterher heraus, dass ein Mangel bei Gefahrübergang vorlag, kann der Käufer Kostenerstattung (Herausgabe oder Wertersatz) aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 verlangenBGH NJW 2009, 580; der BGH hat in dieser Entscheidung auch klargestellt, dass § 476 auch im Rahmen des § 812 Anwendung findet, also nicht nur auf eine Anwendung im Rahmen der sich aus § 437 ergebenden Ansprüche beschränkt ist. Zwar besteht für die Zahlung eine Vereinbarung im Rahmen des Reparaturvertrages.Dies kann ein Werkvertrag sein oder ein Garantievertrag mit Selbstbeteiligung des Käufers. Diese stellt jedoch keinen Grund zum Behaltendürfen (Rechtsgrund) dar. Diese Wertung lässt sich zum einen § 242 entnehmen, im Verbrauchsgüterkauf kann ergänzend auf § 476 Abs. 1 S. 1 und S. 2 (ggf. analog) abgestellt werden. Die Lösung kann hier auch über eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 erfolgen: Wenn die Parteien bei Vertragsschluss nicht von einem gewährleistungspflichtigen Mangel ausgingen, haben sie diesen Fall auch nicht zum Gegenstand ihrer Vereinbarung gemacht. Dann ist davon auszugehen, dass es ihrem mutmaßlichen Willen entspricht, die Zahlungsverpflichtung nicht auf den Fall der Reparatur gewährleistungspflichtiger Mängel zu erstrecken. Die Zahlungsvereinbarung bildet deshalb keinen Rechtsgrund für eine Zahlung des Käufers, der irrigerweise von einer „normalen“ Reparatur ausgeht.
Ergänzend kann in der Klausur auf die Störung der subjektiven Geschäftsgrundlage abgestellt werden. Im Rahmen der Rechtsfolge (Rückgewährschuldverhältnis) wäre bzgl. der Wertersatzpflicht des Verkäufers die dolo agit Einrede zu bemühen. In der Literatur wird dieser Fall vereinzelt über § 439 Abs. 2 (analog) gelöst. Kritisch hieran ist jedoch, ob Abs. 2 die Kosten der Nacherfüllung aus Abs. 1 überhaupt umfasst (s.o. Rn. 260).
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Nach Auffassung des BGH kann der Käufer nach § 439 Abs. 2 auch die Kosten eines zur Feststellung der Mangelursache erforderlichen Sachverständigengutachtens verlangen, wenn tatsächlich ein Mangel bestand.BGH NJW 2014, 2351 ff. Das Gutachten soll die Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruches ermöglichen. Die damit verbundenen Kosten werden daher im Wortsinne ebenfalls „zum Zweck der Nacherfüllung“ aufgewendet. Die Kosten sind nur dann ersatzfähig, wenn sie im Stadium der Nacherfüllung entstanden sindBGH NJW 2014, 2351 ff. und dem Verkäufer die Mängel angezeigt wurden. Andernfalls dürften sie nicht als „erforderlich angesehen werden“ und wären selbst im Rahmen eines vom Vertretenmüssen abhängigen Schadensersatzanspruches aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 nicht ersatzfähig.BGH NJW 2013, 1523.
Hinweis
Die Vermutungswirkung des § 477 steht der Erforderlichkeit einer Begutachtung nicht generell entgegen. Der Käufer darf sich durch ein Gutachten vergewissern, dass sein Mangelverdacht begründet ist. Hierdurch schützt er sich vor den potenziellen Folgen einer unberechtigten Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen (siehe Rn. 212, 245). Die Begutachtung kann auch der Beweissicherung dienen. Gibt der Käufer die Sache gem. § 439 Abs. 5 aus der Hand, wird es ihm schwerfallen, etwaigen ungünstigen Vortrag des Verkäufers zu entkräften.
Gem. § 439 Abs. 2 ersatzfähig sind nach der Rechtsprechung, unabhängig vom Schuldnerverzug des Verkäufers (dann (auch) §§ 280 Abs. 1, 2, 286), die Kosten der Einschaltung eines Rechtsanwalts durch den Käufer.BGH NJW 2019, 292 Nach Ansicht des BGH entspricht dies der Zielsetzung des § 439 Abs. 2, welcher die den Käufer von Kosten die bei der Durchführung und Durchsetzung des Nacherfüllungsanspruchs entstehen freihalten will. In der Klausur sollte stets sauber geprüft werden, ob die Inanspruchnahme des Anwalts auch „erforderlich“ war.
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Die Ersatzfähigkeit angefallener Kosten entfällt nicht etwa, wenn der Käufer später statt der Nacherfüllung Minderung begehrt oder vom Vertrag zurücktritt. Wenn der Ersatzanspruch wegen dieser Kosten erst einmal entstanden ist, ist sein weiteres Schicksal von dem des Nacherfüllungsanspruches unabhängig.BGH NJW 2014, 2351 ff.
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Die weitere Prüfung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die Verjährung richtet sich allerdings nach der speziellen Vorschrift des § 438 und nicht nach § 195.