Der Entscheidung des BGH (NStZ 2021, 735) lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Zwischen A und O war es aufgrund einer streitigen Geldforderung zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf O den A mit einem Sandhandschuh schlug und ihm das Nasenbein brach. Der gekränkte und verärgerte A, der zuvor von O telefonisch die Zahlung eines „Blutgeldes“ in Höhe von 5.000 € verlangt hatte, beschloss, die Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Er suchte seinen Bruder B auf und gewann jedenfalls ihn, eventuell aber auch noch weitere Beteiligte für das Vorhaben, O aufzusuchen, vom ihm das „Blutgeld“ zu fordern und ihn ggfs. handgreiflich zu bestrafen. Aufgrund der vorherigen Erfahrung beschlossen die Beteiligten, ein rundlich konfiguriertes Schlagwerkzeug mitzunehmen. Einer der Beteiligten führte zudem ohne Wissen der anderen ein Messer mit sich. Man verabredete sich daraufhin telefonisch mit O zur Klärung der Angelegenheit. Als O wenig später am Tatort eintraf, befanden sich dort jedenfalls A und sein Bruder B, nicht anschließbar zudem aber noch eine oder mehrere unbekannt gebliebene Personen. Die Gruppe griff O an und schlug zunächst mit dem Schlagwerkezug auf ihn ein. Dabei erlitt O Riss- und Quetschwunden sowie diverse Hämatome. In Abweichung vom Tatplan zog nun einer der Beteiligten das Messer und stach insgesamt 20-mal auf O ein, der an den Folgen der Verletzungen binnen kurzer Zeit verstarb.
Das LG Bielefeld hat A und B wegen mittäterschaftlich begangener Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223, 227, 25 II StGB bestraft.
Das Problem des vorliegenden Sachverhalts ist, dass nicht festgestellt werden konnte, wer das Messer bei sich geführt und zugestochen hat. Es könnte A, B oder der unbekannte Dritte gewesen sein. Unter Berücksichtigung des „in dubio pro reo“ Grundsatzes muss zugunsten von A und B unterstellt werden, dass es der Dritte war. Weder A noch B können damit gem. den §§ 212, 211 StGB bestraft werden.
Nun ist es aber für eine mittäterschaftliche Begehung ohne Belang, wer die zum Taterfolg führende Handlung ausgeführt hat, solange der einzelne einen Beitrag geleistet hat, der bei wertender Betrachtung zur Annahme der Mittäterschaft gem. § 25 II führt. Man könnte also über eine Strafbarkeit von A und B gem. den §§ 212, 211, 25 II StGB nachdenken.
Im Tatbestand ist festzustellen, dass eine Tötungshandlung ausgeführt wurde (Zustechen mit dem Messer), die kausal und objektiv zurechenbar zum Erfolg geführt hat. Diese Handlung wurde aber nach dem „in dubio pro reo“ Grundsatz nicht von A und auch nicht von B, sondern von dem unbekannten Dritten ausgeführt.
Fraglich ist, ob diese Handlung gem. § 25 II StGB A und B zugerechnet werden kann. Voraussetzung dafür ist ein Verursachungsbeitrag und ein gemeinsamer Tatplan. Der Verursachungsbeitrag liegt in dem, A und B nachgewiesenen Einschlagen auf das Opfer A und B. Dieses Einschlagen war auch von dem zuvor gefassten Tatplan umfasst. Dieser Tatplan sah aber nicht das Töten des Opfers O vor. Auch kann A und B nicht nachgewiesen werden, dass sie von dem Mitführen des Messers wussten und zusammen mit dem Dritten den Tatplan während der Ausführung erweiterten. Damit stellt das Zustechen einen Exzess dar, der vom Tatplan nicht erfasst war und somit A und B auch nicht zugerechnet werden kann. Dementsprechend fehlt auch der Tötungsvorsatz bei A und B, weswegen eine Bestrafung aus den §§ 212, 211, 25 II StGB nicht in Betracht kommt.
Expertentipp
Da bei der Zurechnung bereits der Tatplan (entsprechend Vorsatz) und damit subjektive Komponenten der Täter geprüft werden müssen, empfiehlt es sich in einer Klausur, nicht zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand zu unterscheiden, sondern als obere Gliederungsebene nur „Tatbestand“ zu schreiben.
Unproblematisch verwirklicht haben A und B aber eine gefährliche Körperverletzung gem. den §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 4, 25 II StGB, da sie wechselseitig mit einem Schlagwerkzeug auf O eingeschlagen haben und dieses Einschlagen auch vom gemeinsamen Tatplan gedeckt war.
Fraglich ist aber nun, ob sie sich darüber hinaus auch gem. §§ 227 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben.
Das mittäterschaftlich verwirklichte Grunddelikt liegt vor. Auch ist die schwere Folge des Todes eingetreten. Die Kausalität zwischen dem Grunddelikt und der Folge kann noch bejaht werden, da ohne das verabredete wechselseitige Einschlagen auf O der Zustechende gar nicht erst am Tatort gewesen wäre und dementsprechend auch keine Situation hätte ausnutzen können.
Problematisch ist aber der gefahrspezifische Zusammenhang. Liegt in dem wechselseitig begangenen, gefährlichen Einschlagen auf den wehrlosen O das Risiko, dass einer der Beteiligten über das Verabredete hinausgeht und O tötet? Unterbricht also der Exzess des Dritten den Zurechnungszusammenhang im Rahmen der fahrlässigen Zurechnung des Todes (eigenverantwortliches Dazwischen- Treten eines Dritten) oder realisiert sich, wenn auch fahrlässig, in dem Exzess das Risiko, dass alle Beteiligten durch das vorsätzlich verwirklichte Grunddelikt gesetzt haben (und ist damit kein Dazwischen-Treten)?
Die Frage lässt sich leicht beantworten, sollte der Exzess ein atypisches Risiko darstellen. Bei gewaltbereiten Tätern und unter Berücksichtigung der Gruppendynamik ist ein derartiger Exzess aber in der Regel kein Geschehen, mit welchem nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu rechnen ist.
Der BGH (a.a.O.) hat zum gefahrspezifischen Zusammenhang folgendes ausgeführt:
„Ist der Todeserfolg durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Dies ist von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in objektiver Hinsicht etwa in Fällen bejaht worden, in welchen das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage geriet, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert war … oder in denen dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnte.“
Diese beiden Voraussetzungen konnte der BGH im vorliegenden Fall aufgrund der Feststellungen des LG nicht bejahen, sicherlich u.a. auch deshalb, weil nicht ermittelt werden konnte, wie viele Personen sich an dem Angriff beteiligt hatten. Je mehr Beteiligte, desto schutzloser das Opfer und desto größer die Eskalationsgefahr. Von daher kommt nur eine Strafbarkeit gem. den §§ 223 I, 224 I Nr. 2 und 4, 25 II StGB in Betracht.
Expertentipp
Beim gefahrspezifischen Zusammenhang geht es zunächst darum, die präzise Frage nach dem innewohnenden Risiko zu stellen und alsdann um eine Wertung anhand aller Indizien, die Sie dem Sachverhalt entnehmen können. Richtig oder falsch ist Ihr Ergebnis nur dann, wenn Ihre Argumentation unjuristisch und nicht nachvollziehbar ist, nicht aber, wenn Sie zu einer anderen Wertung gelangen als die Musterlösung.