Im Morgengrauen gegen 04.30 Uhr bedrängte der Angeklagte A die sich nach einer Feier auf dem Nachhauseweg befindliche B körperlich. Er drückte sie gegen das Geländer der Brücke, würgte sie und schlug ihren Kopf mehrfach gegen eine Stahlleiter. Dabei forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen, was B verweigerte. Schließlich drohte er ihr den Einsatz eines Messers an, wenn sie seinem Begehren nicht nachkomme. Als er bemerkte, dass sich 2 Personen dem Tatort näherten, die den Namen der B riefen, ließ er von B ab und nahm das Mobiltelefon, welches B in der Hand gehalten hatte, an sich in der Absicht, es zu behalten. Unter dem Eindruck der vorangegangenen Gewaltanwendung widersetzte sich B dieser Handlung nicht.
Fraglich ist, ob A sich gem. § 249 StGB strafbar gemacht hat. Unzweifelhaft stellt das körperliche Bedrängen Gewalt dar und die in diesem Zusammenhang in Aussicht gestellte Verwendung eines Messers eine Drohung. Beide Nötigungsmittel wurden aber nicht zum Zwecke der Wegnahme sondern zum Zwecke der beabsichtigten Vergewaltigung eingesetzt. Insofern könnte es am erforderlichen Finalzusammenhang fehlen.
Der BGH führt dazu folgendes aus: "Der Tatbestand des Raubes erfordert den Einsatz von Gewalt oder einer Drohung als Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme einer Sache ...Wird die Nötigung zunächst mit einer anderen Zielrichtung vorgenommen und nutzt der Täter sie erst im Anschluss zu einer Wegnahme aus, ist der Tatbestand des Raubes erfüllt, wenn die Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahme noch andauert oder als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und der Täter diesen Umstand bewusst dazu ausnutzt, dem Opfer, das sich dagegen nicht mehr zu wehren wagt, die Beute wegzunehmen. Eine andere rechtliche Beurteilung kommt nur dann in Betracht, wenn die Gewaltanwendung nicht mehr andauert, sondern nur noch in der Weise fortwirkt, dass sich das Tatopfer (nur noch) in einem Zustand der allgemeinen Einschüchterung befindet." Eine solche bloße Einschüchterung hat der BGH vorliegend verneint. In Anbetracht der Heftigkeit der zuvor angewandten Gewalt und der verstärkenden Androhung des Messereinsatzes, habe B das Gefühl gehabt, sich noch ungeschützt im Einflussbereich des A zu befinden und neuerlicher Gewalt ausgesetzt zu werden, wenn sie sich zur Wehr setze. Infolge dessen habe die Gewalt noch als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung weiter gewirkt, was A auch gewusst und ausgenutzt habe.
Ein Fall des noch Andauerns zuvor ausgeübter Gewalt lag bei der anderen, bereits zitierten Entscheidung vor: Der Obdachlose O war in die Waldhütte des A eingedrungen, um dort zu übernachten. Als er am nächsten Morgen von A überrascht wurde, schlug er ihn zunächst nieder und fesselte ihn dann, um unerkannt zu entkommen. Erst danach entschloss er sich, das Auto sowie diverse Wertgegenstände zu entwenden.
Zum Zeitpunkt des Fesselns war O noch nicht zur Wegnahme entschlossen, so dass erneut der Finalzusammenhang problematisch ist. Grundsätzlich gilt, dass bei einem Motivwechsel Raub dann nicht in Betracht kommt, wenn es nur "gelegentlich" der Nötigungshandlung zur Wegnahme kommt, z.B. wenn der Täter das bewusstlos geschlagene Opfer spontan seiner Uhr entledigt, ohne dass das Opfer dieses mitbekommt.
Hingegen ist der Raubtatbestand wie bereits erwähnt nach Auffassung des BGH erfüllt, wenn die Gewalt noch andauert oder als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und dieses dazu veranlasst, die Wegnahmehandlung zu dulden. Ein solches Andauern der Gewalt hat der BGH vorliegend in den Fortwirken des Fesselns als vis absoluta gesehen. Die Gewalt liegt mithin im Unterlassen der Beseitigung des körperlichen Zwangs, zu deren Aufhebung der Täter verplichtet ist, sprich darin, dass O es unterlässt, A von seinen Fesseln zu befreien. In der Literatur wird eine solche Gewalt durch Unterlassen unter Hinweis auf die Gleichstellungsklausel des § 13 StGb überwiegend abgelehnt. Der BGH führt dazu folgendes aus:
"Die Auffassung, dass das Ausnutzen einer ohne Wegnahmevorsatz begonnenen andauernden Freiheitsberaubung zum Zwecke der Wegnahme schon sprachlich nicht als „Gewalt” angesehen werden könne oder dass jedenfalls der Raubtatbestand von seiner Struktur her ein aktives Handeln erfordere, ein Unterlassen allenfalls dann als tatbestandsmäßig erfasst werden könne, wenn jedenfalls ein Dritter aktiv Gewalt ausübe, die der Täter als Garant pflichtwidrig nicht hindere...überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. ... Dass Gewalt durch Unterlassen jedenfalls dann verwirklicht werden kann, wenn körperlich wirkender Zwang aufrechterhalten oder nicht gehindert wird, entspricht im Übrigen der herrschenden Meinung zum Nötigungstatbestand .... Das Abstellen allein auf die aktive Gewaltanwendung wird aber auch dem Charakter der Freiheitsberaubung als Dauerdelikt nicht gerecht. Wer einen anderen einschließt oder fesselt, übt gegen diesen Gewalt aus, und zwar vis absoluta. Durch das Aufrechterhalten des rechtswidrigen Zustands, den der Täter zurechenbar bewirkt hat, setzt sich - anders als etwa beim Niederschlagen des Opfers - die Gewalthandlung fort, sie ist erst beendet mit dem Aufschließen oder dem Lösen der Fesselung. Ob dieses Verhalten, das auf eine schuldhafte Verursachung eines rechtswidrigen Zustands durch den Täter aufbaut, als Gewaltanwendung durch positives Tun oder durch Unterlassen bei aus Ingerenz folgender Garantenpflicht des Täters anzusehen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn auch wenn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Unterlassen gesehen wird, bestehen gegen die Annahme eines Raubs durch Ausnutzung einer durch Freiheitsberaubung (mit anderer Zielrichtung) geschaffenen Zwangslage keine Bedenken. ....Der Unterlassungstäter kann die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands wollen, um die Wehrlosigkeit des Opfers zur Wegnahme auszunutzen. Aber auch der Einwand, dass der Unrechtsgehalt bei einem so begangenen Raub nicht dem der aktiven Tatbestandsverwirklichung entspreche, erscheint jedenfalls für Fallgestaltungen wie der hier vorliegenden nicht begründet. Gerade wenn - wie hier - die aus anderen Gründen erfolgte Gewaltanwendung durch positives Tun und ihre Ausnutzung zur Wegnahme durch den Täter, der das Opfer durch die Fesselung in seine Gewalt gebracht hatte, zeitlich und räumlich dicht beieinander liegen - hier hatte der Angekl. unmittelbar nach der (möglicherweise) aus anderen Gründen erfolgten Fesselung den Geschädigten nach dem Zündschlüssel gefragt und sich zur Wegnahme entschlossen - kann von einem unterschiedlichen Unrechtsgehalt je nachdem, wann sich der Täter zur Wegnahme entschlossen hatte, nicht ausgegangen werden."
Weitere erhellende Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in unserem GuKO SR III sowie in unseren ExO`s. Eine ersten Eindruck von unserem Skriptenmaterial bekommen Sie unter http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12492